Okay, dann mal los.

Willkommen zu #StormyLiestSchwurbel Kapitel 1.

Michael Frass & Martin Bündner präsentieren: "Homöopathie in der Intensiv- und Notfallmedizin"

Bitter ist schon die Autorenliste.
23 Autor:innen. Davon 22 promoviert, 1 sogar Dr. med. Dr. iur. 6 habilitiert.
Aber ich möchte ja nicht über Personen reden, sondern über Inhalte.

Bonuspunkte für Ironie bekommt das Buch durch den (üblichen) Hinweis zu Beginn: "Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen."
Weidaentwiggln. Prost.
Das Buch beginnt mit einem Geleitwort von Peter Lechleitner. Der einen gewissen Hang zu "Immunsystem-stärken"-Schwurbel hat.
osttirol-heute.at/gesundheit/uni…

Aber egal.

Sein Geleitwort beginnt mit dem üblichen Unfug.
Da attestiert er Intensiv- und Notfallmedizinern ein "mechanistisches"
Weltbild. Ist das schön, abwertende Pauschalurteile über Kolleg:innen direkt im ersten Absatz.
Denn natürlich unterstellt er damit eigentlich Engstirnigkeit und mangelnde geistige Flexibilität.

Danke, Peter. Du mich auch.

Dann kommt - natürlich - der übliche Quark, weil die...
Medizin ja schon öfters Lehrmeinungen ablegen musste, weil neuere Kenntnisse sie widerlegt haben, müsste es ja genau so möglich sein, dass irgendwann in der Zukunft einmal die Homöopathie *belegt* werden würde.

Als Beispiele dafür führt er nur leider Dogmen an, die zu keiner...
Zeit jemals wirklich evidenzbasiert waren, sondern halt DOGMEN (wie die Homöopathie eins ist). Und zwar z.B. Dopamin zur Nephroprotektion oder auch die lange Zeit in der Herzinsuffizienztherapie verpönten Betablocker.

Leider übersieht er dabei:
Dopamin war immer *eminenzbasiert*
und die Ablehnung von Betablockern beruhte letztendlich auf einem ungenügenden Verständnis der Pathophysiologie der Herzinsuffizienz.

Es gab nie hochwertige Studien, anhand derer die berüchtigte "Nierendosis" von Dopamin begründet werden konnte. Oder Studien, die Nachteile von..
Betablockern bei Herzinsuffizienz auf hohem Niveau demonstriert hätten.

Es waren Dogmen. Pharmakologisch und pathophysiologisch halbwegs plausible Dogmen (mit dem damaligen Kenntnisstand), aber halt nicht mehr.

Mir ist bis heute kein einziges Beispiel bekannt, wo in der Tat...
auf hohem Niveau evidenzbasierte Therapien nachträglich im Sinne von "Ups, vertan, nützt doch nix" aus der klinischen Praxis verschwunden wären.

Aber gut. Weiter im Text.

Dann kommt das übliche Gefasel, die Physik habe "längst gelehrt, dass eine Informationsübermittlung über...
Medikamente nicht der Anwesenheit eines Moleküls bedarf."

Hat sie nur leider nicht, werter Herr Professor.

Zumindest nicht *so*, denn die entsprechenden Mechanismen aus der Quantenphysik funktionieren nur subatomar. (Zumindest glaube ich, dass er hier an Verschränkung denkt.)
Dann noch ein bisschen Geflenne, die arme, mittellose Homöopathie habe ja nicht genug Geld, um methodisch hochwertig zu forschen.
Ist klar, Hasi. Mit eurem Zauberzucker werden hunderte Millionen Euro jährlich umgesetzt. Die Kohle WÄRE da, aber nicht mal die Hersteller glauben...
daran, dass es da positive Ergebnisse geben könnte.

Und negative wären geschäftsschädigend.

Auf die methodischen Unzulänglichkeiten von Frass' eigenen Studien und die eher negativen Ergebnisse geht er sicherheitshalber gar nicht ein.

Ein schöner Einstieg. Lügen über Lügen.
So mag ich meine Homöopathen.

