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Ob @dlf, ob @derspiegel und Co: Es ist halt immer dasselbe. Israelkritik, Synonym für Antisemitismus (im Gegensatz zu Kritik an israelischer Politik ohne die 3 D) in seiner vermeintlich menschenrechtsbasierten Form geht hierzulande ohne weiteres durch; seine Verfechter halten
sich für aufgeklärt, wo doch jedes Maß und Mitte fehlen.
also sehen wir kurz hinein, in den langen Aufsatz, den Mbembe 2016 verfasst hat und der - mit Hinweis darauf, dass der Text automatisiert eingescannt wurde und deshalb Fehler enthalten kann - hier nachzulesen ist:
radicalphilosophy.com/article/the-so…

Es ist ein Text, der es in sich hat, wenn neben Freud auch Carl Schmitt zitiert wird, der dem NS-Staat die rechtsphilosophische Begründung für den Führerstaat lieferte.
Aber ich möchte mich nicht so ausufernd wie Mbembe damit befassen. Mich interessiert, wie sie daher kommt, die Dämonisierung Israels. Dazu gibt es bei ihm längere und prägnante Textstellen.
Im Verlauf fällt zunächst diese Textstelle ins Auge, in der die Shoah angesprochen wird. Die Shoah wird als "Vernichtung der Juden" in die hier entwickelte Theorie der Apartheid und des Rassismus eingepasst, ohne das es spätere Bezugnahmen gibt.
Im weiteren Text wird die Vernichtung von Menschen erneut angesprochen, aber in untergeordneter Weise. Offenbar will Mbembe seine Theorie universalisieren, mit der Schwäche anderer Konzepte aus den antikolonialen Studien: Sie können die Shoah nicht erklären. Seinen Gegensatz zu
anderen Ansätzen kann man daran erahnen, dass er weder den Begriff Holocaust noch Shoah verwendet. Die Einzigartigkeit des Verbrechens geht dann schnell verloren.
Ein Bezug zu den folgenden Textstellen ist dann auch nur indirekt festzustellen - über den Literaturnachweis.
Aber tatsächlich hat Israel es dem Mbembe angetan. Er hat eine sehr genaue Vorstellung von den israelisch-palästinensischen Verhältnissen.
Wie bei Israelkritikern üblich, werden historische Anlässe und aktuelle Beweggründe negiert. Mit dem einführenden und ausmalenden "in vollem Gange" erhöht der Autor den Druck auf den Leser ("Oh je, wie mag das enden?"), während es dann heisst, dass israelische
Überwachungsmaßnahmen als "Laboratorium" in andere Gegenden der Welt exportiert würden. Es bleibt also nicht dabei, dass Israel falsch handele, es exportiere auch die Mittel dazu, mit anderen Worten, es sei der Treiber zur Implemementierung dieser Mittel auf der ganzen Welt.
Als Nachweise dienen Werke zweier israelischer Autoren, eine davon schreibt immer mal wieder für die Haaretz.

Nach der Einführung in die israelisch-palästinensische Dystopie nach Vorstellung von Mbembe folgt dieser Textabschnitt.
Ja, eine Dystopie. Kampfhandlungen aus realem Anlass und ihrer Natur nach begrenzt werden zu einer Dauereinrichtung. Er beginnt bei Kontrollen (Oslo-Accords!), beschreibt eine dauerhafte Kriegführung und, da alles noch nicht reicht, folgen "zelluläre und molekulare Gewalt",
nach dem "Modell eines Lagers" - es gibt nichts Gutes an Israel, es gibt nichts Schlechtes an Israels Gegnern, die existieren schlicht nicht. Wer bisher noch nicht von "Die Juden sind unser Unglück" auf "Israel ist der Jude unter den Staaten" geschlossen hat, sollte das anhand
dieses Beispiels überdenken.
Dass das vom Mbembe so beiläufig bemühte "Lager" nicht so unschuldig da steht, wie es klingen mag, wird deutlich, wen man die Literaturliste ansieht. [10] sollte hier angegeben sein, folgt aber erst im nächsten Absatz.
Den um welche Lager sollte es gehen, wenn wir über Israel schreiben und dem Land alles Übel der Welt zuschreiben? Es sind die NS-Lager, nicht die detention camps for displaced persons, in denen Überlebende der Shaoh lebten, bis sie endlich in das Mandats-Palästina kamen, weil
Europa keine Heimat mehr sein konnte. Was Mbembe hier beiläufig verarbeitet, ist die böse Behauptung, dass die Shoah ein Trauma verursacht habe, dass die Israelis zwinge, die Untaten ihrer Peiniger zu wiederholen.
Das ist weder Philosophie noch Wissenschaft, sondern
Antisemitismus.

