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20 Nov, 28 tweets, 5 min read
Tag 20 der Kontaktbeschränkungen: Quo vadis? Ein Thread. Wird etwas länger. (1/28)
Die Kurve scheint abgeflacht. Oder ist sie es nicht? Der Wert der Neuinfektionen erreicht heute einen neuen Höchststand mit 23.648. Den 7-Tages-Durchschnitt verändert das wenig, der bewegt sich nun seit dem 11.11.2020 in einem Seitwärtskorridor zwischen 18.300 und 18.500.(2/28)
Das Datum macht allerdings etwas hellhörig, denn am 11.11. wurde die Teststrategie in den Krisenmodus umgeschaltet. Wegen Überlastung der Labore und Gesundheitsämter. Seitdem gilt: mildere Symptome ohne nachgewiesenen Kontakt erfordern keinen Test mehr. (3/28)
Zu Entlastung der Labore hat das anscheinend unmittelbar beigetragen - die Anzahl der Tests sank in der vergangenen Woche bekanntlich um etwa 12%. Genauer: die Zahl der Tests in den Laboren der ALM e.V., die etwa 90% der deutschen Labore vertreten. (4/28)
Gleichzeitig stieg lt. RKI die Positivquote der durchgeführten Tests von rund acht auf neun Prozent. Man muss jetzt also nur noch rund elf Tests durchführen, um eine positive Person zu finden. (5/28)
Weniger Tests,höhere Positivquote - das übersetzt sich in wachsendes Dunkelfeld. Die Frage ist: Zeigt uns die Kurve noch die aktuelle Entwicklung? Haben wir sie wirklich abgeflacht, den Trend gestoppt, oder haben wir sie abgeschnitten, sehen nun nicht mehr, was passiert?(6/28)
Es könnte ein wenig von beidem sein. Darauf weisen jedenfalls weitere Indikatoren hin. (7/28)
Die Zahl der momentan aktiv Erkrankten befindet sich auf einem Höchststand seit Frühjahr. Kein gutes Zeichen. Denn das sind die, bei denen sich andere anstecken können. Ungebremster Anstieg hier, plus sich ausweitendes Dunkelfeld, ist erst recht keine gute Nachricht. (8/28)
Die Zahl der tägl. Todesfälle steigt weiter an, der 7-Tage-Schnitt liegt hier erstmals seit dem Frühjahr über 200. Aktuell sind wir bei 204. And counting. Wir werden also auch in dieser Woche 1.200-1.500 Tote haben. Aber diese Kurve würde auch als letzte zurückgehen.(9/28)
Keine klare Entwicklung ist bei den Intensivpatient*innen zu erkennen. Seit Mitte Oktober sind etwa 14.000 Menschen mit Covid-19 auf Intensivstation eingeliefert worden. Knapp 9.300 konnten im gleichen Zeitraum entlassen werden, gut 1.800 sind im Krankenhaus verstorben. (10/28)
Der Trend bei Neuaufnahmen weist weiter nach oben - nicht exponentiell, aber auch nicht gestoppt. Und seit Mitte Oktober auch nicht wirklich gebremst. Bedeutet: wir laufen im Moment noch immer auf eine Überbelegung der Kliniken zu. In der Schweiz ist jetzt Triage. (11/28)
Im günstigsten Falle haben wir die zweite Welle abgebremst. Und das wäre wirklich günstig (ich weiß ja, dass ich eher den düsteren Szenarien zuneige...). Denn es hieße: wir können wirklich Einfluss nehmen auf den Verlauf der Pandemie. (12/28)
Wir können durch unser Verhalten, durch unsere Vorsicht, durch Rücksichtnahme die Ausbreitung des Virus hemmen. Und, in Ausblick auf künftige Impfstoffe, über die jetzt ja viel gesprochen wurde, tatsächlich auch Leben retten. (13/28)
Und bei Covid geht es nicht nur um die Leben der Uralten. Gestern erst informierte mich eine Freundin hier in großer Trauer über den Tod eines Freundes. 57 Jahre alt, gestorben an Covid-19. Mitten aus dem Leben gerissen, einer vita activa als Arzt und als Stadtrat. (14/28)
Diese Geschichten, fürchte ich, werden viel zu wenig erzählt, genauso wie die Geschichten der Langzeiterkrankten- #LongCovid. Meiner Studierenden, die 6 Monate nach ihrer Covid-19-Erkrankung immer noch Atemprobleme hat. Die Krankheit hat für viel zu wenige ein Gesicht. (15/28)
Auch das nehme ich als ein Problem wahr, das unsere Bereitschaft zur gemeinsamen Gegenwehr schwächt. Dieses Denken: hey, es trifft ja nur die anderen. (16/28)
Im ungünstigen Falle: verlieren wir zunehmend den Überblick über das Infektionsgeschehen. Das wäre schlecht. Es kann,s.o., etwas von beidem sein. Die nächsten Tage werden es zeigen, wenn man auch unter dem Krisenmodus bei den Testungen sieht, wie sich Trends entwickeln. (17/28)