Das eigentliche Buch ist halbwegs interessant aufgebaut. Es soll eine Mischung aus "konventionellem" und homöopathischem Lehrbuch sein. D.h. er beschreibt Erkrankungen und deren "konventionelle" Therapie und dann homöopathische Ansätze.
Bemerkenswert finde ich immer, wie wenig Verständnis von der wissenschaftlichen Medizin die homöopathisch tätigen Ärzte haben. Gerhard Resch müsste es eigentlich besser wissen, als solche dümmlichen Pauschalisierungen rauszuhauen, um die Homöopathie besser darzustellen.
Aber auf welchen fundamentalen Beobachtungs- und Attributionsfehlern der Glaube an die Wirksamkeit der Homöopathie beruht, hat kaum jemand so wunderschön deutlich gemacht wie er im ersten Kapitel.

Natürlich kann es nicht die "übliche" Therapie gewesen sein.
Jeder, der akutmedizinisch tätig ist, ob nun prä- oder innerklinisch, ob in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation, weiß:

Eine adäquate Therapie kann innerhalb weniger Minuten bis Stunden zu sprunghafter Verbesserung führen.

Aber klar, alles der Zauberzucker. Sicher.
Ich gehe jede Wette ein, dass Herr Resch (und auch die anderen Autoren) - wenn sie denn wollten - auch massenhaft Beispiele hätten finden können, wo die "übliche Therapie" plus Homöopathikum einfach überhaupt nicht geholfen hat.
Selektive Wahrnehmung ist einfach toll.
Ein bisschen stumpfsinniges Grundlagen-blabla (das reine Nachplappern der Dogmen des Großen Meisters Sammy H.), das gewohnte Gefasel davon, "Komplementärmedizin" würde irgendwelche therapeutischen Reize setzen (warum der Erfolg nicht objektiv messbar ist? Egal!)...
und ein kurzer, sehr selektiv zitierender, äußerst subjektiv gefärbter Einblick in die Forschung und ein Kapitel über rechtliche Aspekte vervollständigen das Bild.

Man ist sehr bemüht, einen Eindruck von streng wissenschaftlichem Arbeiten zu erwecken.
Zwischendurch driftet man aber in kompletten Irrsinn ab, wenn man die Shang-Metaanalyse einerseits bloß als "Artikel" bezeichnet und andererseits allen Ernstes Sprachdiskriminierung wittern will. Oder wenn man einfach nur das Signifikanzniveau so weit senken will, dass es passt.
Aber das nur zum Einstieg.

Gehen wir mal in medias res.
S. 124 für die geneigten Mitleser.

Fall 1.1-1: Sepsis bei perforiertem Duodenalulkus.

Uns wird eine schwer kritisch kranke Patientin vorgestellt mit einer Dünndarmperforation.

Nach 40 Stunden Beginn der hom. Behandlung.
Die Patientin erhält 5 Tropfen Pyrogenium C30.

Und wirklich, in den folgenden Stunden stabilisiert sich ihr Zustand.

Und natürlich liegt es nur am Homöopathikum und nicht daran, dass 18 Stunden vor Mittelgabe der perforierte Dünndarm operiert wurde, Breitbandantibiotika und...
Katecholamine sowie Flüssigkeit verabreicht wurden, um den septischen Schock zu behandeln (so wie man das IMMER in solchen Fällen tun würde).

Hätte der Autor diesen Fall auch so zitiert, wäre die Patientin 6 Stunden später im fulminanten septischen Schock verstorben?
Kaum.
Es ist doch wie immer Schema F.
Man kippt unkritisch in jeden Patienten seine Glaubuli rein, und hinterher entscheidet man dann anhand des klinischen Verlaufs, ob wohl die Homöopathika geholfen haben oder ob der Patient schon zu schwer erkrankt war.
Und wie immer orientieren sich die "guten Erfahrungen" nur und ausschließlich an den Fällen, wo es zu einer Besserung gekommen ist.

Weil sie hinterher in Kenntnis des Ausgangs entscheiden, ob der Fall zählt oder nicht.
Aus Sicht des Intensivmediziners:

Diese Beurteilung ist gequirlte Scheiße.

Selbstverständlich gibt es solche Verläufe auch bei älteren Leuten. Auch ohne Homöopathika.

Jede:r Intensivmediziner:in weiß: Schnelle Fokussanierung führt oft zu höchst erfreulichen Ergebnissen.
In anderen Fällen wird es sogar noch absurder.

Da wird in der Beurteilung, das Homöopathikum sei ja soooo erfolgreich gewesen, davon geschwurbelt, dass "die Allopathie nicht mehr weiterkommt", obwohl sie das eben ganz offensichtlich tat.

