Meine Eltern sind 1981 aus Polen immigriert. Ihnen wurde von einer bilingualen Erziehung abgeraten. Von deutschen MitarbeiterInnen aus dem Durchgangslager Friedland, als auch von den polnischen Familien, … [1/10]
… die bereits vorher in die BRD immigriert waren. Weil meine Eltern schlesische Polen sind & der schlesische Dialekt innerhalb Polens eher als bäuerlich belächelt wird, gab es wenig Selbstwertgefühl & kaum empfundenes Bedürfnis, diese Sprache an uns Kinder weiterzugeben. [2/10]
… Dass ihr Sohn später einmal Bücher schreiben und mit Lesungen sein Geld verdienen würde, konnten sie nicht ahnen. Aber ich ertappe mich jeden Tag bei dem mich wurmenden Gedanken, dass ich das, was ich hauptberuflich tue, auch genauso gut zweisprachig hätte tun können. [3/10]
... Man hat mir meine Muttersprache verwehrt & meine kulturelle Herkunft vorenthalten, weil der Zeitgeist es diktiert hat. Das schmerzt bis heute sehr. Schmerzhaft war auch das wiederkehrende Erlebnis, mich mit dem Großteil meiner Verwandten nicht verständigen zu können. [4/10]
… Ich habe nie ein spielerisches oder ernsthaftes Gespräch mit meinen Großeltern geführt, nicht mit meinen Onkeln & Tanten, nicht mit meinen Cousinen & Cousins. Diese für die meisten Menschen völlig alltägliche Erinnerung gibt es nicht in mir. Und ich vermisse sie. [5/10]
... Meine Eltern haben mit viel Elan & Herzblut Deutsch gelernt. Aber wie viele andere MigrantInnen aus dem nicht-intellektuellen Lohnarbeitssektor haben sie dort damit aufgehört, wo ihnen das nötige & bequeme Mindestmaß erreicht schien. Jedes Gespräch, jede Diskussion, … [6/10]
... die ich mit ihnen führen möchte, ob emotional oder intellektuell, scheitert an den Grenzen unserer Sprache. Denn die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt. Scheitert daran, dass sie die notwendigen komplexen sprachlichen Strukturen nicht verstehen, … [7/10]
... die manche Themen und manche Gefühle verlangen, und ich die klaffenden Lücken, durch die mir verwehrte Muttersprache, nicht füllen kann. Das war schon immer so und das bittere Gefühl darüber, ist ein wummerndes Grundgeräusch meiner Kindheit, dass bis heute nachhallt. [8/10]
... Jede Sprache ist ein Schlüssel zu einem Teil unserer Gesellschaft. Der Gesellschaft als Konzept im Großen und der Einheit im Privaten. Sei es unsere Herkunft, unsere Gegenwart oder unsere Zukunft. [9/10]
... Und wer in einer globalisierten Welt behauptet, es würde reichen nur einen dieser Schlüssel in seiner Hosentasche spazieren zu führen, wer es geradezu verlangt oder vehement verteidigt, der ist entweder ein Dummkopf oder ein Rassist. Meine Eltern sehen das genauso. [10/10]
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Stell dir vor, du bist Zwölf. Die Mutter eines Schulfreundes tötet 5 ihrer 6 Kinder. Nur dein Freund überlebt. Du erkundigst dich via WhatsApp um sein Wohlbefinden und dann ruft die Bild-Zeitung bei dir an und belabert dich so lange, bis du ihnen Screenshots vom Verlauf schickst.
Stell dir vor, du bist Elf. Deine Mutter tötet deine 5 Geschwister. Du kannst nicht zurück nach Hause, du kannst nicht zurück zur Schule. Ein Schulfreund erkundigt sich nach deinem Wohlbefinden und am nächsten Morgen siehst du Screenshots eures Chatverlaufs im Internet.
Stell dir vor, du bist Zehn. Du willst Journalist werden. Jahre später hast du es geschafft & dein Arbeitstag besteht darin, eine Schule durchzutelefonieren, bis du ein Kind findest, daß dir den Chatverlauf mit dem Mitschüler überlässt, der grade seine 5 Geschwister verloren hat.
#WarumichBerlinliebe
Berlin-Wedding. 9 Uhr morgens. Pünktlich wie die Maurer steht ein Techniker der Hausverwaltung in meinem Flur. Im Gepäck: Vier Rauchmelder.
„Tach.“
„Guten Morgen.“
„Uhhh, symmetrisch, wa?“
„Bitte?“
„Se woll'n die Jungs symmetrisch, wa?“
„Welche Jungs?“
„Na, die Rauchmelder.“
„Ähm.“
„Sag'n Se ruhig janz offen. Seh ick doch wie's hia ausschaut.“
„Ähm.“
„Ick kann och meenen Werkzeugkasten schön orthogenial zu dem Kommödchen stell'n.“
„…“
„Nich, dass Se mir später selber uffe Leiter kraxeln.
„…“
„Und dann verlier'n Se schon uffer zweeten Sprosse die Balangs und brech'n sich den Hals.“
„…“
„Oder Se zieh'n sich’n Splitter und weil Se nicht jeimpft sin, krieg'n Se Wundstarrkrampf und ick bin wieda Schuld.“
„Wieder?“
„Also Herr Hamlet, wie hätt'n wir's denn jern?“
„Hamlet?“
Schönen Gruß aus dem ICE Richtung Berlin. Falls mir eine KATRIN aus Hildesheim folgt. Deine Eltern Jürgen und Susanne finden es nicht so gut, dass du den 25. Dezember bei den Eltern deines Freundes Micha verbringst.
Besonders dein Vater hofft, dass sich das Thema Micha nächstes Jahr erledigt haben wird. Er habe schon letztens bei der Taufe von Ines [Wirklich? INES!?] gemerkt, dass du immer so unwirsch geworden bist, wenn Micha nur mal falsch geguckt hat.
Und dass du nach sechs Jahren Beziehung und mit Anfang Dreißig noch nicht schwanger seist, spräche ja wohl Bände.
Für alle, die sich Fragen, wie der Arbeitsalltag eines #Freiberuflers so aussieht: Ich hatte heute um halb zwölf einen Skype-Termin. Mit meiner Mutter.
Warum? Weil die gute Frau A) eine völlig falsche Vorstellung vom Arbeitsalltag eines Freiberuflers hat und B) vierzehn Monate vor dem wirklich lange ersehnten Ruhestand noch eine digitale #DSGVO-Weiterbildung machen muss.
Offiziell übrigens allein.
Offiziell ohne Unterstützung.
Offiziell während ihrer Arbeitszeit.
Aber wir alle wissen, was das heißt.