Leser meines Blogartikel können oft kaum glauben, was ich da für Kurven male. Klar, da spielt einer mit einem riesigen Spreadsheet und stellt so Kurven ins Netz – klingt irgendwie fishy.
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Da wir jetzt aber eine nie dagewesene Infektionsdynamik erleben, braucht es gar keine aufwändigen Modelle mehr. Mit einfachsten Grundrechenarten können wir die ITS-Belegung in 2-3 Wochen für jeden Landkreis abschätzen.
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Und das geht so – am Beispiel von Stadt und Landkreis Fürth, die beide vom Alleinversorger Klinikum Fürth versorgt werden.
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Schritt 1: Fallzahlen -- Ich hole mir die Fallzahlen von Landkreis und Stadt Fürth (blau/rot) von @risklayer und berechne die Summe (gelb). Dann addiere ich jeweils diese Werte der letzten 20 Tage zusammen, sozusagen ein lang-laufender gleitender Mittelwert. 5/x
Wichtig ist hier zu sehen, wie die schwarze Linie einen “Overshoot” macht, also über die Spitze der gelben Welle hinausschießt und erst 1-2 Wochen später beginnt zu sinken. Diese Eigenschaft wird gleich noch zu einem Problem werden.
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Schritt 2: Zusammenhang ITS-Belegung und 20-Tage-Fallzahlen -- Die ITS-Belegung und die 20-Tage-Fallzahlen haben einen engen Zusammenhang. Diese Quote hat sich zwar im Jahesverlauf mehrfach verändert (u.a. durch Alpha/Delta und die Impfungen). 7/x
Aber seit September liegt dieser Wert konstant, und steigt sogar an. Für Fürth ist er zZt ~0,066%. Es ist zu erwarten, dass Quote weiter ansteigt, durch das weitere Nachlassen der Impfwirkungen und steigende Dunkelziffer, aber gehen wir mal davon aus, dass er konstant bleibt.
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Der Zusammenhang von 20-Tage-Fallzahlen und ITS-Belegung ist hier auch schon zu sehen: Seit Juni können wir die Fallzahlen verwenden, um die ITS-Belegung abzubilden. Die Kurve aus dem DIVI Intensivregister (blau) passt gut dazu. 9/x
3. Schritt: Fallzahlen-Szenarios für die nächsten 2 Wochen synthetisch herstellen -- Jetzt gehen wir von den aktuellen Fallzahlen aus, und entwickeln verschiedene Szenarios. Wir schreiben die Fallzahlen der letzten Woche mit verschiedenen Wachstums-Raten fort: 10/x
Die maximale gezeigte Wachstumsrate von 30% in dieser Gruppe von Szenarien ist übrigens noch eher konservativ, im Moment liegen wir in Deutschland eher über 50% (!).
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4. Schritt: Fallzahlen in ITS-Bettenbelegung umrechnen -- Mit den oben gewonnen Erkenntnissen können wir jetzt für die sechs Szenarien die ITS-Belegungen berechnen und zeichnen: 12/x
Wir sehen, dass selbst wenn es zu keinem Fallzahlen-Wachstum mehr kommen würde, oder auch bei leichtem Sinken, erst um den 22.11.2021 (14 Tage später als verwendete Eingangsdaten) die Belastung aufhört zu wachsen (Das ist dieser Overshoot).
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Wir sehen auch, dass bei den verwendeten Wachstums-Szenarios zwischen +10% und +30% die alte Maximal-Belegung zwischen dem 28.11. und 12.12. überschritten würde.
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Wenn wir also jetzt berücksichtigen, dass das aktuelle Wachstum sogar deutlich über dem höchsten gezeigten Szenario liegt, UND dass die Fallzahlen selbst nach einem sofortigen Lockdown noch 5-7 Tage weiter steigen würden, UND ...
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...dass wir selbst bei einem Lockdown ca. 10-14 Tage Verzögerung der Reaktion der ITS-Belegung haben
UND dass es zu einem Overshoot kommt,...
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... dann können wir jetzt schon sagen: Das alte Maximum werden wir nahezu sicher überschreiten. Selbst wenn sich diese einfache Herleitung um den Faktor 2 nach oben oder nach unten verrechnen sollte, verändert das die nur Position auf der Zeitachse um maximal 1-2 Wochen.
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Wenn wir nicht sofort heftig bremsen, sind wir auf den sehr steilen gezeigten Kurven für die ITS-Betten-Belegung unterwegs, dann ist nur noch die Frage ob es eine Woche früher oder später passiert.