Auffällig finde ich eines.
Es wird ungeheuer offensichtlich immer streng ergebnisorientiert argumentiert.

In jedem einzelnen Fall ist die klinische Besserung zwingend dem Homöopathikum zuzuschreiben, obwohl diese Fälle aus intensivmedizinischer Sicht noch nicht einmal ungewöhnlich sind.
Und dann kommt noch mal so ein völliger Wahnsinn (Fall 1.1-9).

Ein schwerer Schlaganfall.
Einzelgabe Opium 50 M.

Obwohl angeblich die "auslösende Ursache" (fälschliche Anzeige beim Finanzamt) behoben wurde, blieb eine Halbseitenlähmung zurück.

"Rasch und effizient" geholfen.
Die Beurteilung liest sich dann wie schierer Hohn.

(Auch in diesem Fall übrigens aus meiner Sicht nichts auch nur "ungewöhnliches". Das sind aus intensivmedizinischen Aspekten komplette "Durchschnittsfälle", die wir so auch ohne Glaubuli erleben.)
Fall 4.1-1

Ein ARDS. Nach dem, was über die Beatmung berichtet wird, wohl kein wirklich schwerer Fall.

An Tag 5 wird Baptisia verordnet. Lustig dabei: "unwillkürlicher Stuhlabgang" wird als Argument für genau DIESE Arznei gewählt.

Ähm... Leute... wie formuliere ich das?
Wenn Patienten intubiert sind und beatmet werden, ist der Stuhlabgang MEISTENS unwillkürlich.

Wenn man so bei der Repertorisierung argumentiert, kann man auch direkt würfeln.

Was für ein hanebüchener Schwachsinn.
Auffällig, dass fast immer erst nach mehreren Tagen homöopathisch therapiert wird.

Fast so, als wolle man sicherstellen, dass man keine schlechten Erfahrungen macht, indem man nur die Patienten behandelt, bei denen es eh prinzipiell in die richtige Richtung geht.
Und - ebenso auffällig - die klinischen Verläufe sind... normal.
Das, was man halt so erwartet.

Homöopathen behaupten immer, sie würden "ganzheitlich" arbeiten und - im Gegensatz zu den dämlichen "Schulmedizinern" - ja HEILEN können.

Dafür sind die Resultate echt beschissen.
Die Patientin mit einem Schlaganfall behält eine Halbseitenlähmung zurück, ein Patient mit einem schweren Lungenversagen nach Herz-OP braucht Monate, um sich halbwegs zu erholen...

Sorry, liebe Zuckerjünger, das können wir auch ohne euren Scheißdreck.
Morgen geht es dann weiter mit #StormyLiestSchwurbel.

Und da wird es dann richtig übel.

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18 Nov
Und die Politik klammert sich ernsthaft immer noch an die erwiesenermaßen nutzlose, weil mit viel zu großer Verzögerung reagierende, Hospitalisierungsinzidenz?

Das ist doch alles ein Witz, oder?
Wo ist die versteckte Kamera?
Die Hospitalisierungsinzidenz von 9 erreicht Bayern erst demnächst, aber da war schon deutlich davor Land unter.

Dass die MPK nur unbrauchbaren Mist produzieren würde, war zwar klar, aber es schockiert mich leider trotzdem noch.
Und es bleibt halt weiterhin dabei, dass jede Inzidenz über 50 (Inzidenz, nicht Hospitalisierungsinzidenz!) eine Nachverfolgung prinzipiell unmöglich macht.

Also weiterhin zügellose Durchseuchung im Blindflug.
Read 4 tweets
4 Nov
Aus aktuellem Anlass, weil Politiker wieder die Lüge verbreiten, die 4. Welle sei in irgendeiner Form unvorhersehbar gewesen:

Am 07.07. fand sich bei @risklayer dieses hier.

Retrospektiv muss man sagen:

Ja. Wir haben im Juli in der Tat den Beginn der 4. Welle erlebt.
Und - ganz wichtig - die Politik muss das gewusst haben.

Es ist komplett irrational, zu glauben, die Politik hätte die hunderten Expertenstatements, die vor genau dem gewarnt haben, schlicht *nicht mitbekommen*.

