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Vor zwei Jahren war ich wegen meiner Depression erst auf der Krisenstation und dann in der Tagesklinik.

Ich lass ein paar Gedanken dazu hier. Vielleicht helfen sie anderen Betroffenen.

(Langer Thread, #notjustsad)
Ich hatte bereits während des Studiums einen Gesprächstermin in einer Klinik. Damals ging es um die Zwangsstörung. Letzten Endes entschied ich mich gegen einen Klinikaufenthalt. Es war nicht eindeutig nötig und ich wollte mein Studium nicht unterbrechen, solange es noch so ging.
Und da gab es ja auch noch den Gedanken „Was, wenn dort alle viel verrückter sind als Du und Dich runterziehen und es dadurch erst wirklich schlimm wird?“

Wenn ich in die Klinik ginge, würde es offiziell: ich hätte ein Problem und zwar kein kleines.
Also ging ich nicht. Die Zwangsstörung bekam ich auch ambulant in den Griff. Vielleicht hätte ein Klinikaufenthalt damals aber schon grundlegendes Übel bei der Wurzel gepackt und mir spätere Probleme erspart.

Vielleicht aber auch nicht.
Als es mit der Depression losging, kam immer mal wieder aus verschiedenen Ecken das Thema Klinik auf. Und wieder widerstrebte es mir. Einerseits hatte ich bereits zuvor die Dinge allein wieder in den Griff bekommen, andererseits hatte ich auch dieses Mal Bedenken.
Zum einen wollte ich nicht wochenlang in einer Klinikblase Besserung herbei therapieren, die dann zurück im Alltag und wieder auf mich allein gestellt zerplatzte. Zum anderen war auch diesmal der Gedanke da „Dann isses offiziell.“
Es dauerte fast 2 Jahre, bis ich an den Punkt kam, an dem ich bereit für die Klinik war. Sicher hätte ich auch schon früher gehen können, sicher wäre mir dann bisschen was erspart geblieben. Aber Fakt ist: mein ganzes Ich musste es wollen, nicht nur die Vernunft. Und das dauerte.
Der Klinikblasenzweifel war jedoch noch immer stark, daher schlug meine Ärztin für die Zeit nach der Krisenstation, auf der ich zunächst eincheckte, eine Tagesklinik vor. Der „Dann isses offiziell“-Punkt war längst nicht mehr relevant. Hilfe war wichtiger als Scham.
Sowohl Krisenstation als auch Tagesklinik haben mir enorm geholfen. Ich bin überzeugt, dass ich ohne sie längst nicht dort wäre, wo ich heute bin. Aber was war dort anders? Ich hatte auch zuvor Ergotherapie, habe Sport gemacht und bin dreimal die Woche bei der Therapie gewesen.
Ich glaube, für mich war der entscheidende Punkt nicht die Anzahl der Therapiestunden oder das „Rahmenprogramm“, sondern die „Rahmenbedingungen“. Ja, es war nun offiziell und ich hatte mir selbst die Erlaubnis gegeben, krank zu sein und ein Problem zu haben.
Die Erlaubnis, mich in einem geschützten Rahmen ausschließlich diesem Problem widmen zu dürfen. Mich nur auf mich selbst zu konzentrieren. Nicht für andere da sein, nicht für andere funktionieren und mich nicht rechtfertigen müssen.
Der Sinn war zwar, dass es besser werden würde, aber ich konzentrierte mich nicht mehr auf das „Ich will, dass es besser ist!“ sondern auf das „Wie geht es mir gerade?“ und „Was muss eigentlich anders werden, damit es besser ist?“.
Ich war nicht umgeben von funktionsfähigen Menschen, sondern von anderen, die ebenfalls nicht mehr funktionierten und ebenfalls da waren, um sich nur auf sich zu konzentrieren. Gleichzeitig färbte nicht das Elend der anderen auf mich ab, sondern wir stärkten uns gegenseitig.
Die Klinik gab mir Rahmenbedingungen für meinen Ausnahmezustand und erlaubte es mir, meinen Zustand und Stillstand aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Dazu gehörte auch die Überlegung, was sich nach der Klinikzeit würde ändern müssen und wie ich das erreichen könnte.
Die Klapsenzeit versetzte mich in die Lage, Änderungen herbeizuführen, und ich glaube fest daran, dass Änderungen der Schlüssel zu meiner Besserung waren:
Der Therapieformwechsel war grundlegend für mich, denn er führte „Dem Stillstand ein Ende“ nach der Klinik weiter und ermöglichte mir die weiteren Änderungen. Dazu gehörte auch zu erkennen, wo ich selbst etwas ändern kann und wo Änderung tatsächlich (vorerst) nicht möglich war.
Letzteres war besonders fieselig, da die Depression mir ja in allen Punkten einredete, dass Änderung nicht möglich sei, da ich ja depressiv war. In Wirklichkeit waren so einige Dinge sehr wohl veränderbar, und die Klinik und die neue Therapeutin brachten mir bei zu unterscheiden.
Krisenstation und Tagesklinik bedeuteten für mich:

- meine Situation noch mehr anerkennen und zulassen
- Erlaubnis
- Stillstand beenden
- Änderungen anstoßen wo möglich
- erkennen, was geht und was (noch) nicht
- Gleichbetroffene finden und von und mit ihnen lernen
So, das war jetzt ein elendlanges Ding. Keine Ahnung, ob nachvollziehbar, aber vielleicht ja doch und vielleicht hilfreich für andere.

Wer mag, darf gern von eigenen Erfahrungen mit dem Thema “Klinik: yay or nay?” berichten.

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