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President of @DIW_Berlin, Professor for Macroeconomics at Humboldt University, and Op-Ed columnist Zeit Online.

Aug 27, 2022, 14 tweets

Twitter Serie #4: Die Geschichte der #Moral des guten Sparens

#Sparen ist eine Tugend. Kaum eine Moral ist in Deutschland so stark verwurzelt. Aber wieso ist das #Sparen ein so zentraler Teil unserer Identität? Ein kurzer Blick in die Geschichte…

Als Erinnerung: zu sparen bedeutet Verzicht auf Wohlstand heute, mit der Hoffnung in Zukunft dieses Ersparte zu mehren oder als #Versicherung gegen Risiken.

#Sparsamkeit - also der sparsame Umgang mit Dingen - gab es schon sehr früh. Ab dem 18. Jh. wurde damit aber stärker der Umgang mit Geld gemeint. Sparsamkeit wurde zusammen mit Ordnung, Reinlichkeit und Pünktlichkeit zu einer bürgerlichen #Tugend.

1778 wurde in Hamburg die 1. Sparkasse gegründet. Anders als andere Banken stand sie auch Menschen mit geringen Einkommen offen. Der Gründungsgedanke: #Eigenverantwortung. Menschen sollten einen Teil ihres Geldes zurücklegen, um sich selbst gegen Risiken abzusichern.

Um das Sparen für alle zu fördern, wurde mit einem preußischen Ministererlass 1854 für jeden Kreis  eine #Sparkasse pro Kreis vorgeschrieben.

Ab dem 19. Jahrhundert wurde die #Tugend des Sparens noch weiter politisiert. Es galt als Mittel gegen Unzufriedenheit und revolutionäre Umtriebe an. Beispielhaft dazu zwei Auszüge aus der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft von 1908:

Auch die #Schulen wurden instrumentalisiert, um das Sparen als Tugend zu etablieren und Ersparnisse zu mobilisieren. Bereits in den 1870er-Jahren gab es #Schulsparkassen. Hier ein Sparautomat für Schulkinder (um 1910):

Der Erste Weltkrieg wurde in erheblichen Maße durch #Kriegsanleihen finanziert. Begleitet wurde dies durch eine Propagandakampagne, die private Ersparnisse für den Krieg zu mobilisieren sollte.

Das Versprechen, Kriegsanleihen seien eine gute Art des Sparens, erwies sich häufig als falsch. Trotzdem gelang es der Politik auch nach solchen Erfahrungen, das Sparen als #Tugend und bürgerliche #Pflicht weiterhin fest in der Psyche der Deutschen zu verankern.

Die Instrumentalisierung des Sparens wurde im Nationalsozialismus intensiviert. Eine Kampagne zum “eisernen Sparen” versprach eine gute Rendite und pochte auf die patriotischen Pflicht.

Für Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion wurde sogar ein #Zwangssparen verordnet. Hinzu kamen #Zwangsenteignung vieler jüdischer und anderer verfolgter Menschen.

Die #Tugend des Sparens war auch in der BRD wie DDR fest verankert. Trotz aller Katastrophen und Verluste - den Kriegen, der Hyperinflation 1923, der Währungsumstellung 1948, der wiederholten Instrumentalisierung des Sparens durch die Politik - sparen die Deutschen weiter stark.

Fazit: Die #Moral des guten Sparens hat eine lange Geschichte in Deutschland. Das Bild des moralisch vorbildlichen Verhaltens gipfelt im Ideal der viel zitierten
schwäbischen Hausfrau.

Viele der Analyse hier zu Sparen, Schulden, Zinsen und Inflation werden im Detail in meinem neuen Buch (März 2022) “Geld oder Leben — Wie unser irrationales Verhältnis zum #Geld die Gesellschaft spaltet” besprochen.

piper.de/buecher/geld-o…

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