Keine guten Aussichten.
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PS: Das ist jetzt alles keine obskure Modellrechnung, sondern einfachste Mathematik der einfachsten Grundrechenarten, die jeder Erwachsene mit etwas guten Willen verstehen können sollte.
**Act like it!**
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PS: Den Trick mit dem Zusammenhang der 20-Tage-Fallzahlen und der ITS-Belegung habe ich von @aloa5. Danke dafür.
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Irgendwie reden alle nur über Belastung der Intensivstationen. Aber ist denn dabei allen klar, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist?
Gesundheitsämter>Ambulante Versorgung>Rettungsdienst>Notaufnahmen>Stationen stehen ebenso im Feuer! Schon jetzt
Ein (weiterer) Rant-Thread
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Bevor in 2-3 Wochen die Tausenden Patienten mehr in den Intensivstation auftauchen sind sie - zusammen mit den etwas Glücklicheren, die nicht auf ITS müssen - mit ihrer schlimmer werdenden Erkrankung durch das ambulante System und die Notaufnahmen durchgegangen.
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Und haben dort bereits Ressourcen überlastet, die eigentlich schon im Normalbetrieb knapp sind.
Weil so viele gleichzeitig kommen wie noch nie. Weil sich alle 11-12 Tage die Infektionszahlen verdoppeln.
Mein Thread mit den Modellrechnungen für die nächsten 6 Wochen hat eine Menge Aufmerksamkeit bekommen.
Zur Validierung meiner Ergebnisse hier ein Peer-Data Thread, der zeigt, dass Andere mit ganz anderen Methoden ganz ähnliche Werte erzeugen. 1/x
Die Grafik zeigt, dass es bei den nachfolgenden Modellen eine hohes Maß an Übereinstimmung gibt für eine ITS-Belegung über 6.000 Anfang Dezember. Der grüne Balken geht von einem Bremsen bei 400 aus, der gelbe Balken ist der Wert für 1 Woche vorher.
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@ECMOKaragianni1, Wissenschaftlicher Leiter #DIVI Intensivregister, rechnet Anfang Januar mit 6.000 ITS-Patienten, wenn Inzidenz bei 400 stoppt (?). Das entspricht meinem Szenario H ("Ein Wunder geschieht") und ich komme auf 9.000 Betten, Peak an Xmas. 3/x
Meine aktuellen Modellrechnungen sehen wirklich schlecht aus. Wir haben so lange mit Reaktionen gezögert, dass jetzt auch ein schnelles und entschiedenes Handeln eine zeitnah eintretende Überlastung des Intensiv-Systems in 1-3 Wochen nicht mehr verhindern kann.
Thread/Blog 1/x
Kurzfassung für Eilige 2/x
Der übliche Modellierer-Hinweis für Modellagnostiker. 3/x
Schritt 2: Die Inzidenz der Geimpften und Ungeimpften holen wir uns beim LGL Bayern: 60 und 537. Bei unserer gigantischen Positivrate von >12% nehmen wir noch vorsichtig einen Dunkelziffer von 3x an. lgl.bayern.de/gesundheit/inf… 3/x
Rant: Warum müssen ich (und viele andere) unsere Freizeit damit verbringen, Pandemie-Datensammlungen und -Modelle zu pflegen?
Ein Rant-Thread 1/x
Der folgende Thread basiert auf meinem Vortrag anlässlich des “Global Summit to End Pandemics” des World Health Networks am 4.11.2021.
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Ich sehe in Deutschland eine grundsätzliche Kluft zwischen Wissenschaft und Politik. Diese ist meistens verbunden mit einem weitgehenden Mangel an Verständnis selbst für die simpelsten Grundlagen des exponentiellen Wachstums und für wissenschaftliches Denken.
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Sehr langsam kommt die Situation, die sich da bis Ende November zusammenbrauen könnte, in den größeren Medien an. Hier ein guter Artikel in der SZ.
Ein Zitate-Thread 1/x
"Als wären die Dinge vorbei. Die Politiker schließen einen Lockdown aus. Das tue ich als Wissenschaftler und Arzt nicht," sagt der Covid-19-Experte Clemens Wendtner, dessen Intensivstation in der München-Klinik Schwabing bereits wieder mit Covid-19-Patienten gefüllt ist.
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Wendtner sagt: "Die fast 6000 Covid-19-Patienten, die Anfang des Jahres auf Deutschlands Intensivstationen versorgt wurden, würden wir heute gar nicht mehr schaffen."
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