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Lucas Schoppe @LucasSchoppe1
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"Neutralitätswahn" ist ein furchtbarer, zudem simpel polemischer Begriff, und bei einem Journalisten ist er katastrophal. Ich schreibe mal auf, warum @georgrestle in meinen Augen völlig daneben liegt - aber damit viel über den Zustand des Journalismus verrät.
Der Text suggeriert eine falsche Alternative - als gäbe es nur die Wahl zwischen der Anmaßung eines gottgleichen "neutralen" Standpunktes und einem entschlossenen parteilichen Engagement.

Wer nicht anmaßend ist, müsse also herausfinden, welches Engagement das richtige ist.
Und das ist natürlich, tadaa: das Engagement als "Anwalt der Unterdrückten".

Das klappt nur schon deswegen nicht, weil jeder Depp, auch jeder Nazi überzeugt davon ist, für "die Unterdrückten" zu kämpfen. Aber wer sind nun die RICHTIGEN Unterdrückten?
Für solche Einschätzungen kommt man um eine neutrale Position nicht herum. Die bedeutet eben keine Gottgleichheit - sondern die Fähigkeit, von der eigenen Perspektive absehen und Situationen auch aus der Perspektive anderer wahrnehmen zu können.
Das ist also das genaue Gegenteil von "Wahn": Wahnhaft ist nämlich jemand, der sich nicht vorstellen kann, dass die Wirklichkeit anders sein könnte, als sie ihm scheint.

Um eben das aber feststellen zu können, müssen wir unsere eigene Perspektive mit der anderer abgleichen.
Dafür aber fehlt @georgrestle schon ein Mindestmaß an Achtung. Ausdrücklich schreibt er angesichts des "millionenfachen Geblökes der 'sozialen' Netzwerke" - mit dem Blick eines Herrenmenschen auf Massen von Schafen also, auf eine tumbe, animalische Menge.
Dabei wäre eben das die Chance des faktisch milliardenfach subventionierten öffentlich-rechtlichen Journalismus: Anders als irgendwelche Facebook-Poster wirklich ein Forum bereit zu stellen, in dem ganz unterschiedliche Perspektiven miteinander vermittelt werden können.
Aber @georgrestle formuliert eine klare Absage an eine solche Vermittlung. Vom Ethos eines beliebigen Facebook-Posters unterscheidet er sich lediglich durch seine deutlich größere mediale Machtposition - die er aber wie selbstverständlich an keiner Stelle reflektiert.
"Der Glaube, daß es eine Freiheit des Geistes und eine Freiheit der Meinung losgelöst vom (...) Interesse überhaupt geben könne, dieser Glaube ist allgemach im Rückzug begriffen." Dieses beschissene Zitat passt beunruhigend gut in heutige Debatten.
Es stammt von Joseph Goebbels.
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