Der 102. Drosten-Podcast titelte etwas mit “SOS”& Eisberg”. Hier kommt mein 102.-ter Corona-Blogartikel und er ist ein Blick in den Abgrund, selbst wenn die Politik bei der Konferenz der MP am Donnerstag mit einem sofortigen Lockdown eine 180°-Wende vollziehen würde.
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Teil 1: Ausblick auf die nächsten 2-3 Wochen (hohe Sicherheit)
Die folgenden drei Graphen zeigen die weiteren Verläufe der Hospitalisierungen, der ITS-Belegung und der Todesfälle, die sich direkt aus dem Verlauf der Fallzahlen ergeben.
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Aus vier Gründen sind die gezeigten Verläufe bis in den Dezember hinein praktisch nicht mehr vermeidbar, sie sind “eingelockt”. Damit gehe ich von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, dass diese schwarzen, gestrichelten Kurven so kommen werden:
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Es könnte sein, dass die Abweichung der ITS-Belegung vom zu erwartenden Wert (rosa Kreis) bereits anzeigt, dass die Versorgungsqualität lastbedingt sinkt — und wir erwarten infolgedessen eine Erhöhung der Sterblichkeit.
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Wir würden erwarten, dass die DIVI aktuell jeden Tag ca. 150 zusätzlich belegte Betten meldet, mit steigender Geschwindigkeit. Gemeldet werden aber nur um die 70 mit z.T. sinkender Tendenz. Dass diese beiden Werte in entgegengesetzter Richtung verlaufen hatten wir noch nie.
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Wenn meine Datenanalyse nicht völlig daneben liegt, dann bedeutet das, dass die Qualität der Versorgung der Patienten bereits lastbedingt sinkt. Die Kliniken passen sich bereits an die Last an und müssen – um handlungsfähig zu bleiben – Triage machen.
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Und das sollte uns allen Sorgen machen, denn nicht nur ungeimpfte Infizierte brauchen ITS-Betten, sondern auch auch Geimpfte, die u.a. auch die sonst üblichen Gründe für eine lebensrettende Intensivbehandlung haben (siehe ausführliche Darstellung=
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Damit ist auch klar, dass die oben gezeigten ITS-Belegungen so nicht von der DIVI gemeldet werden. Das wäre nur möglich, wenn das ITS-System die Patienten immer noch so gut versorgen könnte, wie bis vor 2-3 Wochen.
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Persönliche Einschätzung und Hypothese: Hier könnte der Anfang des Überlastung des Kliniksystems erkennbar sein, zumindest in den bereits schwer getroffenen Regionen. Hoffen wir, dass ich nicht recht habe. In 7-10 Tagen wissen wir mehr.
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Teil 2: Ausblick über den Jahreswechsel hinaus (Szenario-basierte Betrachtung)
Schauen wir uns das mit Modellrechnungen für 7 Szenarios an, die versuchen mögliche Entscheidungen der MP-Konferenz am Donnerstag mit Start der Maßnahmen nächsten Montag zu berücksichtigen
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Wichtig:
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Was man sieht: In meinem Modell ist inzwischen eine Bremswirkung von satten -30% oder gar -35% R-Wert-Senkung nötig, um die Welle tatsächlich noch zu brechen. Bei nur -25% Bremswirkung erreichen wir nur ein Plateau, das sich bis in den Februar rein zieht.
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Wir sehen, dass wir jetzt sehr schnell an Grenzen unseres Infektionszahlen-Messsystems stoßen werden (mehr als Inzidenz 500-800 können wir kaum zählen) und dass wir unser Gesundheitssystem in einem nie dagewesenen Ausmaß belasten und wahrscheinlich auch überlasten werden.
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Das komplette Gesundheitssystem wird reagieren müssen indem weniger Behandlungsintensität und -Qualität in den einzelnen Patienten gesteckt wird (=Triage), was zu einer erhöhten Rate an Toten und mehr langfristig geschädigten Patienten führen wird...
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... — und zwar unabhängig davon, warum man gerade eine Behandlung oder ein Bett im Krankenhaus benötigt (Unfall, Infarkt,…), das wird alle betreffen, unabhängig vom Impfstatus.
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Die gezeigten Zahlenwerte werden also wohl nie so vom RKI oder von DIVI gemeldet werden, sie werden aber trotzdem so oder so ähnlich stattfinden, halt eben mit großen Dunkelziffern.
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Eine 30%-oder-mehr Bremswirkung bedeutet,....
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Im besten Fall (Szenario D: starkes Bremsen ab 22.11.) würden wir in diesem Modell bis Weihnachten 16.000 Todesfälle und bis 1.4.2022 etwa 40.000 Todesfälle zu beklagen haben.
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Je nach “Eingrifftiefe” in den nächsten 2-3 Wochen können es aber auch noch 100.000 Tote werden bis April. Ohne Eingriff errechnet mein Modell 220.000 Tote bis April als Worst Case Szenario.
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Wichtig ist zu verstehen, dass diese Zahlen nur zum Vergleich der Szenarien geeignet sind, es sind keine Vorhersagen. Das was sich in der Realität einstellen wird, wird irgendwo dazwischen verlaufen.
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Wir sehen, dass nur sehr schneller, sehr starker Eingriff ausreicht, um uns wieder ein Stück vom Abgrund wegzuziehen. Wenn wir bis Ende November keinen staatlichen Eingriff hatten und nur noch die Bevölkerung reagieren kann, wird es ein bescheidener Jahreswechsel werden.
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Nur in Szenario C und D würde es ein halbwegs normales Weihnachten geben mit Inzidenz 250-500.
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Und wenn wir danach die Impfrate (3 Impfungen für alle!) nicht bald erhöht bekommen, kommt in 2022 irgendwann eine 5. Welle, denn die ungeimpften Infizierten der 4. Welle sind spätestens nächsten Winter schon nicht mehr geschützt vor Ansteckung.
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Persönliche Einschätzung: Diese Daten zeugen von einem möglichen Staats- und Gesellschaftsversagen, das ich für unvorstellbar gehalten hätte....
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... Es ist mir ein Rätsel wie man ein hochentwickeltes 83-Millionen-Land auch nur an den Rand dieses Abgrunds schlittern lassen kann ohne frühzeitiger gegen zu steuern.
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-- denn "die Wissenschaft hat(te) geliefert" (C. Drosten im September), es war seit dem Sommer klar, was zu tun war, um diese Entwicklung zu verhindern.
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Wird es so kommen, wie ich hier beschreibe? Wissen wir nicht. Es ist aber sicher besser als raten oder die Augen zu verschliessen.
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Ohne solche Modellrechnungen fliegen wir so blind durch die Pandemie, wie uns das die ziellose Politik im Moment vorführt. Dann wird man von der Pandemie wieder und wieder überrascht. Das muss aufhören.
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Wenn Du meine Modellergebnisse in Frage stellen willst, bitte gerne. Aber dann möchte ich gerne Deine Modellrechnungen und Annahmen sehen, die diesen weitere Verlauf so völlig anders vorhersehen, als ich das in den 7 Szenarien zeige.
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Diesen Thread als leichter lesbaren Blog-Artikel mit weiteren Grafiken, Kurzbeschreibung des Modells und eine Liste der Annahmen gibt es in meinem Blog:
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dirkpaessler.blog/2021/11/15/akt…
Nachtrag: Ein Rückblick auf 21 Wochen Delta-Modellierung:

