Ergänzend zu dem Thread gestern heute noch ein paar Worte zu der Situation autistischer Aktivist:innen und dem Bereich Selbstvertretung.
Kaum einer kann sich wohl vorstellen wie es bei uns aussieht. Wie auch? Man schaut zu den Aktivist:innen anderer 1/
Behinderungen, sieht deren Erfolge die hart erkämpft sind und schließt daraus auf #Autismus zurück.
Das klappt nicht. Leider. Ich wünschte wir wären auf dem Stand der anderen Aktivist:innen und hätten deren Basis.
Während z. B. in den 70er Jahren sich auch in Deutschland die 2/
sogenannte "Krüppelbewegung" formierte und die Grundsteine für eine Emanzipation behinderter Menschen legte tat sich bei uns nur eines: Eltern gründeten Verbände. Zeitgleich oft mit dem Anspruch das autistische Kinder nicht sprechen bzw nicht für sich sprechen könnten. Ein 3/
Narrativ das heute noch gegen sprechende und kämpfende Autist:innen verwendet wird.
Während in anderen Bereichen der Kampf für Selbstbestimmung und Emanzipation tobte war bei uns Ruhe. Man sprach für uns. Fertig.
Genau das zieht sich durch alle Lebensbereiche. Was ist gut für 4/
uns? Sagen wir Euch. Was möchten wir? Sagt man uns. Was ist eigentlich Autismus? Definieren wir für Euch.
Du möchtest für Dich sprechen? Kannst Du nicht (und wenn doch bist Du nicht in der Lage die Tragweite zu sehen).
In den letzten 40 Jahren in dem bei anderen Behinderungen 5/
es durchgesetzt wurde das eigene Kulturen entstehen (z. B. Gehörlose), Kämpfe für Rechte wie die Anerkennung der DGS als Sprache, die Mitbestimmung der "Betroffenen" bei Entscheidungen und viel mehr durchgefochten wurden vergingen bei uns quasi ohne Fortschritte.
Im Gegenteil. 6/
Die Strukturen zementierten sich, es wurde vollkommen normal das man für und über Autist:innen sprach. Das was andere erkämpft haben war Strukturbedingt bei uns nicht im Ansatz möglich. Und je mehr Zeit vergeht umso schlimmer wird es.
Das liegt übrigens nicht daran das wir 7/
nicht kämpfen oder einfordern. Das tun wir. Nur eben mit gut 40 Jahren Verzögerung und gegen massiven Widerstand aus den "eigenen Reihen".
Angehörige die uns unterstützen und fördern möchten das wir eine Selbstbestimmung und Selbstvertretung erreichen sind noch in der 8/
Minderheit. Und die die mit uns kämpfen wissen wie hart der Widerstand ist.
Fakt ist:
Selbstvertretung? Maximal in den Kinderschuhen was den Einfluss betrifft.
Selbstbestimmung? Für viele ein Traum.
Informationshoheit zum Thema? Innerhalb der alten Strukturen.
9/
Akzeptanz das wir für uns sprechen möchten? Sehr gering. Nichtautisten/Experten wissen es besser.
Es sind auch nicht rein passive Strukturen die wir noch einreißen müssen. Wir bekommen aktiven Widerstand. Und das mit dem Geld und dem Einfluß eines seit 50 Jahren bestehenden 10/
Systems.
Inklusion hat genug Informationen und Aufklärung erfahren? Jetzt müssen Taten folgen?
Tja. Bitte bedenkt woher im Falle von #Autismus diese Informationen mehrheitlich kommen. Nicht von autistischen Menschen. Und geprägt von dem Gedanken das andere wissen was wir 11/
brauchen u. wollen.
Das kann nicht gut gehen und es geht nicht gut.
Wir sind weder beim Anspruch angekommen uns selbst vertreten zu DÜRFEN noch beim Grundsatz "Nicht über uns ohne uns".
Das gibt es auf breiter Ebene nicht.
Geschweige denn ein Dialog auf Augenhöhe.Wunschdenken 12/
Solange andere bestimmen was wir brauchen, was wir sind und was Autismus bedeutet...solange sind wir in schädlichen Strukturen gefangen.
Und solang Politik und Träger nur mit der Angehörigenvertretung reden und Informationen von nichtautistischen Quellen bezogen und bevorzugt 13/
werden gibt es keine Basis für eine gelungene Inklusion. Wir können nur mit Worten kämpfen und müssen hoffen gehört und weder ignoriert noch diskreditiert und übertönt zu werden.
Wir stehen im Kampf um unsere Rechte quasi in den 70er Jahren.
Was ich schreibe klingt f Menschen 14/
die keinen Einblick haben vielleicht extrem und eigentlich erwartet man 2022 andere Informationen und zeitgemäße Bedingungen.
Es ist aber genau unser Kampf den wir führen. Gegen alte Zeiten, alte Strukturen und eine Tradition die uns der Stimme beraubt.
Vergesst uns nicht! 15/15
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Ein Auslöser für diesen Thread war eine Reaktion auf meine aktuelle Kolumne in der @av_magazin.
