Der #LongCovidKongress in Jena mit >3000 Teilnehmenden (vor Ort und online) und >60 wissenschaftlichen Vorträgen ist zu Ende. Meine Eindrücke in einem langen 🧵
1 - Die Zahl der Wissenschaftler und Ärzte, die sich intensiv mit #LongCovid #MECFS und #PostVac befassen, nimmt gefühlt stark zu, das bisherige Wissen ist aber noch lange nicht in der Breite in den Versorgungsstrukturen angekommen. ➡
Vor allem bei den Hausärzten fehlt bisher jede Einheitlichkeit bei Diagnostik, Kodierung, Entscheidungsgrundlagen für Therapien, Überweisungspfaden. ➡
2 - Deutlicher als beim Kongress vor 1 Jahr betonten die meisten Vortragenden die somatischen Mechanismen und sekundäre psychische Folgen. Das liegt natürlich auch, aber keineswegs nur an der Auswahl der Vortragenden. ➡
ZT äußerten sich dieselben Referenten expliziter als letztes Mal, zudem kamen Stimmen verschiedener Fachrichtungen hinzu. PCS sei etwas anderes als eine Somatisierungsstörung, sagte zB der Psychosomatiker Volker Köllner. ➡
3 – Das Thema #LongCovid bei Kindern hat bei diesem Kongress eine viel größere Rolle gespielt als noch vor einem Jahr. Folke Brinkmann schätzte das Risiko für Kinder+Jugendliche, aktuell an LC zu erkranken, auf 1-2% ein… ➡
..Long Covid, wohlgemerkt, Post Covid noch deutlich darunter. Die Spontanremissionsrate ist hoch, es erkranken v.a. ältere Kinder/Jugendliche. Zur wirksamen Prophylaxe gibt es keine Daten, auf Verdacht Paxlovid empfahl Brinkmann daher nicht. ➡
Uta Behrend drängte darauf, Kinder schneller als bisher zu versorgen, damit ihre Zukunft nicht gefährdet ist. Das gelte bes. bei den geschätzt bis zu 90.000 Kindern mit #MECFS Behrend betonte: „Wir können viel tun.“ Chronisch bedeute nicht lebenslang. ➡
Stichworte waren Pacing, psychosoziale Betreuung, medikamentöse und nicht-medikamentöse Symptomlinderung, Avatar- und Hausunterricht, Telemedizin. ➡
4 - Erwachsene: Nico Dragano präsentierte Hinweise, dass das PC-Risiko nach Berufsgruppen nicht mit dem Risiko für Akut-COVID korreliert (zB Fertigungsberufe: hohe COVID-19-Inzidenz, relativ niedrige LC-Prävalenz). Mögliche Ursachen (abgesehen ➡
von statistischen Über- und Untererfassungen): Je prekärer ein Arbeitsplatz, desto weniger Krankschreibungen; PC oft geprägt durch Fatigue/neurokognitive Beschwerden, daher relativ mehr Ausfälle zB in Bildungsberufen. ➡
Als Problem erkannt ist, dass ein Anteil langfristig PC-Betroffener zwar irgendwie im Beruf „funktioniert“, aber dafür sämtliche Freizeitaktivitäten kappen muss und keine Erholung erreicht. ➡
Dass uns dies noch auf die Füße fallen könnte, darauf wiesen gerade die Tagungspräsidenten Andreas Stallmach und Martin Walter hin. ➡
4 - Thema Reha: Es gab zahlreiche Daten, die zeigen, dass Reha bei vielen Long-COVID-Patienten hilft. Die Umfrage von LongCovid Deutschland mit Berichten über Verschlechterungen bei PEM war ebenfalls Thema. Volker Köllner ging davon aus, ➡
dass sich Verschlechterung auch bei mittelschwer betroffenen PCS durch flexible, individuelle Anpassung des Programms vermeiden kann. Völlig unklar ist, wie viele Kliniken das können. Unterschiedlich gesehen wurde das Thema Reha bei PEM. ➡
Während Bettina Grande grundsätzlich von Reha bei PEM abriet, gingen andere Vortragende (zB Christian Puta, Claudia Ellert) verstärkt in die Richtung, nach Schweregrad der PEM zu unterschieden (>14h anhaltend oder PEM+best. Bell-Score). Die Kombination aus ➡