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17 Nov
Deutschland in der Pandemie ist wie ein Auto, dass auf einem langen Abhang zwischen vielen Fussgängern ins Rollen gekommen ist.

Drei Mal hatten wir es schon geschafft zu bremsen, zuletzt im Juni. Fast bis in den Stand.

Ein Metapher-Thread
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Ab Sommer haben wir nach dem Wieder-losrollen Stück für Stück die Bremsklötze ausgebaut (endlose Maßnahmen-Lockerungen, Kontaktverfolgung und Quarantäne faktisch aufgegeben), seit dem geht's bergab.
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Auch als das Auto schon merklich immer schneller wurde (Beschleunigung auf einer schrägen Ebene ist ein exponentieller Vorgang) hat sich keiner auf die Suche nach dem Bremspedal gemacht. Mehr und mehr Fußgänger werden verletzt oder überfahren. Trotzdem bremst keiner.
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16 Nov
Meinem Modell "bei der Arbeit": Grafik zeigt alle seit Juni veröffentlichten Szenario-Verläufe und die 4-Wochen-Voraus-Vorhersage des jeweiligen Basis-Szenarios im Vergleich zum tatsächlichen Verlauf.

Bis auf 5 Wochen war Basis-Szenario "zu vorsichtig": Es kam schlimmer.

