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Mbembe und die Sache mit Israel

Achille Mbembe hat in seinen Schriften, soweit sie in der hiesigen Öffentlichkeit bekannt sind, Bezug genommen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Er war überaus deutlich, als er einem Vorwort zu einem Buch, das Israel bereits in der
Überschrift als "Apartheidstaat" diffamiert, den weltweiten Boykott Israels fordert. An anderer Stelle hat er seine Vorstellung des Konflikts beschrieben, wobei er das Leben der Palästinenser unter israelischem Einfluss de facto als tief schwarze Dystopie beschreibt.
An einen
weiteren Stelle erklärt er das "Auge um Auge, Zahn um Zahn" der jüdischen Bibel, die Tallionsformel, zum Vergeltungsprinzip, das kolonialer Gewalt zugrunde läge. Dabei wiederholt er hier die antisemitische Mär vom "rächenden Judentum", dem im Europa der vielen Judenprogrome die
Vorstellung vom Christentum als der nachfolgenden friedfertigen Religion entgegengestellt wurde. Wer immer die Tallionsformel vom Ursprung (man muss nur die Bibel lesen) löst und zum Sinnbild für Vergeltung macht, betreibt das Geschäft des christlichen Antijudaismus.
Das wirft
Fragen auf. Aber Mbembe ist ein Wissenschaftler, der seine Gedanken entwickelt, von Essay zu Essay also wird man die Antworten wohl finden können.

Was also bedeutet der israelisch-palestinensische Konflikt für ihn?
Mbembe schreibt:
"Die spätmoderne koloniale Besatzung unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der frühmodernen Besatzung, insbesondere durch die Kombination des Disziplinären, des Biopolitischen und des Nekropolitischen. Die vollendetste Form der Nekro-Macht ist die heutige
koloniale Besetzung Palästinas."
Nekropolitik ist ein Begriff, der von Mbembe geprägt wurde.
Halten wir an dieser Stelle nur fest, dass es im kolonial-/postkolonialen Raum für Mbembe nichts schlimmers gibt als Israel. ´@APosener hatte bereits darauf hingewiesen, dass Mbembe in
Bezug auf Menschenrechtsverletzungen wohl die Aktualität fehlt.

Anschließend stellt Mbembe den israelisch-palästinensischen Konflikt aus seiner Sicht dar, wobei hier der Fußnote 53 in der Mitte des Absatzes besondere Bedeutung zukommt.
Ich gebe den Abschnitt hier vollständig in der englischen Übersetzung an, bevor wir die Sätze einzeln betrachten.
Mbembe hatte an anderer Stelle geschrieben, dass der "Mord an den europäischen Juden" unter anderen Bedingungen und in anderem Ausmaß stattfand als die Apartheid der Buren. Dabei handelte es ich um jenen Einschub in einem Satz, der von @APosener nicht wiedergegeben wurde, was
einen Redakteur des @dlf dazu brachte zu behaupten, das Zitat wäre verfälscht. Das es ich dabei um einen Binsenweisheit handelt, hat Ingo Elbe in @MENA_WATCH zu Recht dargestellt.
Die "besonderen Bedingungen" stellt Mbembe uns nun vor.
Hier behauptet Mbembe, dass die Gründung Israels und sein Bestehen allein auf einer Idee eines "göttlichen Existenrechts" beruhen. Natürlich gibt es Volk und Israel in der Thora, aber die Existenzgründung hatte einen anderen Hintergrund: Dass die Juden aus Mittel- und Osteuropa
Unterdrückung und Pogrome satt hatten, um es lapidar zu sagen. Die Anerkennung durch die UN war ein äußerst säkularer Akt.
Das ist ein interessanter Hinweis. Nehmen wir hier nur als möglichen (und bitteren) Gedanken zur Kenntnis, das für Israel niemals gilt, was andernorts selbstverständlich ist; das Ende des WWII war der Anfang gigantischer Menschenverschiebungen in Europa, um es zu umschreiben.
Man muss diese Geschichte nicht gutheissen, die nicht nur Deutsche betraf, die den WWII vom Zaum gebrochen hatten. In der historischen Perspektive verfolgten aber verschiedene Staaten die Politik einer Befriedung durch räumliche Trennung. Das kann Mbembe nicht unterschlagen, der
Historiker sein soll.

