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Das moralische Entsetzen gegenüber der Geschichte erscheint mir für den Nationalsozialismus angemessen, ja gar nicht anders möglich. Er war der Bruch mit aller Menschlichkeit & Zivilisation. Aber als Historikerin diese Haltung auf den Rest der Geschichte auszudehnen?
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(Es geht in diesem Thread nicht darum, jemandem „Säuberungen“ u. ä. vorzuwerfen, denn die Diskussion um Straßennamen, Denkmäler etc. ist so wichtig. Es geht mir darum: Wie sinnvoll ist es, normative Fragen in der Geschichte grundsätzlich in den Vordergrund zu stellen.)
Eine Person, die Geschichte v. a. unter dem Gesichtspunkt der eigenen moralischen Haltung beurteilt, verfehlt sie nicht zumindest als Historiker/in etwas Entscheidendes: die Einsicht, dass Menschen in anderen Zeiten anders getickt haben - und die interessante Frage, wie das kam?
Natürlich sind wir immer auch subjektiv, und natürlich empört uns vieles. Etwa die historische Stellung der Frau. Doch erscheint mir bei dem erst in jüngerer Zeit ins Wanken gekommenen Glauben, Frauen seinen minderwertig, historisch eben nicht die moralische Frage interessant
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Ist nicht die Frage interessanter, wie das Vorurteil von der Minderwertigkeit der Frau sich beständig reproduzieren und so zäh halten konnte? Erst mit dieser Frage (die durch moralische Empörung gehindert werden kann) sind viele weitere entscheidende Erkenntnisse möglich:
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Etwa warum Demokratie mit Männlichkeit verbunden wurde (um sie zu legitimieren?), warum Revolutionen fast immer Männerspiele waren (u.a. weil Frauen delegitimierend wirkten), warum die weibliche Rede als lächerlich galt, warum die Sprache selbstverständlich nur Männer meint etc.
Oder Kant: ein Frauenfeind und Rassist. Auch hier erscheint mir nicht ein normatives Problem weiterführend, sondern die (unfassbar spannende) Frage: Warum war der Aufklärer in just diesen Vorurteilen gefangen? Woher kommt die Stärke dieser Vorurteile?
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Der historische Kontext bleibt ja immer entscheidend: Misogyne und rassistische Überzeugungen waren kein Bruch, sondern Konsens. Sie waren nicht aus ihrer Zeit gefallene Verbrechen. So würde man sie völlig missverstehen.
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(Anderes gilt wohl für die die Sklaverei oder genozidale Kolonial-Kriegszüge oder die „Congo Atrocities", die alle bereits von vielen Zeitgenossen und vor allem auch von Zeitgenossinnen als Skandal und himmelschreiendes Unrecht empfunden wurden.)
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Wenn wir Geschichte primär moralisch sehen, können wir, befürchte ich, die wichtige Frage schwerlich ergründen:Warum war es für die Menschheit so schwer, unter universaler Gleichheit&Freiheit (dem aufklärerischen Projekt) tatsächlich Gleichheit&Freiheit für alle zu verstehen?
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PS: Zu diesen Fragen wurden ganze Bibliotheken gefüllt. Ich finde (ziemlich altmodisch) Max Webers Ausführungen dazu immer noch gut. Vor allem aber: Zu den von mir genannten Forschungsfragen gibt es etwa in der Geschlechterforschung großartige Studien.
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