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Die "Delle" (zu hohe Vorhersage) liegt genau um den Herbstanfang herum, das ist die Zeit wo die meisten Modelle von bremsender Saisonalität auf beschleunigende Saisonalität umschalten, so auch meines, und damit ist diese Phase am schwierigsten zu modellieren.
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Eine ähnliche Situation hatten wir auch im März (Frühlingsanfang, umgekehrter Effekt), als auch viele andere Modelle zu lang im Wachstum blieben und dadurch zu schnell zu hohe Inzidenzen berechnet haben.
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13 Nov
Dass DIVI zur Zeit pro Tag nur 50-80 statt >200 zusätzliche COVID-ITS-Betten meldet, sollte uns allen Sorgen machen.

DIVI-Zahlen gehen (erstmals!) entgegengesetzt zu den zu erwartenden Zahlen. Sieht so der sich ankündigende Zusammenbruch des ITS-Systems aus?

Mathe-Thread
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Die Quote sinkt viel schneller als jemals zuvor. Mit der Impfung lag der Ausgangswert in dieser Welle bereits niedriger, aber welche starke Wirkung sollte das sein, die die Quote jetzt so abstürzen lässt? Zumal der Nenner eine 3-Wochen-Summe ist, also eher langsam reagiert.
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Vorgänge, die diese Quote **hoch** treiben würden, wären eine erhöhte Dunkelziffer (haben wir, siehe gigantische Positivraten, gemeldet von @ALMevTeam ), sinkende Impfwirkung (haben wir) oder längere Liegezeiten (haben wir, zumindest wahrscheinlich, gibt kaum Daten dazu).
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Read 11 tweets
12 Nov
ITS-Betten-Mathematik: 0,65% der 20-Tage Fallzahlen-Summe liegt auf ITS. Am 11.11. war 20-Tage Summe ca. 473.000 Fälle. Heute kommen (grün) 47.927 dazu und (rot) 12.420 fallen weg. Damit ergibt sich Anstieg ITS Betten um ~280.

Jeder weitere große Turm macht es ähnlich schlimmer.
Verlauf der "ITS-Betten pro 20-Tage-Inzidenz" Quote seit Pandemie-Beginn. Wir liegen aktuell bei ca. 0,65%. Die leicht sinkenden Tendenz reicht niemals um das exponentielle Fallwachstum auszugleichen. Quote könnte mit Nachlassen der Impfung und steigen der Dunkelziffer steigen.
PS: Wahrscheinlich sinkt diese Quote jetzt auch bereits durch Triage-Entscheidungen. Das werden kritische Patienten erst gar nicht mehr auf ITS gebracht, sondern direkt auf die Palliativ-Station. Dann können wir das nur noch mit der Zahl der Verstorbenen messen.
Read 5 tweets
11 Nov
Irgendwie reden alle nur über Belastung der Intensivstationen. Aber ist denn dabei allen klar, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist?
Gesundheitsämter>Ambulante Versorgung>Rettungsdienst>Notaufnahmen>Stationen stehen ebenso im Feuer! Schon jetzt
Ein (weiterer) Rant-Thread
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Bevor in 2-3 Wochen die Tausenden Patienten mehr in den Intensivstation auftauchen sind sie - zusammen mit den etwas Glücklicheren, die nicht auf ITS müssen - mit ihrer schlimmer werdenden Erkrankung durch das ambulante System und die Notaufnahmen durchgegangen.
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Und haben dort bereits Ressourcen überlastet, die eigentlich schon im Normalbetrieb knapp sind.

Weil so viele gleichzeitig kommen wie noch nie. Weil sich alle 11-12 Tage die Infektionszahlen verdoppeln.

Brutal.

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Read 5 tweets
10 Nov
Jetzt mal ohne Modell: Wie man die ITS-Belegung der nächsten 2-3 Wochen pro Landkreis einfach berechnet.

Am Beispiel des @Klinikum_Fuerth zeige ich wie man die ITS-Belegung der nächsten Wochen für jeden LK grob abschätzen kann.

Thread/Blog @MaWaZwitscher
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Leser meines Blogartikel können oft kaum glauben, was ich da für Kurven male. Klar, da spielt einer mit einem riesigen Spreadsheet und stellt so Kurven ins Netz – klingt irgendwie fishy.
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Da wir jetzt aber eine nie dagewesene Infektionsdynamik erleben, braucht es gar keine aufwändigen Modelle mehr. Mit einfachsten Grundrechenarten können wir die ITS-Belegung in 2-3 Wochen für jeden Landkreis abschätzen.
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