So, und jetzt folgt ein Schlüsselsatz, mit anderen Worten, es wird übel.
Israel, die jüdische Nation, wird als nach innen einschließend, nach außen verschließend dargestellt, auf einer rein religiösen Grundlage. Das ist schon starker Tobak, der zu Ende gedacht werden sollte. Die unermessliche , die nach Mbembe durch Israel gegen die Palästinenser
ausgeübt wird, ist Folge eines religiös bedingten Abschlusses gegen die Anderen, und da liegt der Schluss nahe, dass hier auch der Topos vom "auserwählten Volk" in der antisemitischen Sichtweise nicht fern ist, also in der von einer Überhebung des jüdischen Volkes über andere.
Mbembe hat für seinen ungeheuerlichen Satz einen Zeugen, die Fußnote 53. Dort ist angegeben:
Halten wir uns nicht allzu lange auf, ich gebe hier einen Auszug aus einer Rezension des Werkes an:
Es ist ein relativ langer und unvollständiger Text, der offenbar eingescannt unformatiert veröffentlicht wurde.
Man kann ihn hier nachlesen:
muse.jhu.edu/article/437383…
Ein wenig Recherche zeigt, dass die Arbeit von Frau Schwartz nicht überall auf Gegenliebe stieß. Wesentlich ist, dass der im Titel geführte Monotheismus nur das Judentum betrifft, und dass sie in ihrer Arbeit darlegt, dass die frühe Gechichte des Judentums, wie sie in der Thora
niedergeschrieben wurde, eine Geschichte des Abschließens nach innen, des Ausschließens nach außen, herbeigeführt durch Landnahme und Gewalt gegen andere, sei. Damit wird die biblische (ich springe mal ein bisschen) Geschichte der Werdung Israels zu einer wesentlich von Gewalt
bestimmten Geschichte.
Ohne diese Feststellungen vergleichend einzuordnen Entstehung der Nationalstaaten in Europa etwa), müssen wir hier festhalten, dass Mbembe eine Arbeit, die sich auf längs vergangene Zeiten bezieht, zur Grundlage seines heutigen Israel-Bildes macht.
Weil in der Arbeit von Schwartz die Entstehung Israels als gewalttätig gewalttätig und ab- und ausschließend beschrieben wird, müssen es die Israelis heute auch sein.
Und das ist ein zutiefst antisemitischer Blick auf Israel und seine Bewohner. Wenn das die Überzeugung Mbembes
ist, dann ist es m.E. gerechtfertigt, ihn eine Antisemiten zu nennen.
Weiter im Text. Was er hier unterstellt als weiteres Argument für seine These, sind Forschungen zur Ur- und Frühgeschichte wie in jedem anderen Land, mit einem Unterschied: Dass Antizionisten und Antisemiten die Historizität der früheren Verbindung von Volk und Land leugnen.
Dabei macht niemand den Ägyptern einen Vorwurf, wenn sie die Pyramiden erforschen und stolz auf die Hochkultur ihrer Vorfahren am Nil sind. Die Einordnung der Äußerung mag jeder selbst vornehmen.
Und nun kommen wir zu einem weiteren, uralten antisemitischen Topos, denn Mbembe zieht nun den Schluss, den ich bereits angedeutet habe: "Exclusivität" als Überhebung über andere.
"Unterwandert" ist hier eine leider fehlerhafte Übersetzung (deepL ist schneller, als ich tippen kann) für "underwritten". Besser wäre, allgemein übersetzt, "wird bestätigt durch" (was ich "unterstrichen" vorziehen würde).
Ich will den Horror-Satz von Mbembe nicht weiter diskutieren, er steht für sich und teilt uns allen mit, was wir wissen müssen.
Mbembe sieht Israel als das auserwählte, gewalttätige, zu Unrecht auf Land beharrende Volk mit dem Blick der Antisemiten. Und falls es noch Zweifel am
behaupteten Nationalcharakter, anhand desen Mbembe unterschiedslos alle Israelis zu den "Anderen" macht, hat er noch eine Kleinigkeit zur Erklärung für seine Leser.
Um Missverständissen vorzubeugen: der "Schrecken des Heiligen" ist hier der behauptete Terror der Israelis. Wenn er nun schreibt, was darunter läge, wagt er sich in den Bereich von Psychologie und Psychoanalyse.
Der Schrecken des Holocaust, der das Volk, den Körper zersplittert
habe, läge also unter den behaupteten Terrorakten, wäre also ursächlich. Diese Vorstellung hat er an anderer Stelle bereits bemüht (hatten wir hier schon), und es führt zu der Frage, warum Mbembe zunächst die Behauptung ins Feld führt, die Israelis wären so, wie sie in der Thora
dargestellt würden, besser von Frau Schwartz dargestellt würden. Der letzte Satz hätte seinem Publikum vollauf genügt, aber es muss für Mbembe auch das alttestamentarische rächende Volk sein.

