Für Moskau sind Gespräche Mittel zum Zweck, und zwar nur eines der Mittel. Ein anderes ist die Drohung mit dem Einsatz von Militär.
Für Berlin dagegen scheinen Gespräche oft schon der Zweck an sich zu sein. Die Annahme scheint zu sein, dass die Gegenseite durch Gespräche gewissermaßen sozialisiert werden kann, dass sich damit Konflikte überwinden lassen.
Berlin hat dementsprechend seit 2014 auf die Vierergespräche mit Russland, Ukraine und Frankreich gesetzt (Normandie Format).
Resultat ist aber nicht die Lösung des Konflikts im Donbas im Sinne der Souveränität der Ukraine, sondern eine Eskalation durch Moskau.
Der Kreml hat über die Gespräche im Normandie-Format nicht bekommen, was er wollte, nämlich Kontrolle über die Politik der Ukraine. Deshalb hat er die Gespräche abgebrochen und zu einer militärischen Drohkulisse als Mittel gegriffen.
Wenn jetzt Berlin die Rückkehr zum Normandie-Format als Lösung der gegenwärtigen Spannungen beschwört, dann wirkt dies wenig überzeugend -- sieben Jahre Normandie-Format haben Moskau davon überzeugt, dass es auf diesem Weg nicht bekommt, was es will.
Die Rückkehr zum Normandie-Format wäre nur dann ein Weg, wenn der Kreml seinen Anspruch, die Ukraine zu dominieren, aufgeben würde. Es wäre ein Eingeständnis der russischen Unfähigkeit, über den status quo ante der Jahre 2014-2021 zurückzukehren.
Ein solches Eingeständnis wäre ein Erfolg im Sinne der europäischen Friedensordnung, die auf der Souveränität der Staaten beruht, der Unverletzbarkeit von Grenzen und dem Gewaltverbot beruht.
Will Berlin jedoch diese Friedensordnung verteidigen, dann reicht es nicht aus, bloß die Rückkehr zum Normandie-Format zu fordern; das wirkt anachronistisch und der Lage nicht angemessen.
Vor allem ändert die Forderung nach Rückkehr zum Normandie-Format nicht das Verhalten Russlands, und eine Verhaltensänderung ist ja das Ziel.
Eine Verhaltensänderung gibt es nur, wenn die Kosten, die Russland für sein gegenwärtiges Verhalten zahlt, höher werden, so dass die Kosten-Nutzen-Kalkulation des Kreml verändert wird.
Die Priorität für alle, die sich für die europäische Friedensordnung einsetzen wollen, muss also heißen, an der Kostenschraube zu drehen: je unangenehmer die Sanktionen für den Kreml, desto größer die Chance, Russland zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.
Washington agiert gemäß dieser Logik, und ist bemüht, die Kosten für militärische Aggression Russlands möglichst hoch ausfallen zu lassen. Die Kosten lauten: Wirtschaftliche Sanktionen; mehr Nato-Präsenz in östlichen Mitgliedstaaten; militärische Hilfe für die Ukraine.
Berlin ist ein zentraler Player in dieser Auseinandersetzung. Wenn es eine weitere Eskalation und vor allem die Demontage der 1989-1991 etablierten europäischen Friedensordnung verhindern will, sollte es sich dringend und offensiv an der Erhöhung der Kosten beteiligen.
In der gegenwärtigen Lage nimmt sich Berlin aus dem Spiel, wenn es nur von Diplomatie und Gesprächen spricht, und zugleich den Eindruck erweckt, man wolle nichts tun, um das Kosten-Nutzen-Kalkül zu verändern.
All das, was Deutschland tut und nicht tut, wird von Moskau sehr genau beobachtet, und all das spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung in Moskau.
2014 konnte die verdeckte militärische Offensive Russlands in der Ukraine auch deshalb gestoppt werden, weil sich Merkel massiv engagierte und die Kosten für Russland erheblich erhöhte, im engen Zusammenspiel mit Obama.
Die neue Regierung dagegen wirkt derzeit, als wäre sie vor allem bemüht, die Kosten für Deutschland niedrig zu halten.
Die Kosten eines offenen Angriffs Russlands auf die Ukraine wären jedoch um ein vielfaches höher als alle Sanktionskosten. Man darf durchaus in der Dimension Balkankriege der 1990er denken.
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Besides everything else, the current debate about Russian demands and actions is also a battle of world views.
Those who think that Russia is a great power, or should be a great power, tend to think that Russia has been mistreated by the West since 1991.
Those who think that great powers deserve or naturally have a sphere of influence / domination in their neighborhood tend to argue that the US should seek a compromise with Russia; de facto a delineation of mutual spheres.
What is the German government's position on the inclusion of Nord Stream 2 into the sanctions package in case Russia further invades Ukraine?
My reading is that it's "strategic ambiguity": on the one hand, Berlin doesn't want to officially include NS2 into the list of potential sanctions, on the other hand, the message is that "all options are on the table", as @NilsSchmid (SPD) said yesterday.
@NilsSchmid This position is a compromise between a) those who want to keep Nord Stream out of the conflict with Russia -- as many in SPD do -- and those who think it can't be isolated from broader geopolitics -- as the Greens and probably FDP thinks.
"... should not distract from the fact that Nato is not prepared to offer Ukraine membership. If doing so could avert a war, why not find some way to say out loud what any Nato official would say behind closed doors: that Ukraine’s membership in Nato is not being considered?"
@scharap assumes that all Moscow wants is a declaration that Ukraine is not becoming a Nato member anytime soon -- and that it would go back to the status quo ante, before the current crisis, if it gets this assurance.
@scharap He also assumes that otherwise Moscow would wage open war on Ukraine.
Exactly: "the case against realist accommodation is not only ethical but practical: In the 21st century, spheres of influence neither satisfy large aggressors nor can easily be imposed on small victims."
Declaring that Ukraine won't join Nato wouldn't stop Russian aggression against Ukraine and the west, and it wouldn't stop Ukraine's resistance.
It would rather re-introduce a dangerous precedent in European politics: that bigger powers can limit the sovereignty of smaller powers by using force (or the threat of it). The rules of the game of Europe's peace order would be fundamentally changed.
Steht alles hier: Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte. Stuttgart 1969
Seite 19: "Weil eine Strategie der Kriegsvermeidung zu der Gefahr einer Prämie für denjenigen führt, der sich an ihre Prinzipien nicht hält und seine Macht zu Lasten der anderen zu erweitern trachtet, ist die Kriegsvermeidungsstrategie angewiesen auf eine Kontinuität des ...
"CSTO support allowed Tokayev and his allies to hold on to power for the time being, yet it linked, perhaps inextricably, Kazakhstan’s political future to Russian President Vladimir Putin"
"In this new chapter of its political history, Kazakhstan’s relationship with the Russian Federation will undoubtedly be filtered through the lens of the authoritarian solidarity extended by Putin through CSTO intervention."
"Kazakhstani multivectorism—the foreign policy mantra of the Nazarbayev era—is now a thing of the past: as a consequence, we may reasonably expect the regime in Nur-Sultan to drop its typical reticence toward integration into the Eurasian Economic Union."