Thorium ist ein Aktinid, ein schwach radioaktives Schwermetall, mit dem Atomgewicht 232 -- etwas leichter als Uran: 238 bzw. zu 0.7% 235.

Es ist nicht spaltbar ("fissil"), kann aber sehr wohl in ein spaltbares Nuklid transmutiert werden ("fertil"). Dies nennt man Brüten.
Durch Einfang eines Neutrons und zwei Betazerfälle, bei denen sich Neutronen zu Protonen wandeln, indem sie Elektronen und Neutrinos auswerfen, wird Thorium zu Uran 233, welches gut spaltbar ist.
Thorium ist also eine "indirekte Energiequelle". Viele Menschen sehen es als bessere Alternative zu Uran an. Folgende Vorteile werden genannt:

** Es ist häufiger auf der Erde als Uran (ca. 12x häufiger);

** Es entstünde bei dem Brennstoffzyklus kein Plutonium;
** Thoriumreaktoren seien unfallsicherer;

** der Atommüll sei kurzlebiger.

Stimmen diese Aussagen? Lasst sie uns auf Kern und Gluon prüfen.
** Häufiger:
Dies stimmt. In Krustengesteinen ist Th 4- bis 12mal häufiger als Uran. Allerdings ist Thorium, da es stärkere chemische Bindungen eingeht, auch schwieriger aus seinen Erzen zu befreien.
Die japanische Meeresextraktionsmethode, die mit Spezialkunststoffen das im Meerwasser gelöste Uran ausfiltert und dadurch einen Vorrat erschließt, der nicht zur Neige geht, bevor die Sonne die Hauptreihe verlässt, ist bei Thorium sinnlos, da Th-Oxide nicht wasserlöslich sind.
** Kein Plutonium:
Dies stimmt.
Thorium ist mit seinem vergleichsweise geringen Atomgewicht viel zu weit von ²³⁹Pu entfernt, als dass nennenswerte Mengen durch Neutroneneinfang entstehen könnten.
Die Frage lautet allerdings: Was ist denn das Schlimme an Plutonium??
Es ist toxisch, aber das sind alle anderen Schwermetalle auch. Radium ist pro Gewichtseinheit giftiger als Pu, und viele biologische Substanzen sind noch um Größenordnungen gefährlicher als diese elementaren Stoffe.
Es ist ein tüchtiger Alphastrahler (HWZ 26.000 Jahre -- relativ kurz, dies bedeutet starke Strahlung), Alphastrahlen (Heliumkerne) lassen sich jedoch aufs Einfachste abschirmen. Sie schlagen nicht durch Haut. Einen ²³⁹Pu-Klumpen kann ich ungefährdet in der Hand tragen.
(Wenn es nicht so verdammt dicht wäre!)
Handschuhe (oder gründliche Reinigung hinterher) sind, der Toxizität wegen, jedoch geboten.

Letztlich ist ²³⁹Pu der verbreitetste Kernsprengstoff. Es wird mit Sprenglinsen durch Implosion gezündet und liegt als Auslöser...
...dem Teller-Ulam-Design der Wasserstoffbombe zugrunde (d.h. chemische Sprengstoffe zünden Pu, dieses liefert Wärme, Druck und Neutronen, um Lithium in Tritium umzuwandeln und mit Deuterium explosiv zu Helium verschmelzen).
Es ist aber ungebräuchlich, Stromkraftwerke zur Waffenproduktion umzurüsten -- vorzugsweise entwickelt man spezielle militärische Reaktoren, die auf Pu-Produktion optimiert sind. Notabene ist Kraftwerksplutonium nicht waffengeeignet, da nicht hinreichend rein.
Eine einfachere Kernbombe (ohne Fusionsstufe) lässt sich auch mit natürlich vorkommendem Uran 235 herstellen (Hiroshima-Typ).

