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Aug 11 27 tweets 4 min read Twitter logo Read on Twitter
Hier mein zweiter Teil zum Video und den Aussagen von #rittenau. Ich hatte bereits angedeutet, dass eine einige Punkte gibt, in denen ich die Meinung nicht teile. Besonders gestört hat mich aber die Art der Kommunikation: Rittenau ist sehr medien-affin und hat die sozialen Medien
über seinen Channel und seine Posts geschickt genutzt, um seinen Bekanntheitsgrad zu pushen und die Vermarktung seiner Produkte voranzutreiben. Das finde ich erstmal nicht verwerflich, da es legitim ist, mit seiner (bislang ja auch wirklich guten und wichtigen Arbeit) Geld zu
verdienen. Durch seine mediale Präsenz weiß er aber auch sicherlich sehr gut, welche Wirkung seine Aussagen in sozialen Medien haben. Daher kaufe ich ihm seine Verwunderung über die Empörung aus der veganen Szene zu seinem Parmesan-Video sowie zu seinen jüngsten Videos auch nicht
ab. Rittenau hat sich bislang als ein Mann der Wissenschaft präsentiert: Mit nüchterner und solider wissenschaftlicher Argumentation zerlegt er in seinen Büchern die einschlägigen Vorurteile gegen vegane Ernährung und liefert über seinen Channel sauber recherchierte und fundierte
wissenschaftliche Basics. In der Güteklasse wissenschaftlicher Publikationen gibt es verschiedene Wertigkeiten: Eine Metaanalyse fasst die Ergebnisse vieler verschiedener Studien zu einem Thema zusammen und hat somit (je nachdem wie gut recherchiert wurde)
eine besonders hohe Aussagekraft. Auch kontrollierte prospektive klinische Studien haben eine gute Aussagekraft, während retrospektive Studien schon stärker in der Aussagekraft beschränkt sind, weil verschiedene Störfaktoren nicht immer sicher ausgeschlossen werden können. Den
geringsten Impact haben sogenannte „Case reports“, also Einzelfallberichte. Hierbei handelt es sich um Berichte von Einzelfällen. Wenn man einen solchen Artikel verfasst, muss man bei der Interpretation schon immer gute Literaturverweise aufzeigen, sonst würde ein seriöses und
hochrangigeres Journal solche Berichte ablehnen. Genau dies präsentiert uns Rittenau aber in seinem Video: Hier werden die gesundheitlichen Probleme seiner Lebensgefährten dargestellt und anschließend berichtet, dass sich diese nach dem regelmäßigen Verzehr von Eiern wieder
gebessert hätten. Weiterhin wird dann gesagt, dass diese Probleme auch viele andere Veganer*innen beträfen, ohne hierzu jedoch Quellen zu liefern oder Fallbeispiele konkret zu benennen. Dieses Vorgehen ist aus wissenschaftlicher hochgradig unseriös, auf jedem Kongress wäre er
dafür vom Auditorium zerpflückt worden. Und obwohl Niko Rittenau in seiner Position sicherlich die einmalige Gelegenheit gehabt hätte, jeden potentiell fehlenden Nährstoff (Cholin, Arachidonsäure etc) bei seiner Freundin zu identifizieren, gibt er lediglich an, „im Blut sei alles
in Ordnung gewesen“. Als Nächstes stellt er dann aber trotzdem direkt die Verbindung zur Arachidonsäure her und lässt hierzu verschiedene Zitate von Studien einspielen. Durch diesen Auftritt hat er aus meiner Sicht aber (völlig unnötig) wissenschaftliches Vertrauen verspielt und
sich in den Bereich der anekdotischen Evidenz entfremdet. Das Beispiel seiner Freundin ist durchaus erwähnenswert aber rechtfertigt nicht einen einstündigen Fallbericht. Wichtiger wäre es abergewesen, folgende Fakten darzulegen:
1. Ein Großteil der vegan ernährten Menschen ist
mit einer gut geplanten Ernährung und ergänzender Substitution gut versorgt und hat keine gesundheitlichen Beschwerden.
2. Es gibt eine Reihe weiterer semi-essentieller Nährstoffe, bei denen ein Mangel bei veganer Ernährung möglich ist.Die klinische Relevanz dieser Mangelzustände
ist jedoch noch nicht abschließend geklärt und erfordert weitere wissenschaftliche Forschung.
