Die Entscheidung kann auch auf den zweiten Blick nicht unterschätzt werden und zwar in mehreren Dimensionen. Dies gilt für den Klimaschutz, aber noch mehr für das Umweltstaatprinzip aus Art. 20a GG allgemein und die Rechte zukünftiger Generationen auf eine lebenswerte Umwelt.
Bisher war die Rolle des Art. 20a GG in der Rechtsprechung des BVerfG nicht in dieser Art konkretisiert worden. Dies Lücke schließt das BVerfG heute und wertet das Umweltstaatsprinzip deutlich auf. Verstöße gegen Art. 20a GG können Grundrechtsverletzungen darstellen.
Damit wird Art. 20a GG justiziabel, auch wenn das BVerfG zu Recht feststellt, dass Art. 20a GG "keinen unbedingten Vorrang" gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern zukommt. Es bleibt zuvorderst eine politische Aufgabe, einen Ausgleich zu finden.
Auch das Vorsorgeprinzip wird gestärkt, vermutlich sogar aufgewertet, wenn es um "die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen" und damit die Freiheit zukünftiger Generationen geht. Wir können Freiheit nicht auf das Hier und Heute reduzieren.
Zum Klimaschutz: Das Ziel der Klimaneutralität hat Verfassungsrang. (Wobei natürlich die Ausgestaltung - bis wann, wie viel Reduktion, wie viel Kompensation? - nicht aus der Verfassung herausgelesen werden kann, sondern politisch definiert werden muss.)
Die Paris-Ziele sind aber nur eine einfachgesetzliche Konkretisierung des Gesetzgebers. Sie sind daher nicht in Stein gemeißelt und könnten durch andere Ziele ersetzt werden.
Die Konkretisierung dieser (oder neuer) abstrakten Ziele über die Zeit kann nicht zu Lasten künftiger Generationen einseitig vertagt werden. Damit wird der Budgetansatz weitergehend als im bisherigen Verständnis auch zu einer rechtlichen Größe zwischen den Generationen.
Konkret gibt das BVerfG dem Gesetzgeber auf, anders als bisher die Klimaschutzziele ab 2030 durch ein Parlamentsgesetz selbst und nicht nur durch eine Rechtsverordnung zu regeln. Dies ist die unmittelbare Wirkung, das KSG muss nachgebessert werden.
Daraus kann aber nicht herausgelesen werden, dass es keine Änderungen am Klimaschutzniveau bis 2030 geben muss. Erst wenn der Pfad ab 2031 ausbuchstabiert wird, zeigt sich, ob wir uns heute ein so großes Stück vom Kuchen genehmigen dürfen oder besser teilen müssen.
So viel auf den zweiten Blick. Ein dritter wird nach der Lektüre von 270 Randnummern sicherlich noch weitere Erkenntnisse und Konkretisierungen dieser Einschätzung mit sich bringen.
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Heute Morgen war ich neugierig, was hinter dieser Meldung zu den geplanten 1.000-Meter-Abständen für Windenergieanlagen steckt. Habe dann von verschiedenen Seiten das Dokument erhalten und durchgesehen. Hier eine erste rechtliche Einordnung. 1/1
Die Wirkung ist wie beim Referentenentwurf des Kohleausstiegsgesetz vom 11.11.2019: Innerhalb eines Abstandes von 1.000 Meter zu bestimmten Gebieten können keine Windenergieanlagen genehmigt werden ("Ein öffentlicher Belang … steht entgegen"). 2/2
Neu sind die Anknüpfungspunkte für die Abstände: Waren dies zunächst 3 (Reine & Allg. Wohngebiete und Dorfgebiete), sind es nun min. 7 Gebiete. § 35a I 1 BauGB-E (neu) erfasst alle Gebiete, in denen bauplanungsrechtlich "Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind". 3/3
Der Entwurf zum nationalen Emissionshandel für den Wärme- und Verkehrsektor (nEHS) ist da. Das neue Gesetz soll Gesetz über ein nationales Emissionshandelssystem für Brennstoffemissionen (BEHG) heißen und soll 23 Paragrafen umfassen (inkl. eines Platzhalters für § 10). 1/22
Seit September wird die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des von der Bundesregierung zunächst in den Eckpunkten und diese Woche im Kabinett beschlossenen Vorgehen diskutiert. Hier eine Zusammenfassung der Entwicklungen und eine verfassungsrechtliche Einordnung. 2/22
Schon im Vorfeld des Klimakabinetts wurde die Frage aufgeworfen, ob ein „Emissionshandel“ mit Fixpreis verfassungsrechtlich möglich sei. Stefan Klinski von und Friedhelm Keimeyer vom haben Zweifel angemeldet (Hervorhebungen hier und im Weiteren nicht im Original). 3/22