#Mietpreisbremse, das Urteil.
Ein kurzer Thread mit ein paar Beobachtungen. /1
Rn. 82: Das BVerfG räumt mal kurz mit der Vorstellung auf, wenn der Bund keine Kompetenz habe, spreche eine Vermutung für die Kompetenz der Länder. Hui!
[Protipp: Der Verweis auf Literatur zeigt, dass das Gericht hier eine Änderung der Rspr. vornimmt.]
Der Beschluss findet sich hier:
bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Ent…
Rn. 83: "Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen sind grundsätzlich zulässig, gewähren den Ländern jedoch keine über die Öffnung hinausgehenden Spielräume. Konzeptionelle Entscheidungen des Bundesgesetzgebers dürfen durch die Landesgesetzgeber nicht verfälscht werden." /3
Die BReg regiert das ganze Land. Landesregierungen anderer politischer Ausrichtung haben nichts zu melden. /4
Rn. 89: "Je nach Reichweite der bundesgesetzlichen Regelung kann der Landesgesetzgeber von der Rechtsetzung also gänzlich ausgeschlossen oder auf bestimmte Teilmaterien und -gegenstände beschränkt werden." - Wann das eine oder andere gilt, entscheidet: der Zweite Senat.
Rn. 95: "Ein politisches Homogenitätsgebot kennt das Grundgesetz nicht." - Nach dem heutigen Beschluss ein bloßes Lippenbekenntnis.
Rn. 95: Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung bleibt den Ländern "trotz der vom Grundgesetz verwandten Regelungstechnik eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten der Länder" nur eine "Residualkompetenz".
Viele Literaturhinweise, also keine überkommene Rspr.-Linie. /7
Rn. 99 ff.: Auslegung von Kompetenztitel ist verfassungsrechtliches business as usual, das mit Verfassungsinterpretation und den vier Auslegungskanones Wortlaut, Geschichte, Systematik und Telos gelöst werden kann. - Hm. Rn. 100: Telos und Staatspraxis sind wichtig./8
Hm. Staatspraxis ist immer so ein interessantes Argument im Staatsorganisationsrecht. So wie wir's schon immer gemacht haben, ist es richtig. Und zwar ggf. auch unabhängig vom Wortlaut. (Aber das ist nur so eine Nebenbemerkung.) /9
Rn. 107 ff.: Jetzt geht es zur Sache. Was ist "soziales Mietrecht"? Hat der Bund das im BGB abschließend gegeregelt oder darf eine linke Landesregierung hier einen Tropfen "socialen Oels" vergießen?/10
Rn. 110: Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung benennt den Sachbereich „bürgerliches Recht“. Dieser meint unter dem GG das Gleiche wie schon unter der Reichsverfassung 1871 und der WRV 1918. - Take that, Otto Mayer: Von wegen nur VwR besteht. /11
Rn. 111: "Nach dem durch Staatspraxis und Regelungstradition seit nunmehr 150 Jahren geprägten Rechtsverständnis umfasst das bürgerliche Recht die Gesamtheit aller Normen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugerechnet werden." - Ehrfurcht. /12
Rn. 111 (uiuiui): "Entscheidend ist, ob durch eine Vorschrift Privatrechtsverhältnisse geregelt werden, also die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten. ... /13
Rn. 111 (uiuiui cont.): "Ein sozialstaatlich motivierter Eingriff in das Marktgeschehen mit dem Ziel, soziale Disparitäten auszugleichen oder zu beseitigen, lässt den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (...) noch nicht entfallen." - Bisschen sociales Oel geht. /14
Rn. 113: "Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts." - Sperrwirkung vorbereitet./15
Rn. 114: "Das gilt selbst dann, wenn die privatautonom begründeten Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet oder begrenzt werden." - Sperrwirkung, wir nähern uns./16
Rn. 116: "Regelungstradition und Staatspraxis bestätigen diesen Befund. Sie belegen, dass der Gesetzgeber Mietverhältnisse über ungebundenen Wohnraum nach Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht mehr öffentlich-rechtlich reglementieren wollte." - Bärenfalle schnappt zu./17
Rn. 117 ff.: Jetzt kommen sogar einige Altkritiker der ultraliberalen Mietrechtsverständnisses vor, etwa Otto von Gierke (Genossenschaftslehre!).
Die soziale Dimension des Mietrechts ist schon länger klar, wird hier klar. /18
Rn. 132 (das war ein Ritt durch die Rechtsgeschichte!): Ergebnis jedenfalls, das soziale Mietrecht ist vollständig im BGB geregelt. Mehr sozial gibt's nicht. Nur war im BGB steht. Denn da steht's. Was sozial ist im Mietrecht. Nicht mehr. Auf keinen Fall mehr. /19
Rn. 135: Soziales Mietrecht ist konkurrierende Gesetzgebung. - Der Rest der Argumentation ist jetzt eigentlich klar: Weil alles Soziale ja schon im BGB geregelt ist (jaja!), darf Berlin nichts mehr selber hinzufügen. Weil: Mehr sozial geht nicht. Als im BGB steht. /20
Rn. 139: Okay. Die Bundesgesetzgebung dürfte mehr soziales Mietrecht machen. - Aber schon klar: Nicht die Landesgesetzgebung. /21
Rn. 148: "abschließend Gebrauch gemacht". - Jetzt ist die Falle zugeschnappt. Aus die Maus. /22
Rn. 160: Deswegen "sind die Länder von Regelungen zur Festlegung der Miethöhe in diesem Bereich ausgeschlossen". - Aus. Aber so richtig. Falle zu. /23
Rn. 172: "Diese sozialpolitischen Zielsetzungen decken sich nahezu vollständig mit jenen, die den Bundesgesetzgeber zum Erlass seiner Regelungen über die höchstzulässige Miete veranlasst haben." - Deswegen darf Berlin nichts regeln. Sagte ich das schon? /24
Rn. 175: So sehr wir uns anstrengen, andere Kompetenztitel für Berlin können wir nicht finden, wir haben in jeder Ecke des GG gesucht. Sehr gründlich. /25
Rn. 186: Nichtigkeit bedeutet übrigens, dass die höheren Mieten rückwirkend bezahlt werden müssen. - Schluck. Bitter. Unsozial? Ach was, das Mietrecht im BGB ist doch sozial. Das reicht völlig. Was wir uns in der Bundesrepublik halt als sozial so vorstellen. Bzw. das BVerfG./26
Gewiss stimmt Ihr, die Ihr bis hierher gelesen habt und zunehmend alle Hoffnung fahren ließet, mir zu, dass das ein sehr kurzer Thread war. /27 end
Zu diesem kurzen Thread noch der Hinweis auf einen exzellenten Aufsat zu diesem Thema von @team_farahat:
mohrsiebeck.com/artikel/eigent…
/echtes Ende des *sehr* kurzen Threads.

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22 Mar 20
Das Dilemma aktueller verfassungsrechtlicher Kritik ist nicht so sehr der bereits eingetretene #Ausnahmezustand, sondern der Satz: "Not kennt kein Gebot.", der zu schleichender Erosion von (verfassungs)rechtlichen Bindungen führt. 1/n
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