Thread by @lokfuehrer_tim

Ach ja, Übach-Palenberg 😊

Gestern vor fünf Jahren habe ich von hier, natürlich unbeabsichtigt, den Bahndamm bis Baal-Hückelhoven in Brand gesteckt. 🔥

(Thread)

Schuld war eine feste Bremse am vorletzten Wagen, ein sog. Shimmns Wagen zum Transport von Coils (gewickelter Flachstahl).

Der Zug bestand aus 22 dieser Wagen, 1.980 Tonnen Gesamtgewicht.
Ich sollte ihn von Aachen nach Köln bringen.

Zwei Besonderheiten gab es an diesem Tag.
1.: Es wurde an diesem Tag ein neuer Hitzerekord aufgestellt, in Aachen waren es an die 38°C, soweit ich mich erinnere.
Die Wochen zuvor war es kaum besser und es hatte nicht geregnet, was eine staubtrockene Vegetation zufolge hatte.

2.: Die direkte Verbindung Aachen - Köln war zwischen Düren und Stolberg wegen Bauarbeiten gesperrt.
Sämtlicher Verkehr wurde deshalb über Mönchengladbach nach Aachen umgeleitet und befuhr diese eine Strecke.
Güterverkehr, Nahverkehr, Fernverkehr.

Der Zug kam eine Stunde früher aus Lüttich und ich war froh, endlich auf die klimatisierte Lok zu können.
Es war wirklich warm 🥵

Der Kollege teilte mit das alles in Ordnung war und so fuhr ich von danen.

Der Zug lief super, keine Anzeichen für Probleme.
Die Strecke hat bis Baal viel Gefälle und bis auf die Rampe Herzogenrath konnte ich die knapp 2000 Tonnen mit der Elektrischen Bremse der Lok gut im Zaum halten.

Alles lief wunderbar (vor allem die Klimaanlage)

Vor Baal Hückelhoven befindet sich eine Festbremsortungsanlage.

Diese Anlage misst beim drüber fahren jede einzelne Achse auf Temperatur und vergleicht sie miteinander.
Schlägt ein Wert zu weit aus, schlägt die Anlage beim zuständigen Fahrdienstleiter Alarm

Als ich nach Baal rein kam, stand das Ausfahrsignal Baal Güterbahnhof auf Halt.
#TeamHp0 ist ja nichts ungewöhnliches 😏

Bis der Fahrdienstleiter anrief.
"Kollege, die FOA hat angeschlagen. Achse 85 bis 88. Ich stelle dich in Baal"

Na toll 🙄

Erst dachte ich an einen Messfehler, der Zug lief doch super.

Bis direkt danach die Zugüberwachung anrief.
"Sag mal, bist du der mit der festen Bremse? Überall wo du her fährst fängt die Strecke an zu brennen!!!"
"Fahre halt nen heißen Reifen Ha Ha"

Er lachte nicht.

Mir war das Lachen auch schnell vergangen.
Angekommen in Baal hieß es erstmal kurz überlegen, was jetzt zu tun war.

1. Zug gegen wegrollen sichern.
Da ich allerdings die Bremsen im gelösten Zustand kontrollieren muss, zog ich die Handbremse am ersten und zweiten Wagen an (🥵)

2. Mit Werkzeug und Wagenliste den Zug absuchen.
Aufgrund der Angabe vom Fahrdienstleiter hatte ich den vorletzten Wagen als den Übeltäter identifiziert.

Auf dem Weg Richtung Zugschluss konnte ich bereits ein wildes Konzert von Martinshörnern erkennen. Ohwei.

Noch bevor ich am betroffenen Wagen ankam, konnte ich von weitem das Flimmern der Luft erkennen.
Bereits rund 40 Meter vorher konnte man die Hitze der Bremsen auch deutlich wahrnehmen.
Trotz 38°C Außentemperatur.

Am vorletzten Wagen dann die Gewissheit: Feste Bremse, wie aus dem Lehrbuch.
Die Bremssohlen glühten noch etwas. Man sah deutlich, dass sie an den Seiten Ausbrüche hatte, weshalb auch die Vegetation in Brand geriet. Der Korrosionsschutz der Räder war ebenfalls abgeplatzt.

Nun galt es den Wagen zu untersuchen und ggf. wieder lauffähig zu machen.

Zuerst: Bremse ausschalten und Steuerventil entlüften, damit die Bremssohlen ablegten.
Gleichzeitig kontrollieren, ob eine der Sohlen gebrochen war.

Die Bremse löste und die Sohlen waren soweit in Ordnung

Danach: Kontrollieren, ob Aufschweißungen zu finden sind.
Ein sicheres Zeichen, dass die Räder blockiert waren.

Passiert dies über eine längere Strecke, "schleift" das Rad die Oberfläche der Schiene ab und schweißt das Material vor sich auf.

Ist dies der Fall, war es das.

Aber auch hier, keine Aufschweißungen.
Das Rad war auch sonst nicht sichtbar beschädigt, außer der Farbabbrand durch die Hitze.

Weiter: Was für eine Bremse habe ich!?

Kunststoffbremsklötze sind inzwischen die Regel, haben aber auch das Problem das sie die Hitze nicht richtig an das Bremsgestänge weiterleiten können.

Die alten Graugussbremsen sind da im Vorteil.

Die Überprüfung ergab: Der Wagen fuhr mit Graugussbremsen und hatte thermisch hochbelastbare Radsätze.
Zu erkennen an den zwei weißen Strichen auf dem Radlagerdecker.
Das ist wichtig, da diese Radlager mit dieser Hitze ohne Probleme umgehen können.

Was war also die Lage!?
Bremse fest.
Keine Aufschweißungen.
Bremse legt ab.
Bremse thermisch belastbar.
Keine weiteren Schäden.

Nach einer dreiviertel Stunde hatte ich meine Untersuchung abgeschlossen und kam zu dem Entschluss: Bis Köln kann ich den Wagen mitnehmen.

Nachdem ich den Wagen samt Schäden weiter gemeldet hatte, musste ich die ausgeschaltete Bremse in der Berechnung der Bremskraft berücksichtigen.

Und wieder Glück: Die neue Bremskraft, sog. Bremshundertstel, erreichten das geforderte Minimum.
Yaay.

Nach etwas über einer Stunde konnte ich meine Fahrt fortsetzen.

In der Zeit waren mehrere Feuerwehren mit den Böschungsbränden beschäftigt.
Aachen war gut eineinhalb Stunden vom deutschen Bahnverkehr abgeschnitten.
Der Sachschaden lag im sechsstelligen Bereich.

Gleissperrung, Verspätungen und Verzögerungen, verpasste Anschlüsse und vieles mehr.
Alles, weil ein kleines Bauteil einen defekt hatte.

Kleine Ursache, große Wirkung.