Die Aussage: "Thorium ist besser, weil der Zyklus kein Pu produziert" -- ist somit nicht falsch, aber irreführend.
Sie assoziiert mit dem Element Plutonium Gefahren, die realistisch betrachtet nicht von ihm ausgehen.
** Unfallsicherheit:
"Thoriumreaktoren sind sicherer" -- stimmt dies? Die Antwort hängt davon ab, *welchen* Thoriumreaktor man meint. Es gibt viele mögliche Designs.
Thorium kann, im Gegensatz zu ²³⁸U, auch bei niedrigen ("thermischen") Neutronenenergien als Brutstoff dienen...
...weil ²³³U, anders als ²³⁹Pu, auch bei Spaltung durch ein langsames Neutron noch genug Tochterneutronen freisetzt, um gleichzeitig die Kettenreaktion aufrechtzuerhalten und Spaltstoff nachzubrüten, wie folgende, eindeutig mit gnuplot gegnuplottete Grafik zeigt:
(Plutonium dagegen ist im thermischen Spektrum ein eher mauer Spaltstoff, weil ein frecher quantenmechanischer Effekt dieses lokale Minimum im epithermalen Bereich erzeugt! U-Pu-Brüten geht deshalb nur mit schnellen Neutronen.)
Th kann, mit anderen Worten, in ganz ordinären Leichtwassertöpfen zum Einsatz kommen. Im KKW Shippingport hat man dies getestet. Man musste den Kern umkonfigurieren und alles etwas kompakter herrichten, aber es glückte. Es wurde mehr ²³³U erzeugt, als gespalten.
Ferner wird vorgeschlagen, Kugelhaufenreaktoren mit Gaskühlung mit Th zu beschicken. Diese haben jedoch, neben einigen weiteren Nachteilen, die @MoormannRainer bei seiner Arbeit an einem solchen Projekt eruierte, das Problem, dass ihre Leistungs- bzw. Neutronendichte gering ist..
...so dass sie keinen vollständigen Brutzyklus schaffen: Es bleibt ungenutztes Thorium in den Kugeln zurück.

Drittens ist Thorium eine Art Lieblingsbrutstoff der Flüssigsalzreaktorgang.
Hierdurch entsteht der Eindruck, dass Th und Flüssigsalz irgendwie zwingend zusammen gehören: doch dies ist Unsinn. Der Aggregatzustand hat nichts mit dem Brennstoffkreislauf zu tun. Flüssigsalzreaktoren können mit verschiedenen Brut- und/oder Spaltstoffen betrieben werden.
Sie haben Sicherheitsvorteile (den "Melt Plug", stark negativer Temperaturkoeffizient), diese sind jedoch mit oder ohne Thorium im Reaktorkern vorhanden.
Manche sehen die Möglichkeit des Brütens im thermischen Spektrum als Vorteil: Jedoch geht dieses äußerst zäh vonstatten -- die Verdopplungszeit (Dauer, bis eine Startportion Spaltstoff für einen weiteren Reaktor erzeugt wurde) liegt bei 40 Jahren(!)
Dies ist zu langsam...
...um hinreichend rasch eine klimaneutrale Energieversorgung aufzubauen. Im U-Pu-Zyklus mit schnellen Neutronen sind dagegen 8 Jahre möglich, theoretisch sogar 4. Wenn man Brüten will, sind daher schnelle Neutronen angesagt, und das als Ausgangsstoff benötigte ²³⁸U...
...ist bereits weltweit in riesiger Menge (2 Mio t) vorrätig und auf Lager -- ohne weiteren Bergbau!
Eine prinzipiell höhere Unfallsicherheit kann also bei Th nicht ausgemacht werden -- weil es viele verschiedene Designs gibt. Diejenigen mit schnellen Neutronen sind besonders rasch ausbaufähig: und für diese ist Uran 238 sinnvoller.
(Obwohl sie auch Thorium können!)
** Atommüll kurzlebiger.
Dies ist eine seltsame Annahme. Zunächst einmal entsteht bei Spaltung verschiedener Aktinide (²³³U, ²³⁵U, ²³⁹Pu u.v.m.) mehr oder minder dasselbe Massenspektrum:
Die eigentlichen Abfallprodukte, die "Spaltasche", unterscheidet sich nicht wesentlich in punkto Radiotoxizität und Langlebigkeit in Abhängigkeit davon, welches Nuklid gespalten wurde.
(Wie obige Grafik zeigt, sind in der Spaltasche allerlei Elemente vorhanden: auch wertvolle, die nach Abklingen anfänglicher, starker Radioaktivität herausgefiltert werden könnten. Tiefes Vergraben ist daher kein guter Plan!)
Die längerfristige Radioakivität (Hunderttausende von Jahren) in bestrahltem Brennstoff geht jedoch nicht von der Spaltasche, sondern von Spuren von Transuranen, insbes. Plutonium aus.
Die Thorium-Simps weisen nun darauf hin, dass in ihrem Zyklus kein Pu entstünde -- weswegen dieses "Langzeitproblem" nicht aufträte. Dies stimmt. Jedoch soll Plutonium ja überhaupt nicht in den Abfall -- es ist eine mächtige klimaneutrale Energiequelle, deren Hilfe wir brauchen!
Der Grund, warum es dennoch in den Abfallstrom gelangt, ist, dass es zum einen, wie oben erwähnt, in den heute verbreiteten Leichtwassermaschinen nicht so wirklich gut "brennt" (d.h. sich spalten lässt), so dass stets etwas übrig bleibt...
...zum anderen, und dies ist eines der wichtigsten Forschungsprobleme der Kerntechnik, hat man zur Zeit kein im industriellen Maßstab getestetes Verfahren außer PUREX, um es von den eigentlichen Abfällen zu trennen.
--> Was zur Folge hat, dass auch die Abfälle der Schnellen Reaktoren, die es prinzipiell komplett verbrauchen könnten, mit Pu verunreinigt sind.

