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Egal ob ob wir seine Verfechter oder Verächterinnen sind: Warum ist der Kapitalismus so unfassbar erfolgreich? Die Antwort ist natürlich zu schwierig für Twitter. Aber ein Blick auf die Zeit des Kaiserreichs, als er so richtig abhob, hilft vielleicht weiter.
So wie die Plausibilisierung des Gleichheitsgedankens nicht ohne Nation möglich gewesen wäre (Dieter Langewiesche bezeichnet Nation als "Gleichheitsvehikel“), so hätte die Massenpolitisierung ohne den Kapitalismus und seine Auswirkungen kaum stattfinden können.
Der Kapitalismus riss die Grundfesten der Gesellschaft ein, nichts im Leben der Menschen ließ er unberührt. Er zerstörte die alten Werte und Hierarchien, bot den Nährboden für brutale Ausbeutung. Und die Ungleichheit stieg in nicht gekannte Höhen. Aber das war nur die eine Seite.
Entscheidend war: Der wachsende Wohlstand kam trotz steigender Ungleichheit allen zugute. Um 1900 steigen die Reallöhne auch der Ärmsten. Werner Plumpe weist darauf hin: Die Massenproduktion bedurfte der Massen zum Konsumieren.
Das großartigste Wunderwerk der Industrialisierung war wohl ihr Beitrag zur Ermächtigung der Massen: Die vielen Männer, die der Kapitalismus ausbeutete, katapultierte er in die Politik. Der unterdrückte Mann, der die Drecksarbeit erledigte, wurde zum politischen Akteur.
Die Sozialdemokratie, in der sich die Arbeiter (und langsam die Arbeiterinnen) organisierten, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Aber vieles kam zusammen. Die Ermächtigung der Arbeiter*innen war ohne ihre Ermächtigung als Konstument*innen & Steuerzahler*innen kaum möglich.
Der Kapitalismus erwies sich als unglaublich attraktiv. Weit wichtiger als Sonderanfertigungen von Luxusgütern war die Massenware: die preiswerten Schuhe, die guten Unterhosen für alle, immer bessere bezahlbare Medikamente & Hygieneartikel, der billige Schmuck, das Fahrrad.
Lange bevor Stalin die Moskauer U-Bahnstationen als Paläste fürs Volk schuf, entstanden mit den Warenhäusern Prachtbauten für die Massen. Mit historistischem Prunk präsentierten sie die Verlockungen der neuen Zeit.
So ergab sich der überwältigende Erfolg des Kapitalismus also wesentlich daraus, dass er die Massen bediente. Diese bedurften dafür gar nicht der Produktionsmittel & der Abschaffung der materiellen Ungleichheit. Entscheidend war der Wohlstand auch für die Ärmsten.
Nachtrag 1: Wichtig war ein starker Saat, der (oft gedrängt von der Sozialdemokratie) den Kapitalismus zähmte. Die Arbeitszeiten sanken, der Arbeitsschutz nahm zu, die Löhne stiegen um 1900. Der moderne Interventions- und Wohlfahrtsstaat ist ein Kind der Zeit des Kaiserreichs.
Nachtrag 2: Nein, der wachsende Wohlstand war kein Produkt der Ausbeutung anderer Weltteile. In Deutschland war der Kolonialismus für den Staat eher ein Zuschussgeschäft (Bismarck & die Sozialdemokratie hatten es immer geahnt). Auch in den USA gibt es diesen Zusammenhang nicht.
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