Seit vielen Jahren hat der Kreml den 9. Mai und damit den Kampf gegen den Faschismus als unbegrenzte ideologische Ressource entdeckt. Wie sagte mir ein Gesprächspartner? Der Kreml hat die Kontrolle über die Wälder, das Öl und nun auch die Erinnerung (14/x).
Jetzt kommt’s: Der 9. Mai 1945 hat eine Schlüsselstellung für den Kreml. Immer wieder wird darauf zurückgegriffen, wird aktuelle Politik verwoben mit der Vergangenheit. Alles schreibt sich ein in den Kampf gegen den Faschismus, wird zum fortdauernden vaterländischen Krieg. (15/x)
Dazu schrieb ich 2020:
So wird aktuelle Politik in diesen historischen Strang verwoben und gerechtfertigt. Nur folgerichtig, überall Faschisten am Werk zu sehen: sie angeblich ab 2014 im Donbas zu bekämpfen, obwohl die russischen und russisch gesponserten Besatzer selbst faschistisch auftraten. (17/x)
Sich selbst in der Tradition der antifaschistischen Großväter zu sehen, aber AfD, Salvini, Le Pen und andere zu empfangen. Und schließlich: die von einem jüdischen Präsidenten regierte Ukraine vom angeblichen Faschismus frei zu bomben. (18/x)
Es wirkt wie ein irrer Widerspruch, wenn man die russische Symbolik, die Sprache, die Gesetze analysiert. Aber wenn man um die Bedeutung des 9. Mai 1945 weiß, ergibt das Gerede von Wladimir Putin einen Sinn. (19/x)
Die Erinnerung sei „die Hauptquelle für die ideologische Legitimierung" des gegenwärtigen Regimes, meint der russische Historiker Ivan Kurilla, dessen Texte ich nur wärmstens empfehlen kann. (20/x)
Die Folgen dieses antifaschistisch getarnten Faschismus sehen wir nun dieser Tage täglich in den Abendnachrichten. (21/x)
Wie das Kooptieren von Erinnerung funktioniert, habe ich 2020 hier beschrieben. 🧵-Ende.
Sorry fürs Chaos und wiederholtes Abreißen. Ich hasse Threads. (22/Ende)
Und weil hier die ersten „Aber die Nazis von Asow!“-Rufer kommen: Ja, Asow ist rechtsextremistisch. Aber ohne russischen Überfall kein Asow. Ja, es gibt Nazis in der Ukraine - wie in Russland, Deutschland, Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien auch.
Nachtrag zu Mark Bernes (hatte den Tweet im Chaos gelöscht): Sein Lied über den gebrochenen Soldaten wollten die Radiostationen zunächst nicht spielen. Ein gebrochener Soldat - das war ein Tabu. Der Soldat hatte und hat heroisch zu sein.
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Warum redet Wladimir Putin fortwährend davon, den Faschismus in der Ukraine zu bekämpfen (was unfassbarer Unsinn, eine infame Lüge ist)? Ein paar Gedanken. (1/x)
Fragt man Russen nach großen historischen Ereignissen, auf die sie stolz sind werden vermutlich die meisten zwei nennen: Juri Gagarins Flug ins All als erster Mensch. Und der Sieg über Nazi-Deutschland am 9. Mai 1945. (2/x)
Mit diesem Datum, dem 9. Mai 1945, endet in Russland nicht etwa der Zweite Weltkrieg, sondern „der Große Vaterländische Krieg“. Wichtig: Das ist nicht dasselbe. (3/x)
Fallt nicht auf die Behauptung herein, eine Neutralität der Ukraine hätte den russischen Angriffskrieg verhindert.
Drei Argumente, die das meiner Meinung nach widerlegen (1/3):
1. Bündnisneutralität war in der ukrainischen Verfassung verankert, als Russland 2014 Ukraine in einem Tarnkappenkrieg überfiel.
2. Auslöser des Konflikts war nicht ein NATO-Beitritt, sondern ein EU-Assoziierungsabkommen, das nicht unterzeichnet wurde. Maidan begann. (2/3)
3. Die VerbreiterInnen dieser These sollten doch bitte endlich Wladimir Putin beim Wort nehmen.
Er hat oft - schriftlich! - dargelegt, dass Ukraine keine eigenständige Nation ist, sondern ein künstliches Gebilde. Seine Neutralität = Ukraine als russischer Vasallenstaat (3/3).
Wladimir Putin spricht also vom Genozid im Donbas, russische Staatsmedien erzählen von „Lagern“ - aber von wem ist überhaupt die Rede?
Da fängt das Problem schon an. Ein langer Thread. Los geht’s. (1/x)
Geht’s um die Russen im Donbass oder um die Russischsprachigen? Ein wichtiger Unterschied, den der Kreml selbst verwischen will: (2/x)
Der Donbass ist keineswegs mehrheitlich russisch; es gibt einen beachtlichen Anteil an ethnischen Russen, aber sie sind in der Minderheit. Der Donbas ist sehr spezifisch für die Ukraine, wie Professorin Tanja Penter schreibt . (3/x)
Es handelte sich um einen Flug zwischen zwei EU-Staaten (!). Belarussen sind also selbst im Exil nicht sicher, so die Nachricht. Eine solche ruchlose Aktion muss Konsequenzen haben.
Xenia Sobtschak - Tochter des berühmten Sankt Petersburger Bürgermeister Anatolij Sobtschak, in den 90er Jahren Putins Chef, hat 2018 bei den Präsidentschaftswahlen als Spoiler-Kandidatin mitgemacht, offenbar als Belohnung eine Show im Staats-TV bekommen 1/X
In ihrer ersten Talkshow ging es um den Fall der drei Chatschaturjan-Schwestern, denen bis zu 20 Jahre drohen. Sie hatten ihren Tyrannen-Vater getötet. In ihrer Sendung ließ Sobtschak das Martyrium der Familie von Schauspielern nachspielen, während Familie dabei saß. 2/x
TW
Niemand hatte der Mutter drei Schwestern gesagt, dass sie nun live ihrer eigenen nachgestellten Vergewaltigung beiwohnen würde. Während die Bilder gezeigt werden: Nahaufnahme auf das Gesicht der Mutter, die leichenblass wird und mit der Fassung ringt. 3/x