"Drittmittel sind notwendig um sicherzustellen, dass aktuell relevante Forschungsthemen bearbeitet werden".

Diesem Argument möchte ich in einem kurzen Thread zu meinen Erfahrungen in der Corona-Forschung begegnen. 1/12
In den letzten ~1.5 Jahren habe ich praktisch nur Forschung mit Corona-Bezug gemacht. Simulationsstudien zu Präventionsmaßnahmen in Altenheimen & Schulen, Analysen zur Stabilität der Gesundheitsversorgung in Österreich, Sammeln und Aufbereiten von Daten zu Maßnahmen. 2/12
Viel davon habe ich gemeinsam mit fantastischen KollegInnen vom @CSHVienna gemacht. Was uns allen dabei gemein ist: praktisch niemand von uns wurde in dieser Zeit in einem Drittmittelprojekt mit Corona-Bezug beschäftigt. 3/12
Teils waren und sind wir auf Haushaltsstellen beschäftigt, teils auf Projektstellen mit komplett anderen Forschungsthemen. Im März 2020 haben wir uns kollektiv entschieden, unseren Fokus auf brennende Fragen mit Corona-Bezug zu legen. 4/12
Das war möglich, weil viele der Fördergeber unserer laufenden Projekte sehr kulant waren. Berichtsfristen wurden verlängert etc. Außerdem habe ich in den letzten 1.5 Jahren im Schnitt 15 #unbezahlt|e Überstunden / Woche geleistet. Von KollegInnen höre ich ähnliches. 5/12
Natürlich haben wir bald auch Anträge zur direkten Förderung von Corona-Forschung gestellt. Der @WWTF hat sehr früh und sehr unbürokratisch Gelder freigegeben - das ist sehr positiv zu erwähnen. Die Summen sind aber gering, reichten für max. eine Hilfskraft für 6 Monate. 6/12
Das geförderte Projekt (die Maßnahmen-Datensammlung) ist mittlerweile eingestellt, da das Geld aufgebraucht ist und mit #unbezahlt|er Arbeit allein nicht zu bewältigen. Sehr schade, da ich das für einen der nach wie vor wichtigsten Beiträge zur Bewältigung der Pandemie halte 7/12
Ich selbst habe mich für ein Lise-Meitner Fellowship des @FWF_at auf dem "Corona Fast Track" beworben. Nach 30 Seiten Bewerbung, 2 Runden Review und 14 Monaten kam letzte Woche die finale Absage. Was daran ein "fast track" Verfahren sein soll, bleibt unklar. 8/12
Die Absage juckt mich relativ wenig (das Projekt hat mir ein Marie Curie Fellowship gebracht). Was mich aber sehr stört, ist der Prozess, der offensichtlich komplett am Bedarf der schnellen Förderung von "aktuell relevanten Themen" vorbei geht. 9/12
Aus den gemachten Erfahrungen ziehe ich zwei Schlüsse:

1) Das System der Finanzierung durch Drittmittel ist ungeeignet, um akut relevante Themen voranzutreiben.

2) WissenschaftlerInnen brauchen keine Drittmittel-Anreize, um sich mit akut relevanten Themen zu beschäftigen. 10/12
Auch die scharfe Trennung zwischen "Grundlagenforschung" und angewandten Themen hat sich in dieser Corona-Forschungszeit aufgelöst. Wir konnten schnell umschalten, weil wir uns vor der Krise im Rahmen von Grundlagenforschung methodisch fit gemacht hatten. 11/12
Grundlagenforschung ist deshalb mMn absolut notwendig, um entsprechende Ressourcen aufzubauen, um auf gesellschaftliche Bedarfe schne reagieren zu können. Und natürlich, um Fragen beantworten zu können, die noch nicht auf den Titelseiten der Zeitungen angekommen sind. 12/12
Ich muss mich korrigieren: finale Absage ist doch noch nicht da. Das passiert, wenn man aus dem Urlaub in Georgien remote versucht, die Dicke von Hauspost einzuschätzen und daraus schlaue Schlüsse zu ziehen... 😅

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13 Jun
#IchBinHannah hat die deutschsprachige Wissenschafts-Twitter-Bubble in den letzten Tagen ganz schön aufgemischt. Nachdem #FristIstFrust und #95vsWissZeitVG (meinem Eindruck nach) leider nicht viel bewegen konnten, stellt sich die Frage: kann #IchBinHannah das?

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2/11
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