PEM + Bell-Score wird ein Kriterium in der in wenigen Tagen publizierten Neufassung der Reha-Leitlinie sein. Zusammen kommen die Positionen dadurch, dass es große Unsicherheiten gibt, welche Kliniken auf Erkennen + ➡
angemessenes Berücksichtigen von PEM ausgelegt sind. Carmen Scheibenbogen forderte eine Empfehlungsliste von Kliniken, die nach bestem Wissensstand Verschlechterungen vermeiden. ➡
5 - Reha bei Kindern: Dirk Heinicke (Chefarzt Bavaria-Rehaklinik in Kreischa) räumte deutlich ein, dass viele Kinder-Rehas zunächst Standardprogramme als Post-Covid-Reha deklariert hätten („alter Wein in neuen Schläuchen“) – mit dem Ergebnis: ➡
„Wir haben PEMs am Stück produziert.“ Für 10- bis 20-Jährige gibt es in Kreischa jetzt ein Reha-Konzept mit Einzelzimmern und Therapien direkt beim Zimmer, oberstes Reha-Ziel: mit Pacing vertraut machen + direkt in Reha anwenden. ➡
Es gehe also nicht vorrangig darum, mit Gewalt eine Verbesserung zu erreichen. Außerdem versucht die Klinik, Informationen für Schulen zum Krankheitsbild zu geben. ➡
Präsentierte Daten: ¼ der Kinder kann Schule nach der Reha in Kreischa wieder fortsetzen, bei ½ gelingt ein stufenweiser Wiedereinstieg. ➡
6 – Ein neues Forschungsfeld ist die Stigmatisierung von Post-Covid-Erkrankten. Georg Schomerus (UK Leipzig) sieht die Kriterien von Stigmatisierung erfüllt, insb. durch Psychologisierung und Abwertung. Stigmatisierung durch ➡
andere (als Beispiele nannte er Zitate von Prof. Kleinschnitz (FAZ-Interview) und Werner Bartens (SZ-Kommentar)) führe auch zu Selbst-Stigmatisierung und verringerter Selbstwertschätzung. ➡
7 – Die Einschätzung neurokognitiver Symptome wie „Brain Fog“ gleicht sich an. Angelika Thöne-Otto und Volker Köllner beschrieben sie als eigenes Phänomen/Ausdruck einer Funktionsstörung des Gehirns, nicht als Folge von Fatigue oder Ausdruck von Co-Morbidität Depression. ➡
8 – #PostVac ist in Wissenschat und bei Ärzten zunehmend anerkannt. Vor 1 Jahr wurden Fragen zu Impfschäden von den Vortragenden noch praktisch komplett abgebügelt – das war dieses Jahr anders. Dass es schwere, PostCovid-ähnliche ➡
Impfnebenwirkungen gibt, war anerkannt. In den Vorträgen kam PostVac dennoch nur ganz am Rande vor. Die Häufigkeit ist auf Basis des heutigen Wissensstandes deutlich geringer ist als die von post-infektiösen Spätfolgen, in den Vorträgen war es eher noch weniger Thema. ➡
9 – Einigkeit bestand darin, dass es für schwer #MECFS-Betroffene praktisch keine Angebote gibt. Diese Versorgungslücke wurde beklagt, Lösungsansätze jenseits von Modellprojekten fehlen. ➡
10 – In der Podiumsdiskussion mit den MdB Ullmann (FDP), Rudolph (SPD) und Borchardt (CDU) ging es v.a. auch um Teilhabe. Beklagt wurde, dass nahezu sämtliche Strukturen für PC-Betroffene, v.a. für schwer Betroffene, nicht passen: ➡
Schulen sind nicht in der Lage, sich auf erkrankte Kinder einzustellen und Bildung trotz anhaltender PC-Symptome zu ermöglichen. Wiedereingliederungsmodelle sind zu starr und oft überfordernd. Teilzeit-Krankschreibung gibt es nicht. ➡
Reha-Konzepte sind zu wenig flexibel. Versorgungsstrukturen v.a. für schwer Betroffene ungeeignet. Die MdB erkannten dies einhellig an. Doch obwohl das alles seit min. 2 Jahren mehr oder weniger bekannt ist, ➡
