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31 Oct, 18 tweets, 3 min read
Dass Flecktarn und Kampfstiefel am Schreibtisch albern ist und aussieht, geschenkt. Aber wie zusammengepfercht arbeiten die Leute da? Am Computer sitzend mit Maske, um zu telefonieren?Zusammen in einem Raum? Sind die nicht ganz dicht? Gesundheitsamt?! bz-berlin.de/berlin/mitte/l…
Schaut euch das Bild an. Mindestens einer von den Leuten auf dem Bild ist infiziert - oder wird es fast sicher in den nächsten zwei Wochen sein. Ich würde es ablehnen, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, aber das sind ja Beamte und Soldaten, die kann man verheizen.
Die Masken bringen bestenfalls Faktor 10 - statt nach 1 Stunde ohne Maske steckt man sich mit Maske dann nach 10 Stunden an. Und überhaupt, das sind doch überwiegend Tätigkeiten, die man alleine aus dem Home-Office machen kann - wieso hocken die alle aufeinander?
Finde dieses Bild jedenfalls extrem schockierend. Kein Wunder, dass die Gesundheitsämter versagt haben, wenn da offenbar komplette Vollpfosten in Verantwortung sind und niemand für 5 Pfennig mitzudenken scheint.
Vielleicht ist das einfach Auswuchs einer jahrzehntealten Berliner Vernachlässigungskultur, die sich oft sichtbar in den Räumlichkeiten manifestiert, in denen Staatsbedienstete ihre Arbeit verrichten müssen.
Dass es reinregnet, nach Abwasser stinkt, nur braunes Wasser aus dem Hahn kommt oder Putz von der Decke fällt ist eher die Ausnahme, kam aber in Polizeirevieren und Schulen häufiger vor.
Was ich aber fast noch schlimmer fand war eine vollständige Ignoranz für Ästhetik, als hätte man Wandfarben, die man zum fünften Mal aufgetragen hat, ohne die alten Schichten zu entfernen, aus Resten im Keller zusammengemischt hat.
Manche Büros sehen aus, als wären sie mit Möbeln vom Recyclinghof ausgestattet worden, andere haben die Wände verstellt mit Regalen bis zur Decke, vollstopft mit geheimnisvollen Akten und Kladden, die wahrscheinlich seit Jahrzehnten nicht mehr angefasst wurden.
Das betrifft aber alle mögliche Ebenen. Das Büro der Wirtschaftssenatorin etwa, in dem ich gelegentlich zu Gast war, hatte 2015 undichte Fenster, von denen die Farbe abblätterte und eindringendes Wasser das Parkett hat aufquellen lassen. Weiss nicht, ob das jetzt repariert ist.
Der Berliner Verfassungsschutz hatte dagegen frisch renovierte Räume gegenüber dem roten Rathaus, nur für anständige Möbel hat es auch da nicht gereicht, so dass viele Bedienstete sich Möbel von zu Hause mitgebracht hatten, und entsprechend sah es dann auch aus.
Ja, man kann auch in häßlichen Räumen inmitten von Sperrmüll gute Arbeit leisten, aber das ist einfach ein sichtbares Zeichen für all die unsichtbaren Dinge, die nicht in Ordnung sind, etwa die IT-Systeme oder die Verwaltungsprozesse oder den Mangel an Fürsorge für Beschäftige.
Ganz abgesehen davon hilft es nicht gerade, gute Leute für die Verwaltung zu finden, wenn die Räumlichkeiten schon schreien: Hier wirst du wie ein wertloses Ding behandelt und nicht wie ein wertvoller Mitarbeiter. Sei froh, dass du einen krisensicheren Job hast, Luxus ist nicht.
Man braucht sich dann auch nicht zu wundern, wenn es nicht funktioniert, wenn wie im Gegensatz zu früher, wo man als Beamter auch schon mal in eine Dienstvilla zur Verfügung gestellt bekam, heute die Elite einen weiten Bogen um den Staatsdienst macht.
Villa muss es jetzt nicht sein, aber warum muss fast jeder Besuch auf einem Berliner Amt wie eine Reise ins vorletzte Jahrhundert anmuten? Zumal es in Deutschland und in anderen Ländern viele Beispiele gibt, dass Ämter auch genau so gut aussehen können, wie private Geschäfte.
Ich meine, was glaubt die Politik eigentlich, warum erfolgreiche Firmen ihre Zentralen und Räumlichkeiten von Architekten regelmäßig modernisieren lassen? Ja, Berlin war arm, man sparte, aber 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kenne ich in Berlin nicht eine schicke Amtsstube.
In Tschechien habe ich dagegen sogar in der Provinz Neubauten erlebt, die durchdacht und ästhetisch und technisch auf der Höhe der Zeit waren. Ach, sogar in Brandenburg ist ein Amtsbesuch oft die reinste Wonne, im Vergleich zu Berlin jedenfalls.
Nicht, dass es Berlin nicht könnte, aber nach 1990 war in Berlin alles doppelt und aufgebläht und Berliner Verwaltung war primär ein Entsorgungsproblem. Das hat sich in den letzten 10 Jahren zwar geändert, aber jahrzehnte Unkultur lässt sich nicht mal so eben wegzaubern.
So lange die Führungskultir, Arbeitsbedingungen und Räumlichkeiten in der Berliner Verwaltung so erbärmlich sind, können wir auch keine Spitzenleistungen von einer verwahrlosten Organisation erwarten, die sich einen Dreck um die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter schert.

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