Das Waffenexporthickhack ist nicht ein grünes, sondern ein deutsches Problem. Es ist das Verdienst von Habeck, dieses Thema wieder aufgebracht zu haben. Dass jetzt viele über ihn herfallen (aus klaren Wahlkampfmotiven), statt zur Sache zu sprechen, ist eine verpasste Chance.
Klar ist: mit abstrakten, scheinbar juristisch einwandfreien Prinzipien wie "keine Waffen in Krisengebiete" kommt man nicht weiter in einer Welt, in der jeder Waffenexport auch eine politische Positionierung bedeutet: eine Stärkung der einen Seite gegen die andere.
Das gilt übrigens auch für das gerade in Deutschland so beliebte Training von Soldaten in Krisenländern: auch das ist eine Positionierung und Stärkung gewisser Kräfte gegen andere.
Beides, die Restriktionen in Sachen Waffenexport (die ja auch nicht durchgehalten werden) und die Trainingsmissionen sind ein Versuch, Deutschland aus den Konflikten herauszuhalten -- zugleich aber den von außen herangetragenen Erwartungen, aktiv zu werden, entgegenzukommen.
Habecks Ansatz bei seinem Ukraine-Besuch war ein gänzlich anderer: er ist zu dem Schluss gekommen, dass aus politischen Gründen die Ukraine gegen die russische Aggression geschützt werden muss, und das sich daraus die Notwendigkeit zum Waffenexport ergibt.
Das ist der Weg zu einer stärkeren deutschen Außenpolitik: Waffenexporte wie Trainingsmissionen als politische Instrumente zu verstehen, statt ihren politischen Charakter zu ignorieren oder zu leugnen.
Das geht aber nur im Rahmen einer politischen Gesamtpositionierung, die der Exportweltmeister, der gern mit allen Seiten gute (auch wirtschaftlich profitable) Beziehungen anstrebt, nach wie vor vermeiden will.
Was aber immer schwieriger bis zunehmend unmöglich wird, weil das Umfeld immer kompetitiver wird. Die Positionierung von Russland und China als systemische Gegner zwingt den Westen, wenn er Freiheit, Sicherheit und Prosperität erhalten will, in den Wettbewerb.
Die alten deutschen Reflexe, in Sicherheitsfragen den Hauptalliierten USA und Frankreich auf Drängen ein Viertel bis die Hälfte dessen zu geben, was sie fordern, funktionieren weiterhin, reichen aber nicht mehr aus.
Deutschland ist schlicht zu groß, zu wichtig und zu mächtig, um die alte Zuschauerposition weiter einzunehmen; es ist selbst systemisch relevant.
Washington, Paris, Moskau, Peking: sie alle werben auf ihre Weise darum, dass sich Deutschland auf ihre Seite neigt.
Merkels Taktik bestand darin, alle vier weder vor den Kopf zu stoßen noch zu privilegieren.
Doch das hat den Konflikt Russlands mit Europa und den Konflikt Chinas mit der globalen Ordnung nicht abgeschwächt; eher hat es die Ambitionen Moskaus und Pekings - und die Hoffnung, Europa neutralisieren oder dominieren zu können - noch gestärkt.
Die große freiheitliche Allianz, die den alten Westen plus asiatische Demokratien zusammenbringt, um den systemischen Wettbewerb mit den Autokratien aufzunehmen, ist mit Biden in greifbare Nähe gerückt; doch Merkel will sich nicht positionieren und zeigt ihm die kalte Schulter.
Eine Mischung aus Konfliktscheu, Defätismus und wirtschaftlichen Interessen verhindert eine klarere strategische Positionierung Deutschlands im neuen Großkonflikt mächtige Autokratien gegen Demokratie.
Doch damit wird der Konflikt nicht aufgehoben, nur aufgeschoben und möglicherweise sogar verstärkt. So lange Russland und China glauben, sie könnten Berlin und damit Europa auf ihre Seite ziehen, werden sie zu aggressiven Strategien ermutigt.
Eine klarere Positionierung Deutschlands gegenüber Russland und China würde zu einer klareren Konstellation in diesen Auseinandersetzungen führen. So wie Biden es vorführt: Klarheit in der Sache, den Interessen und Prinzipien, aber immer gesprächsfähig und -willig bleiben.

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