Thread by @mic_tra

Heute: 1. Verhandlungstag Sicherungsverfahren um Schuldfähigkeit von Daniel S., der Tötung von Arkan K., 15-jähriger geflüchteter Êzide, in #Celle im April einräumte, aber sagte, er habe niemand töten wollen. Hinterbliebene hoffen auf Gerechtigkeit. Frage nach Motiv bleibt.

In Aussagen des Beschuldigten ging es um den Tagesablauf vor der Tat und um Drogenkonsum am Tattag & im Allgemeinen. In Vernehmung wurde die allgemeine Lebenssituation des 30-Jährigen abgefragt. Die Tat gestand Daniel S., beteuerte aber auch, er habe niemand töten wollen.

Auf mehrfache Nachfrage will S. den 1,65m großen Jungen oder jegliche Details zu dessen Erscheinungsbild kurz vor der Tat nicht wahrgenommen haben. Den gesamten Tag hätten Stimmen in seinem Kopf seine Handlungen kommentiert. Er habe gedacht, er würde angegriffen und stach zu.

Mehrfach verwendete S. das Wort "Affekt" und sprach davon er habe einen "Schub" gehabt. Zu Beidem konnte er keine eigenen Umschreibungen finden. Weitere Fragen nach Haar- und Hautfarbe des Opfers blockte S. ab. Bei Frage zu politischer Einstellung sagte er, er wähle CDU-Grüne.

Die Frage nach Verbindungen in die rechte Szene durch Nebenklageanwalt, winkte Daniel S. ab. Er trolle nur ab und zu. Fragen nach rassistischen Sprüchen, die S. bei Klassenfahrt in der 10. Klasse gesagt haben soll, wich er aus, beschuldigte Andere und blickte auf seine Hände.

Auf die Frage von Nebenklageanwalt, woher das besondere Interesse in der Schulzeit für Jahre der NS-Schreckensherrschaft gekommen sei, antwortete S. er sei allgemein sehr an Geschichte interessiert. Danach zeigte S., das ihm Unterschied zwischen Totschlag und Mord bekannt ist.

Zwei Zeugen beschrieben nacheinander den Tathergang. Bei einem Zeugen drängte sich die Frage nach anderen Personen auf, die der junge Mann, kurz vor der Tat mit S., an der Treppe auf der dieser saß, gesehen haben will. Nach der Tat sollen diese S. "Komm, komm." zugerufen haben.

S. verletzte wohl auch diesen Zeugen mit dem Messer, als dieser versuchte ihn am Wegrennen zu hindern. Der genaue Hergang scheint unklar. Die Polizei habe sich aber geweigert, seine Anzeige wegen seiner eigenen Verletzungen aufzunehmen, erzählte der junge Logistiker.

Der zweite Zeuge war mit Reanimation und Erstversorgung des Opfers beschäftigt und konnte sich an keine weiteren Details erinnern. Es folgte Vernehmung des Polizeibeamten, der S. unmittelbar nach der Tat in Gewahrsam nahm, in einem Bulli zur Wache fuhr und Maßnahmen durchführte.

So ging es um Aktenvermerke des erst seit wenigen Monaten im Dienst tätigen Polizeibeamten. In einem Vermerk, heißt es, der Beschuldigte sei "völlig neben sich gestanden". Genau an etwas festmachen konnte der Beamte das nicht; außer an Ausrufen, die spannend sind:

So soll Daniel S., kurz und unmittelbar nach Verhaftung laut einem Aktenvermerk des Beamten wohl gerufen haben: "... die Kanaken haben mich angefixt und verfolgt, die haben mir einen Knopf ins Ohr implantiert". Auf erneute Nachfrage will sich Polizist ...

.. nicht an Wort "Kanaken" erinnern können. Im Verlauf der Vernehmung kann er sich aber auch nicht mehr an bearbeitete Formulare erinnern oder Nachfragen zum unmittelbaren Tathergang beantworten. Die Bodycam war versehentlich nach 30 Sekunden deaktiviert worden.

Abschließend sprach der Rechtsmediziner, der Obduktion des Jungen durchgeführt hatte. Todesursache: Schockbedingtes Herz-Kreislaufversagen wegen Blutverlust. Bilder der Tatwaffe, eines 12,5cm langen Küchenmessers, wurden gezeigt.

In der Mittagspause versammelten sich auch Angehörige des getöteten Jungen vor dem Gericht, stellten Bilder und Kerzen auf und gedachten Arkan K..

Am Ende des 1. Verhandlungstag stellt Nebenklagevertreter Murat Kilinc klar, es gehe darum eine Überleitung in Strafverfahren zu erreichen. Dafür sei auch Nachweis einer rechten Gesinnung wichtig. Bei wichtigen Fragen weiche der Beschuldigte aus und könne sich nicht erinnern.

Kilinc benennt auch klar möglichen rassistischen Hintergrund: "Er verwendet die Worte Kanaken - Kanaken verfolgen mich. Und plötzlich fährt da ein ausländischer Mitbürger lang, den sticht er nieder. Wir sehen die Verbindung da." Rechtlich müsse dies aber erst nachgewiesen werden.

Laut Behiye Uca, die Hinterbliebene vor Gericht begleitete, sagte die Mutter des getöteten Jungen, nach dem ersten Prozesstag, für sie sei wichtig, dass Gerechtigkeit geschehe. Ein längeres Interview mit Kochar Sido Khidir findet sich beim @ndaktuell: neues-deutschland.de/artikel/113564…

Unmittelbar nach der Tat wurde durch die Staatsanwaltschaft Celle, in Pressemitteilungen nur wenige Stunden nach der Tat ein politisches oder "ausländerfeindliches" Motiv ausgeschlossen: presseportal.de/blaulicht/pm/5…

Es kam erst zu Diskussionen über mögliches rechtes Tatmotiv, nachdem herauskam, dass der Beschuldigte auf Facebook zahlreiche zutiefst rassistische und antisemitische "Fun-Seiten" likte.

https://twitter.com/stoerungsblog/status/1248287495080620032?s=20

Weitere Diskussionen kamen auf, da sich der Beschuldigte online auch mal gegen Verschwöhrungsideologien äußerte. Eine Einordnung rein auf Basis des Online-Profils ist nicht möglich, wie @doku_nKuhn hier zusammengefasst hat:

https://twitter.com/doku_nKuhn/status/1248547406565838848?s=20

Die Frage nach den Motiven bleibt.

Ich werde auch über die kommenden Prozesstage berichten. Der @FlueRat_Nds ruft zu einer kritischen Prozessbegleitung auf. Nächster Sitzungstermin ist der 14.10.20., Landgericht Lüneburg. Weitere Threads folgen.

https://twitter.com/FlueRat_Nds/status/1313517483060596736

@threadreaderapp unroll.