PUREX stammt aus dem amerikanischen Kernwaffenprogramm im 2. WK. Es arbeitet unsauber, ist teuer und umweltschädlich.
Weswegen die meisten Kernkraftwerke weltweit nach dem Einmal-Durch-Prinzip betrieben werden (ohne Aufarbeitung), was eine extreme Vergeudung von Energierohstoffen darstellt.
Wenn man kein effizientes Pu-Abtrennungsverfahren entwickelt, bieten Th-Reaktoren hier in der Tat einen gewissen Vorteil in punkto Abfallentsorgung.

Ein solches Verfahren wird jedoch so oder so benötigt, um den schon vorhandenen Atommüll und das abgereicherte Uran zu nutzen.
(Elektrochemische Verfahren -- der "Pyroprozess" des Idaho National Laboratory --, thermische Verfahren nach dem Prinzip der Trennsäule oder auch Plasmaverfahren ähnlich einem Massenspektrografen könnten hier helfen.)
~~~ ☢️❤️ Zusammenfassung ⚡️🌍 ~~~

Ist Thorium besser als Uran?

~~ Größere Häufigkeit: Ja, aber kein entscheidender Vorteil, da Uran bereits ziemlich häufig ist, große Vorräte schon ohne weiteren Abbau zur Verfügung stehen + es im Ggns. zu Th aus dem Meer extrahiert werden kann.
~~ Kein Plutonium: Ja. Allerdings ist Pu nicht die Teufelssubstanz, auf die der unterweltlich munkelnde Name schließen lässt.

~~ Größere Sicherheit: Nein. "Den" Thoriumreaktor gibt es nicht. Es existieren viele Designs, von denen manche besser mit Uran betrieben werden könnten.
Einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen gewähltem Brutstoff und Sicherheitseigenschaften gibt es nicht.

~~ Kurzlebigere Abfälle: Ja, da kein Pu enthaltend. Allerdings sind Abfälle des U-Pu-Zyklus nur deshalb Pu-haltig...
...weil bislang kein sauber arbeitendes Aufarbeitungsverfahren bis zur Marktreife entwickelt wurde. Ein solches ist zur Nutzung vorhandener Abfälle und Uran-238-Vorräte dringend erwünscht.
Den großen, segensbringenden Vorteil, den manche Menschen damit assoziieren, hat Thorium nicht. Der am leichtesten zugängliche Rohstoff für fortgeschrittene Brennstoffzyklen ist das in riesiger Menge gebunkerte Uran 238.
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