In der kommenden Woche werden sich wieder die Kanzlerin und die Ministerpräsident*innen treffen. Wenn man im Moment eins sagen kann, dann wohl dies: Für flächendeckende Lockerungen ist es nicht der Zeitpunkt. (18/28)
Von dem angestrebten Rückgang der Inzidenz auf 50 sind die meisten Bundesländer weit entfernt - nur Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern liegen da nach dem gestrigen Situationsbericht des RKI drunter. Dagegen: 169 in Bremen, 178 in Sachsen, 208 in Berlin. (19/28)
Und auch eine Inzidenz von 50 ist ja eigentlich nur die Grenze, wo die Gesundheitsämter so gerade noch klarkommen. Von 50 bis zu einem massiven Anstieg vergingen in Hamburg gerade mal ein paar Tage. (20/28)
Eigentlich müsste man viel tiefer runter. Und bräuchte dann, vor allem, ein Konzept, wie man über die nächsten Monate kommen will, ohne ständig neue Teil-Lockdowns auszurufen. (21/28)
In dem Rahmen, ceterum censeo, müssen wir auch über die Schulen noch mal reden. Einer der wenigen Gesellschaftsbereiche, wo sich täglich viele Menschen auf engem Raum für längere Zeit treffen. (22/28)
Dabei räumen jetzt auch die Letzten ein,dass sich zumindest Jugendliche in puncto Infektion und weitere Ansteckung von Erwachsenen nicht unterscheiden. (Dass auch die Letzten das erkannt haben, merkt man daran, dass es Hamburgs Schulsenator in einer Pressekonferenz sagt.) (23/28)
Die Leopoldina hat gerade noch einmal dringlich an ihre eigenen Empfehlungen erinnert, Schulklassen zu teilen, um mehr Abstand im Klassenzimmer zu ermöglichen. So wäre ein halbwegs pandemiefester Unterricht denkbar, der Schule ermöglicht und nicht in Quarantäne untergeht. (24/28)
Modelle für den Hybrid- und Wechselunterricht haben viele Schulen in der Schublade. Man könnte in den oberen Klassen, wo sich das Betreuungsproblem weniger stellt, damit anfangen. Man müsste sie nur lassen. (25/28)
Im Weg stehen dabei die Kultusminister*innen, die unbeirrt daran festhalten, Schule sei... nein, "sicher" sagen selbst die nicht mehr uneingeschränkt. Aber "so lange wie möglich" wolle man am Präsenzunterricht festhalten. (26/28)
Wir müssen mal drüber reden, was denn den Rahmen des "Möglichen" definiert. Eine schlichte Verschiebung d. Messlatte, wie @TiesRabe sie vorschlägt ("200 ist das neue 50") kann es wohl eher nicht sein - nicht, wenn wir bei 160 schon den Überblick teils verloren haben. (27/28)
Bleibt gesund. (28/28)

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19 Nov
Wie sicher sind Schulen? Wie viele Schüler*innen stecken sich in Schulen an? Die ehrliche Antwort ist: das wissen wir nur sehr vage (Thread - 1/14).
Es gibt aber immerhin Hinweise. Zum Beispiel hier (2/14).
Die Grafik zeigt, am Beispiel Hamburg, die Inzidenz in den verschiedenen Altersgruppen. Also die Häufigkeit von Infektionen, bezogen auf die Gruppengröße. Etwa von den Sommerferien bis Mitte November. Daten aus der RKI-Datenbank "SurvStat" (3/14).
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4 Sep
@Augstein "Unnötig."

Die Bilder aus Bergamo haben Sie aber schon noch im Kopf? Dass elf Menschen auf der Krebsstation des Hamburger Uniklinikums starben, manche über 70, eine 21? Dass Pathologen feststellten, die Toten der ersten Monate hätten im Schnitt noch zehn Jahre zu leben gehabt?
@Augstein Ja, die Abschirmung der Alten- und Pflegeheime war hart. Für Bewohner und Angehörige. Mit dem damaligen Wissen und der damaligen Risikoeinschätzung war sie aber richtig. Und bleibt es, nur dass wir inzwischen mehr Wege gefunden haben, Schutz und Kontakt zu verbinden.
@Augstein Im übrigen wurde da auch nicht "still hingenommen". Sondern breit, auch in den Medien, diskutiert. Im priv. Umfeld hatte ich ergreifende Schilderungen, wie Betroffene einander nur vom Balkon zum Parkplatz grüßen oder über Erlaubnisse zum Besuch verhandeln mussten.
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