wurde in der Diskussion klar: Es geht bisher niemand diese Strukturen an. Die Antworten waren ausweichend bis hilflos. Die Zusage des Koalitionsvertrages, ein Netzwerk aus Zentren für PCS und MECFS zu schaffen, wertete MdB Ullmann ➡
v.a. als Aufgabe des Gesundheitswesens, nicht als politischen Handlungsauftrag. Fazit: Probleme wurden beschrieben und bedauert, Lösungen sind nicht in Sicht. Claudia Ellert forderte ein Umdenken: ➡
Systeme müssten sich an die Leistungsfähigkeit der Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Klar wurde auch: Protestaktionen/Petitionen von Betroffenen haben insofern etwas bewirkt, als dass sie für manchen Politiker der Auslöser waren, sich mit Themen überhaupt zu beschäftigen. ➡
11 – Therapien: Die Entwicklung heilender Therapien steht nicht zeitnah bevor, das machte auch Carmen Scheibenbogen deutlich. Es gibt aber vielversprechende symptomatische Ansätze, die in der Szene der schon jetzt auf ➡
Off-Label setzenden Ärzte erprobt sind oder für die es Testreihen einzelner Therapeuten gibt (ein Beispiel: Nikotinpflaster/Marco Leitzke). Mein Eindruck: Die Szene ist nach wie vor klein, wird aber professioneller. Wurden vor 1 Jahr ➡
noch teilweise sehr wilde Ideen präsentiert, folgen die jetzt dargestellten Überlegungen i.d.R. erkennbaren Rationalen. Vielfach fehlt es, a) die Ansätze sauber in RCT zu untersuchen und b) systemisch zusammenzuführen. ➡
Viele probieren an vielen einzelnen Stellen etwas aus und sammeln Erfahrungen, aber es kommt noch nicht wirklich zusammen. ➡
12 – Pharmaindustrie: Diesmal gab es Sponsoren und eine Industrieausstellung. Mein Eindruck: Sehr schwierig. Es gab Big Pharma wie Pfizer – die aber nichts präsentierten, was Ansätze für Post Covid bietet. Und es gab ➡
Start-Ups, die mit ihren Verfahren (von der Sauerstoff-Druckkammer für zu Hause bis zur Kältebehandlung „gegen Post Covid“) auf Patienten bzw. Ärzte/Heilpraktiker zugehen, ohne das sauber untersucht zu haben. ➡
Die Gefahr besteht, dass hier ein Wildwuchs aus unkalkulierbaren Hoffnungen und Risiken entsteht, motiviert sowohl durch beste Intentionen wie auch durch dreiste Geschäftemacherei. Auch deshalb lautet mein Fazit: ➡
Umso wichtiger ist es, die vermehrt vorhandenen, auf wissenschaftlich begründeten Hypothesen beruhenden Ansätze zu systematisieren, mit sauberen Studien Evidenz zu schaffen und vor allem die klaffenden Teilhabe- und Versorgungslücken zu schließen. ⬅
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Aus Sicht der Kliniken sei bei "allermeisten" #LongCovid-Fällen eine "psychosomatische Genese evident", sagte @nervensystemck in Interviews m. @MuellerJung (FAZ) + @DocCheck @dukla_DE. Doch was sagen die Kliniker selbst? ---> Exklusiv @riffreporter: ↘️riffreporter.de/de/wissen/prak…
Die These würde bedeuten: Prakt. Erfahrungen der Kliniker stehen im Widerspruch zu wiss. Mainstream. Statt die Behauptung nur zu transportieren, habe ich alle deutschen Unikliniken + die #LongCovid-Ambulanzen befragt. Die allermeisten widersprechen der These. #Recherche ↘️
Der Artikel fasst die Antworten zusammen, alle schriftlichen Statements sind dort zudem samt Fragestellung in einem pdf-Dokument verlinkt. #Transparenz Geantwortet haben u.a. @ProfessorHalle @drweber_koblenz @ProfSchieffer + viele, die keinen X-Account ↘️riffreporter.de/de/wissen/prak…
Es gibt eine neue Veröffentlichung im Journal BMJ Evidence-Based Medicine, der zufolge die Prävalenz für #LongCovid in Studien regelmäßig überschätzt werde (Quelle: ). Dazu ein paar Anmerkungen. 🧵ebm.bmj.com/content/early/…