So geht es weiter im Text.
Hier folgt also die Verbindung zur Apartheid und ihre Relativierung. Mbembe behauptet, "dieses Projekt" - damit wird dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen, schließlich reden wir bei Staaten nie von Projekten - hätte ganz eigene "metaphysiche und existenzielle
" Grundlage. Dabei handele es sich um "apokalyptische und katastrophale Elemente".
Er spricht also im weitesten Sinne vom ideologischen Unterbau Israels, seinen Gründungsmythen, seiner Selbstbeschreibung und Verfasstheit. Als Beschreibung bemüht er mit "apokalyptisch" einen
Begriff, der vor allen Dingen mit der Apokalypse des Johannes von Patmos im Neune Testament verbunden ist, einer genuin christlichen Vorstellung von einem brutalen und gewaltsamen Weltende, aus dessen Qualen nur eine bestimmte Anzahl echter Christen erlöst wird, die fortan das
Reich das Reich des Frieden unter der Herrschaft des Jesus von Nazareth geniessen dürfen. Das ist schon eine kleine Gemeinheit, einen christlichen Bezug zu wählen.
Vor allem aber beschriebt es die Israelis als von Todesängsten getrieben, als psychisch kranke Menschen, und das
harmoniert sehr gut mit der Lager-Metapher des vorangehenden Abschnitts. Und die Kehrseite einer solchen Betrachtungsweise ist zweifellos, dass jede reale Bedrohung Israels bei Mbembe zur Einbildung werden kann - oder muss.
Wie weit Mbembe historisch zurückgeht, teilt er uns
nicht mit (würde er mit seinen Absurditäten beim Buch Esther beginnen?), es ist aus seiner Sicht auch unerheblich.
Aber hier haben wir die Literaturangabe [10]. Er bemüht einer Buch einer gegenüber Israels Politik extrem kritischen israelischen neuen Historikern, das Buch
"Israel's Holocaust and the Politics of Nationhood" von Idith Zertal. Man kann bei den üblichen Quellen nur wenig Text einsehen, daher teile ich ausnahmsweise eine Rezension des Israelkritik-Profiteurs Moshe Zimmermann.
hsozkult.de/publicationrev…
Es geht der Autorin also um den Nachweis, dass die israelische Politik vom Holocaust bestimmt sei (sei es real, sei es Funktionalisierung), und dass Kritik aus aller Welt mit dem Antisemitismus-Vorwurf durch Israel beantwortet werde.
Das ist die Quelle, aus der Mbembe schöpft,
und wie kritisch Zertal auch urteilen mag über einen Zeitraum von 100 Jahren, die Formulierungen von Mbembe dürften weit darüber hinaus reichen.
Was das Literaturverzeichnis von Mbembe angeht in Bezug auf Israel: Eindeutige Literatur des antizionistischen Lagers. Eine Abwägung
verschiedener Darstellungen, wie sie wissenschaftlich üblich ist, gibt es nicht.
Es sei noch angemerkt, dass der Bezug auf die Grundlagen des burischen Calvinismus (Calvinismus allein ist so falsch wie es nur sein kann) eine weitere Gemeinheit verbirgt (er ist halt intellektuell
und muss es nicht immer offen schreiben).
Denn eine wesentliche Überzeugung, die die Buren Anfang des 20. Jh. entwickelt hatten, dass sie ähnlich wie das Volk Israel von Gott auserwählt seien. Das war Antrieb genug, sich als Gemeinschaft nach innen zusammen- und nach außen
abzuschließen, wie wir es von anderen religiösen Gemeinschaften kennen, wie z.B. den vergessenen Kindern der Reformation, den Täufern, gegen die in Deutschland erbarmungslos Krieg geführt wurde. Ihre Nachfahren leben heute als Mennoniten, Hutterer und Amische.
Nach der Vertreibung durch die Briten auf dem Weg ins Innere fühlten sich die Buren den Einheimischen unterlegen und befürchteten, letzten Endes getötet zu werden. Die Verbindung aus der Theorie des Auserwählt-Seins und dem Gefühl der Bedrohung führte letzten Endes zur
abscheulichen Apartheid.
Auf einer oberflächlichen Ebene mögen die Begriffe der Auserwähltheit ähnlich erscheinen. Wer einen tieferen Blick wirft, erkennt, dass mit dem Vorwurf des Gottes-Volkes Christen über Jahrhunderte antisemitische Unterdrückung begründet haben.
Theologisch ist das einfach, jeder kann es nachlesen, muss irgendwo bei Exodus stehen (Sinai, Moses), man kann vergleichsweise den noahchidischen Bund bemühen. Gott hat das Volk Israel auserwählt, und das bedeutet keinen Freibrief, sondern besondere Anforderungen an das
ethische Handeln. Die Auserwählung ist Verpflichtung, nicht Belohnung.
Mbembe verbirgt hier einen jahrhundertalten Antsemitismus.

