Thread by @c_endt

Wir @zeitonline haben unser Corona-Dashboard überarbeitet. Seit heute zeigen wir auch die #Hospitalisierungsinzidenz. Ein inzwischen sehr wichtiger, aber weiterhin problematischer Indikator – aus grundsätzlichen wie praktischen Gründen. Darum ein kurzer Thread zur Einordnung 🧵

TL;DR vorneweg: Die MPK hat beschlossen, dass die Hospitalisierungsinzidenz künftig über Maßnahmen entscheidet. Somit ist der Indikator relevant für uns alle. Epidemiologisch ist die Entscheidung aber fragwürdig, weil wir nun verzögert auf die Lage reagieren. Nun der Reihe nach/

Die Hospitalisierungsinzidenz misst, wie viele Patient:innen mit Covid-19 ins Krankenhaus müssen. Dabei betrachtet man immer die letzten 7 Tage, um Schwankungen wegzubügeln, und berechnet eine Inzidenz je 100.000 Einwohner, um verschieden große Gebiete vergleichbar zu machen.

Die Debatte um die Hospitalisierungsinzidenz kam im Sommer auf. Denn wegen der Impfungen erkrankten bei gleicher Inzidenz weniger Menschen ernsthaft. Und letztlich geht es ja darum, schwere Erkrankungen zu verhindern. Darum macht es Sinn, auf die Krankenhausaufnahmen zu gucken.

Vor allem @jensspahn hat sich damals für einen Strategiewechsel hin zur Hospitalisierungsinzidenz ausgesprochen. Das @rki_de wollte sie zumindest als einen von mehreren Indikatoren berücksichtigen.

https://twitter.com/jensspahn/status/1414136486719545346

Fachleute äußerten sich schon damals kritisch, etwa der Epidemiologe Michael Meyer-Hermann @Helmholtz_HZI gegenüber @zeitonline.

Die ganze Einführung der Hospitalisierungsinzidenz wirkte von Anfang an überstürzt und zwischen @bmg_bund und @rki_de schlecht abgestimmt. So kamen wir damals auf die Überschrift mit dem Light-Indikator (brilliant, oder?) zeit.de/gesundheit/202…

Nun aber zum Kernproblem: Wegen der exponentiellen Dynamik der Pandmie ist es wichtig, frühzeitig zu reagieren. Das spricht nicht für einen Indikator, der erst anschlägt, wenn die Krankenhäuser schon voll sind. Und wir wissen eben, dass viele Infektionen das zur Folge haben.

"Wer einen Feueralarm hört, sollte das Haus verlassen, auch wenn noch kein Rauch ins Zimmer quillt", so hab ich das im Juli ausgedrückt. zeit.de/gesundheit/202…

Soviel zum Grundsätzlichen. Mit der Einführung des neuen Indikators stellte sich zudem heraus, dass die Rechenmethode des RKI problematisch ist, weil sie die Lage systematisch unterschätzt. Die RKI-Hospitalisierungsrate liegt ~80% unter dem echten Wert.

https://twitter.com/c_endt/status/1436590441563049985

Wir wollten daher bei ZEIT ONLINE diese Werte nicht ohne Einordnung veröffentlichen. Nun zeigen wir die amtliche Inzidenz zusammen mit einer Schätzung des Codag-Teams um @HKuechenhoff an der LMU – ermöglicht durch den Nowcasting-Hub von @johannesbracher. covid19nowcasthub.de

Unser neues Dashboard zeigt also sowohl die amtliche Hospitalisierungsinzidenz – relevant für künftige Einschränkungen – und die Schätzung der LMU – näher am echten Geschehen in den Kliniken.

Das RKI weiß übrigens, dass seine Inzidenzen zu niedrig liegen – und hat entsprechend niedrige Grenzwerte von 1,5 und 5 vorgeschlagen. rki.de/DE/Content/Inf… Die MPK hat das hochverhandelt auf 3 und 6 - und eine weitere Eskalationsstufe bei 9 hinzugefügt. zeit.de/politik/deutsc…

Inzwischen brennt nicht mehr nur ein Haus, sondern fast das ganze Land. Dass es trotz Impfstoff so weit kommen konnte, hat auch mit falsch kalibrierten Feuermeldern zu tun. Darum ist diese etwas pedantische Indikatorendebatte so wichtig.

Bei @zeitonline zeigen wir ab heute *auch* die Hospitalisierungsinzidenz. Aber die Standardansicht unseres Dashboards bleiben die Neuinfektionen – in unseren Augen weiterhin der beste aller verfügbaren Indikatoren, um ein aktuelles Lagebild zu haben.

https://twitter.com/juliustroeger/status/1462813915407130626?s=20

Hier habe ich die Überlegungen nochmal zusammengefasst. blog.zeit.de/fragen/2021/11…