Man hat sich schlicht verzockt.
Man hat die vierte Welle in Kauf genommen. In einer Mischung aus "Sind ja so viele geimpft, wird schon klappen" und "Lieber die Pandemie verlieren als die Bundestagswahl".

Ich finde keine andere rationale Erklärung. Beim besten Willen nicht. Bin dankbar für Ideen.
Read 5 tweets
1 Nov
Ich finde es sehr bemerkenswert (nicht in positiver Weise), dass der STIKO-Vorsitzende komplett ohne den Versuch, seine Position mit Daten zu untermauern, eine Infektionserkrankung entgegen aller internationaler Evidenz verharmlost und dubioses Geraune wider Impfstoffe verbreitet
Seine Position (Infektion relativ harmlos, Impfstoffe nicht hinreichend sicher) ist vollkommen unhaltbar. Es gab weder in den Zulassungsstudien noch in den real-world-Daten irgendwelche Sicherheitssignale, die seine Zweifel an der Impfung irgendwie substantiieren könnten.
Und das schließt halt die Myokarditis bereits mit ein.

Wir wissen, dass COVID-19 auch im Kindesalter absolut KEIN harmloser Schnupfen ist.
Sondern eine Infektion mit einem vaskulo- / neurotropen Virus, das auch nach relativ milder Initialsymptomatik dauerhafte Folgen haben kann.
Read 4 tweets
23 Oct
Wissenschaftlich ist es übrigens NICHT so, dass die Langzeitfolgen der Impfung unklar wären.

Sondern vielmehr so, dass es aktuell nicht mal eine annähernd plausible Erklärung dafür gibt, wie es überhaupt Langzeitfolgen geben KÖNNEN sollte.

Relevanter Unterschied.
Es hat noch nie in der Geschichte der Medizin einen Impfstoff gegeben, bei dem eine einmalige Verabreichung Jahre (oder auch nur Monate) später zu neu auftretenden Gesundheitsschäden geführt hätte.

Und nein, Narkolepsie bei Pandemrix zählt nicht.
Beobachtet wurde die Narkolepsie
schon kurz nach Beginn der Impfungen. Es hat nur aufgrund der relativ niedrigen Impfzahlen und der Seltenheit sehr lange gedauert, bis diese Nebenwirkung klar mit der Impfung in Verbindung gebracht werden konnte.

Bei mRNA ist, Stand heute, die relevanteste Nebenwirkung wohl die>
Read 8 tweets
21 Oct
Ich liebe ja unqualifizierte Laien, die mir erklären wollen, subjektive "Erfahrungen" wären eine der drei Säulen der Evidenz-basierten Medizin und deshalb müsste man die überwältigend negative Studienlage zur Homöopathie ignorieren.

Nein, Leute, so funktioniert EbM nicht.
Was sind die Säulen der Evidenz-basierten Medizin nach David Sackett?

- externe klinische Evidenz
- individuelle klinische Expertise
- Werte und Wünsche des Patienten

"Individuelle Expertise" wird auch als "Erfahrung" bezeichnet, das trifft den Kern des Ganzen m.E. aber nicht.
Evidenz ist wohl klar. Wenn für eine Maßnahme nachgewiesen wird, dass sie eine spezifische Wirksamkeit hat und anderen Verfahren überlegen ist, sollte diese Maßnahme durchgeführt werden.

Beispiel COVID-19. Es gibt exzellente Evidenz für Nutzen und Sicherheit der Impfstoffe.
Read 17 tweets
11 Sep
Neues von der Inzidenz.

Die meisten meiner Follower wissen, dass ich Anästhesist und Intensivmediziner bin. Kein hauptberuflicher Statistiker.

Irgendwie habe ich aber trotzdem ein bisschen was von statistischen und epidemiologischen Zusammenhängen begriffen, bilde ich mir ein.
Teil 1 meiner Reihe "Stormy und warum die Inzidenz uns völlig genügt, um unser Handeln in der Pandemie zu steuern":



Teil 2 der Reihe:


Es ist nun Zeit für Teil 3.

Der heiße Shice ist ja nun die Hospitalisierungsinzidenz.
Warum die Hospitalisierungsinzidenz (und das m.E. politisch - wohl nicht vom RKI - *gewollt*) nicht geeignet ist, die Pandemie zu bewerten, hat u.a. @maewald hier aufgeschrieben.



Ich hab mal wieder Graphen gemalt. (Bzw malen lassen.)
Read 13 tweets

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