@MichaelEsders@0kommanichts Foucaults Bruch mit einer marxistisch orientierten Analyse fällt zeitlich ans Ende der 1950er. Das hat weniger mit ‚Ökonomie‘ als mit der Gemengelage des franz. Marxismus zu tun, der – wie bei Garaudy oder auch bei Sartre – Marxismus, Humanismus und Existenzphilosophie kreuzt.
@MichaelEsders@0kommanichts Das von Ihnen genannte Gespräch ist außerdem vom 4. März 1972, nicht von 1968 (Schriften 2, #106). Die Kritik, die beide dort ausformulieren, betrifft die Dialektik von Theorie und Praxis, die von vulgärmarxistischen Positionen stets vereinseitigt und „totalisiert“ wird.
@MichaelEsders@0kommanichts Deleuze wiederum war zwar immer links, aber nie Marxist wie z. B. Lyotard einer war. Ihn interessiert das Verlassen der geschichtsphilosophisch aufgeladenen Letztbegründungsfragen (vgl. seine Hegelkritik in DW) hin zu einer dezidiert konkreten, partikulären Analyse
@MichaelEsders@0kommanichts (ein Erbe, übrigens, das von Hume kommt). Die „Ablösung“, die Sie meinen, wird nicht von denen vollzogen, die Sie der ‚Postmoderne‘ zuordnen, sondern schon früher, übrigens in Europa *und* den USA: Weg von der Geschichtsphilosophie, hin zu skeptischeren und zugleich
@MichaelEsders@0kommanichts pragmatischeren Zugängen. Dass Foucault sich dann, ausgehend vom ‚Statut‘, also der Legitimation beanspruchenden Materialität bestimmter Setzungen qua Repetition – ein Verfahren, das Sie hier auch schon benutzt haben – für ‚Macht‘ als produktive Größe interessiert, ergibt
@MichaelEsders@0kommanichts sich schlicht aus der Problemstellung, die er schon in den 50ern bearbeitet. Und dass Deleuze nach seinen Büchern zu Hume und Nietzsche von der konkreten Pneumatik sozialer Systeme fasziniert ist, hat weniger mit der von Ihnen genannten „Ablösung“ zu tun als mit Fragen, die ihn
@MichaelEsders@0kommanichts eben auch schon seit seinen frühesten Überlegungen beschäftigen. Was die Großkonjunktur angeht, wird die Abwendung vom Marxismus, zumindest in F, von einer strukturalistischen Konjunktur ab Anfang der 60er vollzogen. Die geht aus von der Leitwissenschaft der Linguistik
@MichaelEsders@0kommanichts und besteht v. a. in der Wiederlektüre der russ. Formalisten und in der Übernahme struktureller Fragestellungen in Ethnologie oder Psychoanalyse. Das erreicht bald populäre Dimensionen und überlagert bald auch die Rezeption von Foucault, Derrida & Co., die durchaus Mühe haben,
@MichaelEsders@0kommanichts sich in produktiver Anknüpfung an diese Konjunktur durch sie nicht vereinnahmen zu lassen und zugleich (bis auf Lyotard) Abstand zum Marxismus zu wahren (z. B. vermittelt durch Althusser und seine Schüler oder ironische Relektüren usw.)
@MichaelEsders@0kommanichts Von daher ist es nicht „die Linke“, die da irgendwas durch irgendwas ersetzt, sondern es gibt seit etwa Mitte der 50er eine neue Generation, die mit dem überlieferten frz. Marxismus und der Phänomenologie fremdelt und sich davon absetzt. Und dann gibt es eine Theoriekonjunktur,
@MichaelEsders@0kommanichts die Wissenschaft statt Geschichte zum Paradigma macht. Deren Denker:innen sind einigermaßen heterogen verortet – Foucault ist dezidierter Antikommunist, Deleuze steht dem Ganzen mit der Ironie des Philosophiehistorikers gegenüber, Derrida interessiert sich eher für
@MichaelEsders@0kommanichts Metaphysikkritik. Schon deswegen ist es unsinnig, das Gespräch von 1972 als paradigmatisch für diese angebliche „Ablösung“ anzugeben. Auch deswegen, weil der frz. Marxismus ein recht eklektischer Sonderfall ist und nicht einfach mit „ökonomische Analyse“ abgekürzt werden kann.
@MichaelEsders@0kommanichts „Vielfalt“ und „Differenz“ sind in der Tat Leitbegriffe, die man mit Foucault & Co. in Verbindung bringen kann, aber es geht stets um die Ermöglichung davon, *gegen* ihre Verunmöglichung. Und zwar in recht komplexen philosophischen Problemen. Was Sie meinen, hat eher mit
@MichaelEsders@0kommanichts US-amerikanischen Entwicklungen zu tun, etwa dem ästhetischen Eklektizismus oder der Verabschiedung der Moderne, die Jahrzehnte vor Lyotards berühmtem Text und abseits der frz. Theorielandschaft mit dem Begriff ‚Postmoderne‘ verbunden sind.
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@JochenVenus@WolfgangEssbach Es geht um „Behavior“ im Kontext von Psychologie. Das, was dabei also fraglich ist, kann gerade nicht beobachtet werden. Und nein: Voraussetzungsvolle Gattungsbegriffe sind nicht „die Standardsituation“ und widersprechen auch „ungeklärt“. Im Gegenteil:
@JochenVenus@WolfgangEssbach Ontologische Voraussetzungen in Gattungsbegriffen, die zu empirischen Problemstellungen gehören, sind verantwortlich für das Verfehlen des empirischen Sachverhalts. Weswegen man sie in den real-empirischen Wissenschaften auch einklammert.
@JochenVenus@WolfgangEssbach Die Psychologie hat schließlich nur den Begriff, gar keinen Gegenstand, der sich aus einer logischen Operation ergibt, nicht nur aus einer voraussetzungsvollen Auslegung eines beobachtbaren Sachverhalts. Ihr Gegenstand *ist* dieser Begriff.
@d_witte1 Das Argument ist klassisch wissenschaftstheoretisch: Statistik ist eine Anwendungswissenschaft, die abhängig ist von den Prämissen, die man voraussetzt. Insbesondere in den Human- und den Sozialwissenschaften sind diese Prämissen ontologisch voraussetzungsvoll und nicht selten
@d_witte1 auch implizit reflexiv strukturiert, was sich in der Theoriebildung dann in der Annahme ausdrückt, etwas sei „immer schon“ Voraussetzung für etwas anderes. In den Sozialwissenschaften – die eigentlich deskriptive Wissenschaften mittlerer Reichweite sind – zeigt sich das oft in
@d_witte1 impliziten ontologischen Stufungen, die sich in Bruchlinien der Debatte ausdrücken (Individuum / Gesellschaft, Soziologie / Sozialpsychologie usw.). In der Psychologie sorgt v. a. die Reflexivität des Gegenstandes (Psyche, Geist usw.) für einen transzendentalen Schein.