3. Ein Teil (insgesamt ein eher geringer Teil der Menschen) entwickelt bei veganer Ernährung trotz guter Substitution und gut geplanter Ernährung gesundheitliche Probleme. Hierfür
verantwortlich könnten unterschiedliche Metabolisierungsprozesse sein.
4. Aufgrund der großen gesundheitlichen Gefahr von Mangelerscheinungen in der Schwangerschaft sollten Schwangere besonders gut substituiert werden (dies ist ja schon lange Credo der Medizin, daher empfiehlt
man jeder Schwangeren die Einnahme von Schwangerschafts-Vitaminpräparaten.
5. Wenn bei veganer Ernährung gesundheitliche Probleme auftreten, die offensichtlich oder höchstwahrscheinlich mit der Ernährung in Zusammenhang stehen, müssen diese Probleme adressiert und hierfür eine
Lösung gefunden werden. In vielen Fällen wird durch eine fachkundige Ernährungsberatung dabei ein Problem identifiziert werden, welches sich durch eine andere Zusammensetzung der Ernährung und/oder Supplementation lösen lässt. In einzelnen Fällen ist es vielleicht auch notwendig,
von einer veganen Ernährung Abstand zu nehmen und in geringem Maße tierische Produkte in die Ernährung zu integrieren.
Nun möchte ich aber doch noch einmal auf das Thema Eierkonsum sowie die Supplementation von Cholin, Arachidonsäure und den sog. „meat bioactive compounds“
eingehen. Cholin ist in der Tat ein potentieller Mangelnährstoff, der sich bei veganer Ernährung zwar prinzipiell vermeiden lässt, allerdings ist die Umsetzung nicht ganz trivial (effektive Quellen sind vor allem bestimmte Pilzsorten, Sojabohnen, Weizenkeime, Mandeln, Brokkoli).
Teilweise sind zur Deckung des Bedarfs (insbesondere in der Schwangerschaft) aber recht große Mengen erforderlich, die bei Unverträglichkeiten dann unter Umständen nur sehr schwer erreichbar sind. Cholin kann man über Hühnereier zuführen, ebenso gut aber als veganes Supplement
einnehmen. Daher ist dies kein Argument gegen eine vegane Ernährung.
Zum Thema Arachidonsäure (AA) könnte man sich nun lange auslassen und ich werde hierzu in Kürze einen ausführlichen Beitrag verfassen.Die Schlußfolgerung nehme ich aber hier schon einmal vorneweg: Der Mangel an
AA und die daraus möglichen Konsequenzen sind weitaus nicht so evident wie von Rittenau dargestellt. Wir reden hier von einem potentiellen Mangel mit möglicherweise negativen Folgen, allerdings ist derzeit anhand der Studienlage noch unklar, wie schwer sich denn nun wirklich ein
Mangel an AA konkret auswirkt. Gleichzeitig spielt die AA aber auch bei inflammatorischen Prozessen eine wichtige Rolle, so dass hohe Spiegel an AA durchaus kritisch zu betrachten sind. Rittenau suggeriert in seinem Video aber, dass die Datenlage bzgl. eines Mangels an AA
eindeutig sei („Es kann mir keiner erzählen, dass das niemand außer mir bemerkt hat“).
Gleichzeitig verbindet er das mit einem, aus meiner Sicht, eindeutigem Marketing-Trick. Er postuliert, dass ein Teil der Veganer*innen Eier essen müsse, um diesem Mangel vorzubeugen, weiß aber
genau, dass genau dies viele Veganer*innen aus ethischen Gründen nicht tun werden. Parallel dazu hat Watson Nutrition ein Präparat zur Supplementation auf dem Markt (welches nun „erstaunlicherweise“ aufgrund der Nachfrage nicht lieferbar ist) und kündigt ein weiteres Präparat an.
Fazit: Ein potentieller Mangel an Cholin kann durch entsprechende Supplementation vermieden werden. Der Mangel an den anderen von Rittenau angeführten Nährstoffen ist mit einer veganen Ernährung prinzipiell möglich und könnte bei einigen Individuen zu gesundheitlichen Problemen
führen, die Datenlage diesbezüglich ist jedoch nur sehr vage. Aufgrund der derzeitigen Daten kann ich somit aus meiner Sicht Veganer*innen die Supplementation von AA nicht empfehlen!
#GoVegan #vegan #rittenau #cholin #Ernaehrung

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