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Der Entwurf zum nationalen Emissionshandel für den Wärme- und Verkehrsektor (nEHS) ist da. Das neue Gesetz soll Gesetz über ein nationales Emissionshandelssystem für Brennstoffemissionen (BEHG) heißen und soll 23 Paragrafen umfassen (inkl. eines Platzhalters für § 10). 1/22
Seit September wird die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des von der Bundesregierung zunächst in den Eckpunkten und diese Woche im Kabinett beschlossenen Vorgehen diskutiert. Hier eine Zusammenfassung der Entwicklungen und eine verfassungsrechtliche Einordnung. 2/22
Schon im Vorfeld des Klimakabinetts wurde die Frage aufgeworfen, ob ein „Emissionshandel“ mit Fixpreis verfassungsrechtlich möglich sei. Stefan Klinski von und Friedhelm Keimeyer vom haben Zweifel angemeldet (Hervorhebungen hier und im Weiteren nicht im Original). 3/22
Im Klimapaket wurde dann am 20.9. ein zweistufiger nEHS beschlossen: In einer ersten Stufe sollen die Zertifikate 2021-2025 in unbegrenzter Menge für einen gesetzlich festgelegten Fixpreis veräußert werden. 4/22
.@TspBackgroundEK hat am 23.9. von den Bedenken berichtet, in der BT-Debatte am 25.9. wurde vom @christianduerr die Frage der Verfassungsmäßigkeit aufgeworfen und von @olafscholz als „Vorbereitung eines Gerüchts“ zurückgewiesen. Ab Minute 11:26 hier bundestag.de/mediathek?vide… 5/22
In der von der Bundesregierung am 9.10. verabschiedeten Langfassung des Klimaschutzprogramms (KSP) fanden sich im Vergleich zu den Eckpunkten keine strukturellen Neuerungen. 6/22
Am 16.10. berichtete dann @nora_zaremba im @TspBackgroundEK , dass die Bundesregierung überzeugt sei, „das Gesetz verfassungsrechtlich wasserdicht ausgestalten“ zu können. Eine ausdrückliche Begründung findet sich aber weder in dem Artikel … 7/22
… noch in den am 16.10. im Kabinett beschlossenen Eckpunkten für den nEHS. Zusätzlich zu den bekannten Fakten aus Eckpunkten/Langfassung des Klimapakets fanden sich keine neuen Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit bzw. die zu einer anderen Bewertung führen würden. 8/22
Nun liegt der Gesetzentwurf des @BMU vor, der zur Frage der Verfassungsmäßigkeit schlicht und ergreifend und ohne nähere Auseinandersetzung mit den bisherigen Argumenten feststellt: „Die Änderungen durch dieses Gesetz sind mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar.“ 9/22
Um Gerüchten vorzubeugen hier eine Herleitung der Bedenken anhand der Rechtsprechung des BVerfG und eines Abgleichs mit den vorliegenden Texten und dem BEHG-Entwurf. Ich bin für jedes Argument dankbar, um dazulernen zu können. 10/22
Am 5.3.2018 (1 BvR 2864/13; bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Ent…) hat sich das BVerfG zur rechtlichen Einordung der Veräußerung von Zertifikaten des EU-ETS geäußert. Dabei stellt es (Rn. 26) zunächst klar, dass es sich nicht um eine Steuer handelt, weil eine Gegenleistung vorliegt. 11/22
Für solche nichtsteuerlichen Abgaben muss eine „über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung (Rn. 30), um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auszuschließen. Dafür stellt es im Weiteren auf die Vorteilsabschöpfung ab (Rn. 31). 12/22
Am Anfang der Begründungskette steht eine staatliche Begrenzung. Erfolgt diese nicht durch die individuelle „hoheitliche Verleihung begrenzter Nutzungsrechte“, sondern „nach Marktgrundsätzen, muss allerdings das als knapp definierte Gut mengenmäßig begrenzt werden“ (Rn. 35).13/22
Aus der weiteren Argumentation wird deutlich, warum die Regelungen im BEHG-E das Problem nicht lösen. Dort ist zunächst in § 4 Abs. 1 ein Budget definiert, das sich aus den europarechtlichen Verpflichtungen ableitet. Folglich scheint auch im BEHG ein Cap zu existieren. 14/22
Diese Grenze ist aber nicht hart, denn nach § 5 kann das Volumen verfügbarer Zertifikate nach § 11 Abs. 2 in der Phase 2021-2026 (sic!) erhöht werden. In der Gesetzesbegründung wird der Sinn und Zweck noch einmal sehr deutlich betont (Hervorhebungen nicht im Original). 15/22
Nun könnte man argumentieren (vielleicht der Kniff, den @nora_zaremba suchte?), dass es eine doppelte Begrenzung gäbe: national nach § 4 kombiniert mit den europäischen Vorgaben. Doch auch diese Argumentation würden den Anforderungen des BVerfG nicht genügen. 16/22
Doch das BVerfG fordert in Rn. 35 ausdrücklich, dass sich die Begrenzung bei den verpflichteten Marktteilnehmern auswirkt, um sie zu einem „kosteneffizienten Verhalten“ zu veranlassen. Andernfalls wäre das „Emissionshandelssystem funktionslos“. 17/22
Weitergehend könnte argumentiert werden, dass § 5 nur eine Erhöhung der Zertifikate im Umfang der existierenden europäischen Flexibilitätsmechanismen erlaube. Hier ist der Gesetzestext in der Tat enger als die Begründung und als Eckpunktepapier/Langfassung. 18/22
Ob dies aber ausreicht, ist unklar und jedenfalls fraglich. Denn Voraussetzung wäre dafür, dass diese Grenze sich auch tatsächlich bei den verpflichteten Unternehmen auswirkt. Eine rein theoretische zweite Grenze dürfte den Anforderungen nicht genügen. 19/22
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Ohne eine auf Ebene der verpflichteten Unternehmen wirksame Begrenzung keine Knappheit, ohne Knappheit keine Bewirtschaftung, ohne Bewirtschaftung kein Vorteil und ohne Vorteil keine zulässige Abschöpfungsabgabe. 20/22
Wenn die neue Zahlungspflicht für die dem nEHS unterliegenden Unternehmen aber nicht als nichtsteuerliche Maßnahme eingestuft werden kann, dann muss sie einer anderen Kategorie zulässiger staatlicher Zahlungspflichten entsprechen, um verfassungskonform zu sein. 21/22
Daran bestehen ebenfalls erhebliche Zweifel. Nach erster Prüfung sind die jeweiligen Anforderungen an eine Verwaltungsgebühr, eine CO2-Steuer oder eine Sonderabgabe nicht erfüllt. Ohne substantielle Änderungen besteht also eine konkrete Gefahr der Verfassungswidrigkeit. 22/22
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