Ich würde persönlich darauf angesprochen warum wir denn zulassen das man über uns und nicht mit uns redet. Das Nichtautisten #Autismus erklären. Das man uns nicht einbezieht. 1/
Warum wir uns unsichtbar fühlen und warum wir nicht laut werden.
Da wurde mir klar: Das war kein Vorwurf "Ihr müsst nur etwas tun" sondern eine "Unwissenheit" über unsere Lage und Realität.
Viele können sich tatsächlich nicht vorstellen das man 2022 so mit Autist:innen umgeht. 2/
Das der Einfluss historisch gewachsener Strukturen so groß ist und eine "Augenhöhe" darin besteht das wir stumm zum Elfenbeinturm hochschauen.
Das überhaupt Strukturen existieren die ein Interesse daran haben Autist:innen möglichst klein zu halten.
Was für uns Alltag und 3/
Im zweiten Thread heute möchte ich ein wenig über ein strukturelles Problem in Bezug auf #Autismus reden.
Es betrifft die Wissenschaft, Lehre und das Bild von Autismus das auch unter Fachkräften verbreitet wird.
Ich fange mit der Wissenschaft an ohne diese verteufeln zu 1/
wollen. Dennoch habe ich, was die Wissenschaft bei Autismus betrifft, große Probleme. So groß wie ein Elfenbeinturm.
Spätestens seit Leo Kanner und Hans Asperger spielt auch das was wir heute als Autismus bezeichnen eine größere Rolle in Forschung und Wissenschaft. 2/
Das die Forschung, gerade wenn es um die Ursachen von Autismus geht, viele Theorien aufgestellt hat und Jahre später wieder verwerfen musste ist das eine. Das man dafür seit Langem einen autistischen Zoo (oder was was man für Autismus bei Tieren hält) für Erkenntnisse benutzt 3/
Vor einer Woche lief Abends in der ARD der Film "Oskar, das Schlitzohr und Fanny Supergirl". Ein Film in dem es um Autismus geht.
Ich gebe zu: Ich habe nicht viel erwartet. Zuviel wird mit der Begründung "Das ist Fiktion! " versemmelt. Siehe #EllaSchön. 1/ ardmediathek.de/video/filme-im…
Dementsprechend ging ich skeptisch und eigentlich mit wenig Lust an den Film heran. Nachfolgend ein paar Situationen und Aussagen aus dem Film. Wie er gesamt bei mir angekommen ist dann am Ende.
Opa Oskar ist in Haft, arbeitet auf eine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung 2/
hin und braucht eine Meldeadresse. Kurz gefasst: Das Schlitzohr quartiert sich bei seiner Tochter im Bauwagen auf dem Grundstück ein.
Dieser wurde von den Eltern zu einem Rückzugsort für die autistische Fanny eingerichtet.
Natürlich trifft Fanny auf Oskar und damit beginnt 3/
Deutschland. Wir schreiben das Jahr 2021.
Im Auftrag vom @ZDF produziert @DreamtoolEnt eine Filmreihe über eine Asperger Autistin.
In der neusten ausgestrahlten Folge von #EllaSchön wurde das sog. Stimming wie ein roter Faden durch den ganzen Film thematisiert.
Hierbei kam es 1/x
sachlich und dramaturgisch zu groben Fehlern.
Stimming, also die Selbststimmulation von Wahrnehmungskanälen, dient der Wahrnehmungseinschränkung, Beruhigung und dem Stressabbau. Dies ist eine unbewusst(!) ablaufende Körperreaktion die jeder Mensch hat.
Stimming kann auch 2/x
bewusst, dass ich zum Beispiel präventiv gegen Überlastungen, ausgeführt werden und hat dann ähnliche Effekte. Bei Autist:innen ist es häufig zu beobachten da wir aufgrund der verstärkten Wahrnehmung sehr viel Stress und Belastung haben.
Ein Stimming das jeder schon beobachten 3/
#EllaSchön ist ein Paradebeispiel dafür wie Autist:innen #unsichtbar gehalten werden.
Man zeigt ein komplett falsches Bild (bevorzugt defizitär oder leidend) vom Leben als Autist:in.
Erweckt mit Fachvokabular den Eindruck daß das die Realität sei.
Und schon sind wir #Unsichtbar.
Die ganze Zeit die wir dann entweder dafür aufwenden müssen sowas wie #EllaSchön richtig zu stellen oder die Kraft mit den dort gezeigten Fehlinformationen leben zu müssen fehlt.
Sie fehlt um vorwärts zu kommen. An Sichtbarkeit zu arbeiten.
Oder einfach nur um in Frieden zu leben
Ich ahne jetzt schon wie kraftraubend es für Autist:innen und Angehörige sein wird wenn sie Stimming erklären möchten. Und dann hören "Stimming? Ihr Kind ist nicht deswegen in Behandlung oder in der Geschlossenen?"
Das Fachwort Stimming wird von einer Hilfe zum Stigma.