Kommen wir zum Ende der Israel-Betrachtungen des Mbembe.
Lassen wir die Aufzählungen, die Mbembe hier in solcher Zahl bemüht, dass man meint, man liest einen Roman und keinen wissenschaftlichen Aufsatz. Er braucht sie,um diese Abschlussbehauptung zu formulieren: "... die darauf abzielt, das Leben der Palästinenser in einen
Trümmerhaufen oder einen zur Säuberung bestimmten Müllhaufen zu verwandeln."

Wenn das "Leben der Palästinenser" zu einem "zur Säuberung bestimmten Müllhaufen" verwandelt wird, bedeutet das, dass die Palästinenser nach Mbembe letzen Endes "gesäubert" werden, in Anlehnung an den
stalinistischen Ursprung des Begriffs inhaftiert (Gefängnis oder Lager in Sibirien) oder getötet. Mbembe scheut sich, das auszuschreiben, und bemüht stattdessen Lyrik. Dennoch ist klar, was er letzten Endes meint.

Halten wir fest: Israel ist für Mbembe der Hort des Bösen in der
Welt, der die Mittel seiner Bosartigkeit in die Welt exportiert und damit zu ihrer Verschlechterung beiträgt; Israel hat keine Existenzberechtigung und es gibt keinen Grund, der für die Situation der Palästinenser verantwortlich ist und außerhalb Israels liegt; die Situation der
Palästinenser ist so viel schlechter als die der Schwarzen unter der Apartheid der Buren; wie die Situation der Palästinenser ist, ist nicht ganz deutlich, sie bewegt sich zwischen Leben in völligem Unrecht bis hin zur Säuberung, also dem Tod; anders als Israelis gibt es
Palästinenser im Grunde nicht, es sei denn als gutes Spiegelbild der bösen Israelis, denn sie werden an keiner Stelle beschriebenen charakterisiert; anders als die Israelis, die aufgrund ihrer Leidensgeschichte zu Unterdrückern wurden und den one and only evil state der Welt
gegründet haben und außerdem schuldig sind, dass die Buren nach dem Vorbild Gottes sich angemaßt haben, sich selbst zu Gottes Volk zu erklären, weswegen da eine Wesensverwandschaft in Sachen Rassismus existieren muss.
Was Mbembe da zusammengeschrieben hat, ist m.E. antisemitischer Unfug, der früheren antisemitischen Unfug inkorporiert, und zählt nach den Überzeugungen im englischen Sprachraum damit zu Rassismus. Und so traurig das ist - man muss sich die Frage stellen, was das über seine
Arbeit aussagt.

Dieser Text von Mbembe sollte eine tiefere Würdigung erfahren. Wie wäre es, @realStefanFrank, @LizasWelt ?
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