Zunächst: In einigen Medien wie aktuell () wird behauptet, es sei eine Studie. Das ist falsch, nicht jede Journal-Veröffentlichung ist eine Studie. Hier handelt es sich um einen ausführlichen Meinungsbeitrag. Dieser enthält ↘bild.de bild.de/ratgeber/gesun…
einige richtige und wichtige Punkte. V.a. in der Anfangszeit der Pandemie haben epidemiologische Studien sehr hohe Prävalenzwerte ermittelt, was auf Verzerrungen durch das Studiendesign zurückgeht. Die Kritik, dass Kontrollgruppen fehlten oder ungeeignete ↘
Eine Top 10: Über #LongCovid #PostCovid und #MECFS habe ich in den verg. Monaten viel berichtet - die 10 wichtigsten Artikel für alle, die sich gebündelt ein Bild über diese Erkrankungen und die Versorgungslage schaffen wollen ↘
1) „Anna und das Biest“ ist der umfassendste Text über #MECFS, was bei der Erkrankung medizinhistorisch schief läuft und um was es bis heute Streit gibt: ↘martin-ruecker.com/anna-und-das-b…
2) Für „Mit Pfefferminzöl bin ich dein Arzt“ habe ich die nicht enden wollende Odyssee einer #PostCovid-Erkrankten durch Gesundheits- und Sozialsystem nachgezeichnet, beispielhaft für viele Betroffene: ↘martin-ruecker.com/longcovid-mecf…
Das Thema Hilfen für #MECFS-Betroffene ist nun endgültig Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen. Das ist nicht gut und der Sache nicht angemessen. Eine kurze Analyse, was gestern im #Bundestag passiert ist und wie der Stand zu bewerten ist. 🧵
1. Die Aufregung der Opposition darüber, dass 🚦 ihren Antrag abgelehnt hat, finde ich ein wenig künstlich. Das ist parlamentarischer Usus - wird den Inhalten zwar oft nicht gerecht, haben aber bisher noch alle Regierungsmehrheiten so gehalten. Das ist aber nicht entscheidend. ↘
2. Die Union hat es in ihren 16 Regierungsjahren (z.T. inkl. Führung des Gesundheitsministeriums) versäumt, das Thema zu erkennen und hier aktiv zu werden. Jetzt aber haben treibende Kräfte der Union - m.E. aufrichtig - erkannt, dass Handlungsbedarf besteht. ↘
Es gab in sozialen Medien viel Aufregung darüber, dass die @ChariteBerlin ihre von @C_Scheibenbogen geleitete #MECFS-Sprechstunde angeblich eingestellt habe. Das ist allerdings nicht richtig. 🧵
Auslöser war diese - etwas missverständlich formulierte - Meldung auf der Seite des Fatigue Centrums. ↘️
Richtig ist: Die #MECFS-Sprechstunde gibt es weiter. Sie steht (wie bisher auch schon) nur Menschen aus Berlin und Brandenburg offen. Darüber hinaus bietet Charité Beratung und Fortbildungen für Ärzte zu #MECFS an. Auch das gibt es weiter. ↘️
Was wurde aus den Zusagen, die die 🚦 und @Karl_Lauterbach für #LongCovid- und #MECFS-Betroffene gemacht haben? Ein 🧵 mit aktuellen Auskünften des @BMG_Bund, die ich im Rahmen einer aktuellen Recherche erhalten habe. ↘
@Karl_Lauterbach@BMG_Bund Der Koa-Vertrag verspricht ein "🇩🇪-weites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen" für #LongCovid und #MECFS. Das sieht das BMG mit den #LongCovid-Spezialambulanzen offenbar abgedeckt, ein Netzwerk speziell für #MECFS soll es nicht geben. ↘
@Karl_Lauterbach@BMG_Bund Dass die Spezialambulanzen überlaufen sind, oft nur Diagnose anbieten können (keine Behandlung) und für #MECFS-Betroffene vielerorts keine passende Anlaufstelle sind, hatte ich hier bereits berichtet: medwatch.de/erkrankungen/l… ↘