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Ich muss das hier nochmal loswerden: In einem Interview sagt James Hetfield (Metallica) "We're not political". An dieser Stelle setzt Jörg Scheller nicht an, aber er hat ein fulminantes Buch, ich betone, _zum_ Heavy Metal geschrieben. Er legt hierbei besonderen Wert auf die
ästhetischen Dinge. Und die sind als Form eben implizit politisch, um Hetfield einmal gegenzuparaphrasieren. Wenn Scheller mehr als ein akdemisches Fan- und darum (ja!) lesbares Buch schreibt, für ihn "Metal" mit der Faszination des Erhabenen spielt - man denke etwa an die sehr,
sehr langen Powerriffschlagzeugemonoelegien von The Melvins - und das ambivalent bleibe, wie Scheller behauptet, beim Hören (Spüren?) und Sehen von Metal hiermit kein Bekenntnis zum Heroismus aufgetürmter Klänge verbunden ist, aber ein Durchgang, dann wäre dieser Durchgang
soetwas Wagnerianisches ohne Bayreuth. Man geht durch den Sound und die ganze Show, aber gibt sich außerhalb dieser Erfahrung nicht hin. Metal ist dann eine Expedition und eben darum als Kunst von dem Rest (Geld verdienen für die nächsten Platten oder Downloads) getrennt.
Die Zuweisung, Metal und dieser Erfahrungs-Liberalismus sitzt aber etwas auf, dem ich nicht folgen würde (auch wenn das Modell "Folgen" schon lange nach Camp und Postmoderne nicht mehr Identifikation bedeutet). Abgesehen von den üblichen Accessoires wie Automobilsammlungen,
Großraumjets für die Tour und Nieten/keine Nieten, hält doch das lyrische Ich, wie Scheller das gut literarturwissenschaftlich anzeigt, neben dem Schein des Spiels (der aufgeklärten Romantik) nach Friedrich Schiller zwar das offene und diskutable Terrain bereit, härteste
Verhandlungsbasen aufzumachen, Tod, Mord, Qual, und die Chance diese wie im Theater zu überstehen, aber auch das Bild von der Kunst, die als Abtrennung von dem ganzen Rest (Geld verdienen für die nächsten Scheiben und Downloads, das Streamabo) besteht. Darum habe ich Metal immer
als regressiv empfunden, bei gleichzeitigem Hochhalten der erhlichen Handarbeit und einem sich ehrlichen Hocharbeiten, ganz dem Arbeitsethos entsprechend bei dem für gutes Geld gute Show geboten würde. Eine andere Erinnerung, und die, weil Heavy Metal, wie Scheller
auch beständig anmerkt, nie "ganz" Metal ist: Nachdem der erste Drummer von KISS, der am härtesten (hottesten) arbeitenden Band die Gruppe verlassen hatte, trat Ersatz an. In der Meute vor dem Bühneneingang in einer kleinen Großstadt musste er sich, in der Gunst der
Fans bereits fest verankert, wehren mit den Worten "Let me out". Dieser Widerspruch vom "Let me go" des Rock'n'Roll und dem "Lasst mich in Ruhe", man ergänze "meinen Job machen", der Widerspruch von Publikum (Masse mit vielen lyrischen Ichs) und Professionellem (lyrisches Ich,
jedoch unmassiert) bleibt. Jörg Scheller hat einen langjährig unterfütterten Beitrag geleistet. Er bringt die frühen Themen des Rock('n'Roll) nochmal aufs Tablett, wie Identiät, sublimierte Wut, Energie genannt, Traumata, die Agnostik der Gesellschaft und sicheren Werten
gegenüber. Ein Buch, das "Geschichten, Bands, Platten" oder "111 Gründe für oder gegen Heavy Metal" etc. nicht entwertet, doch im Land von "Wacken" etwas Differenzierung reinbringt. Er gibt auch, seit Black Sabbath sowieso bekannte, Hinweise auf diesen Umstand.
Der Industriearbeiter (feminine und queere Formen inbegriffen, sorry), die Referenz-Figur des Metal, den ja irgendwer auch spielen muss, hat mit seiner Deintellektualisierung und Deklassierung zu tun, aber auch mit seiner Arbeitskraftaufwertung.
Bruce Dickinson ist hier der Genannte, der vollführt, was doch alle können könnten: Studium, geil singen, Erfolg und Zuspruch auf der Bühne (!) und im realen Leben (!) mit echtem Pilotenschein. Die subtile These die Scheller fundieren möchte, die der Kunst neben dem Realen,
bestätigt, was die Kulturdeutung selbst zu fundieren scheint - ihre eigene Funktionsgeschichte an der Funktionsgeschichte von der Kunst-Kultur, die einen besonderen Bereich des Gesellschaftlichen ausmache, von dort aus aber immer wieder sich überschreite, sich selbst entgrenzend.
Matze Schmidt

Jörg Scheller. _Metalmorphosen. Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal_. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2020. 24,00 EURO. steiner-verlag.de/titel/61899.ht…
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