Die Begründung, die Mbembe uns hier nahelegt,
bedeutet letztlich, dass die Israelis alle psychisch krank seien, unmöglich, selbst in den eigenen Körper zu finden, "zersplittert", wie Mbembe schreibt, und es wäre angebracht, diesem Gedanken weiter zu folgen, konkret zur Bedeutung der NS-Verbrechen für heutiges Handeln in der
in der Vorstellung von Mbembe. Da kommt nichts Gutes raus.

Aber Mbembe wäre nicht Mbembe, wen er die Sache nicht vollständig abhandeln würde, also wendet er sich zunächst der Kriegsführung zu, und dann den Selbstmordattentätern, und zwar palästinensischen.
Ich enthalte dem Leser meine Wiederbegegnung mit Elias Canetti vor, und komme zum Fazit, das Mbembe zieht.
Auch hierzu will ich nicht viel kommentieren. In die Sprache der Antizionisten übersetzt: Israel ist schuld.
Der Selbstmordattentäter ist jemand, der fürchterlich leidet (deshalb die Aufzählung im Absatz zuvor), der keine Zukunft sieht und letztlich Freiheit erlangt, weil er
über seinen Körper verfügen kann, den er zur Waffe gemacht hat. Die Weiterungen dieser Überlegungen lasse ich aus (Selbstmordattentat als emanzipatorischer Akt z.B.), und weise nur darauf hin, dass Mbembe da kein großer Wurf gelingt: Es gibt Israel, es gibt Selbstmordattentäter,
ein wenig Philosophie, im wesentlichen ahistorisch und keineswegs an historischen Bedingungen, Geisteshaltungen oder Ideologien interessiert.
Sie lasen Auszüge aus
Achille Mbembe: Necropolitics
Translated by Libby Meintjes
2003
Quelle: warwick.ac.uk/fac/arts/engli…
Wie Mbembe das Judentum noch so sieht, lässt sich hier nachlesen:
Achille Mbembe: Decolonizing Knowledge and the Question of the Archive
Quelle: wiser.wits.ac.za/sites/default/…
Aus den anfänglichen paar Zitaten hat sich nun dich wesentlich mehr entwickelt. Aus meiner Sicht ist das Israelbild von Mbembe antisemitisch geprägt. Mag sein, dass Mbembe schlicht dem Fehlschluss unterliegt, er müsse bei Israel finden, was er über das Burenregime weiss.
Dass er sich aber öffentlich als von jüdischen Denkern geprägt beschreibt (so soll er sich in der Zeit geäußert haben), lässt tief blicken.
Aber da können mal andere ran.
@APosener @LizasWelt @MENA_WATCH u.s.w.
@threadreaderapp unroll please
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