Vor fast genau 25 Jahren trat die Chemiewaffenkonvention (#CWC) in Kraft - sie verbietet Entwicklung, Herstellung, Besitz und Einsatz chemischer Kampfstoffe.
Ein Thread über #Chemiewaffen und warum ihr Verbot derzeit immer schwächer wird. 🧵
1/19
Die CWC war einerseits sehr erfolgreich bei der Vernichtung vorhandener chemischer Waffen. Seit ihrem Inkrafttreten sind weit über 90 % aller Lagerbestände an chemischen Waffen weltweit vernichtet worden.
Andererseits sehen Fachleute die Gefahr einer Rückkehr der C-Waffen.
2/19
In den letzten zehn Jahren gab es diverse Vorfälle mit Chemischen Waffen, nicht zuletzt im Syrischen Bürgerkrieg. Der Chemiewaffeneinsatz ist nie richtig geahndet worden. Dann gab es Attentate mit Nervengasen, plus ein paar Verdachtsfälle, u.a. auch 2014 in der Ukraine.
3/19
Das Problem ist nicht nur, dass die Zahl der Vorfälle nach der Jahrtausendwende zunahm, sondern auch, dass der Rahmen der CWC im Umgang mit solchen Fällen unterlaufen wird.
Die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) hat die Aufgabe, die CWC durchzusetzen...
4/19
...sie steht aber nur daneben und ist den Erwägungen der Staaten untergeordnet. Das sieht man u.a. an den "challenge inspections". Die kann ein Staat in einem anderen Staat anordnen, um einen C-Waffen-Verdacht auszuräumen. Sie werden aus diplomatischen Gründen nicht genutzt.
5/19
Hart gesagt, die Staaten sind nicht bereit, sich gegenseitig auf die Einhaltung der CWC festzunageln und bei Verstößen den Rahmen der Konvention zu nutzen. Das ist natürlich ein massives Problem, weil die OPCW ohne Rückendeckung der Staaten wenig ausrichten kann.
6/19
Außerdem hat sich die Exportkontrolle von Chemiewaffenvorläufern in der Vergangenheit als lückenhaft erwiesen. Die CWC-Vertragsstaaten sind verpflichtet, den Handel mit einer Liste von Dual-Use-Chemikalien zu kontrollieren, die man für C-Waffen braucht.
7/19
Trotzdem hat sich später gezeigt, dass kontrollierte Vorläufersubstanzen für Nervengase u.a. aus Deutschland und UK nach Syrien exportiert wurden. D.h. der Versuch, Chemiewaffenproduktion über Einschränkungen bei Dual-Use-Stoffen einzudämmen, haut nicht gut hin.
8/19
Das ist auch keine Überraschung, die meisten Sachen sind Industriechemikalien mit legitimen zivilen Anwendungen. Genau dafür wären aber halt u.a. die challenge inspections nötig - um deren Verwendung zu kontrollieren. Aber der CWC-Rahmen wird nicht genutzt.
9/19
Dazu kommt ein großes technisches Problem: die klassischen Methoden, Chemiewaffenprogramme zu entdecken, dürften in Zukunft noch schlechter funktionieren. Schuld ist der wissenschaftliche Fortschritt.
10/19
Bisher war gerade die Herstellung von Nervengasen hochspezialisierte Chemie. Man braucht aggressive, hochgiftige Chemikalien und die Anlagen, die sie vertragen, spezielle Reinigungssysteme, Heiztechnik, Entsorgungstechnik etc.
11/19
Die Herstellung lief bisher immer über eine einzelne Reaktion, die Michaelis-Arbuzov-Umlagerung, die hohe Temperaturen und damit beheizte Spezialreaktoren braucht. Es gibt nicht viele Sachen, die irgendwas Legales können und "zufällig" auch diese spezifische Reaktion.
12/19
Das heißt, in so ner klassischen Nervengasfabrik guckt sich so ein Inspektor drei mal um und weiß, was Sache ist.
Aber das ändert sich. Bessere Synthesewege (z.B. in der Fluorchemie) machen mildere Bedingungen möglich oder reduzieren giftige Zwischenprodukte und Abfälle.
13/19
Im Extremfall kann man gleich neue Synthesewege oder gar ganz neue #Chemiewaffen designen, die man völlig ohne kontrollierte Vorläufer produziert. Das fliegt dann komplett unter dem Radar, denn was die CWC nicht kennt, das erfasst sie auch nicht.
14/19
Das ist gar nicht unrealistisch. Man kann heutzutage im großen Stil Medikamentenkandidaten screenen. Warum nicht auch neue chemische Kampfstoffe? Da gab es neulich grad ein Paper drüber, wie man mit machine learning neue #Nervengase entwickeln kann.
15/19 nature.com/articles/s4225…
Es wird also echt schwierig, die Erfolge der Chemiewaffenkonvention auch im 21. Jahrhundert zu bewahren. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Der technische Fortschritt hat auch die Analytik verbessert, mit der man C-Waffen nachweist.
16/19
Außerdem ist es, wie wir in der #Ukraine sehen, durch all die Handys und Satelliten etc immer schwieriger, in einem Kriegsgebiet mit sowas sicher unbeobachtet zu bleiben. Das bedeutet, ein zukünftiger größerer C-Waffen-Einsatz wäre wohl quer durchs Internet zu sehen.
17/19
Damit wären wir aber wieder bei der ursprünglichen, ganz zentralen Frage: ist denn überhaupt die Bereitschaft da, sich hinter das Verbot chemischer Waffen zu stellen? Würde die "Weltgemeinschaft" einen Chemieangriff entsprechend nachdrücklich bestrafen?
18/19
Es ist zweitrangig, wie der rechtliche Rahmen der Chemiewaffenkontrolle genau aussieht - entscheidend ist der Wille dahinter. Nur, wenn die Staaten bereit sind, für die Durchsetzung der CWC auch eigene Interessen zurückzustellen, ist eine Welt ohne Chemiewaffen möglich.
19/19
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
Kurzer Thread zu "negativen Emissionen", also Techniken, mit denen man CO2 aus der Atmosphäre zieht.
Man könnte ja meinen, dass es reicht, dass so ne Technik grundsätzlich viel CO2 aus der Luft zieht. Aber tatsächlich muss man ganz detailliert messen, wie viel das genau ist.
1/10
Das Problem liegt in der Finanzierung. Solche Techniken sollen über den Zertifikatehandel finanziert werden. Das heißt grob gesagt, wer ne Tonne CO2 emittiert, kann von so negative-Emissions-Heinis ein Zertifikat kaufen, dass irgendwo ne Tonne CO2 gebunden wurde.
2/10
Aber wenn man wie im Tweet oben Gesteinsstaub aufm Acker verteilt, dann wissen wir ja nu erstmal nicht, wie viel Kohlendixid da tatsächlich in welcher Zeit gebunden wird. Das hängt von Temperatur, Feuchtigkeit, Bodentyp, Bewuchs, Korngröße etc ab. spektrum.de/news/negative-…
3/10
Pilz-Thread. 🧵🍄
Fun fact 1: der Pilz Aspergillus fumigatus tötet unbehandelt mehr als 90 Prozent aller Infizierten, und selbst mit Medis sterben 20 - 50%.
Fun fact 2: A. fumigatus tötet weltweit jedes Jahr etwa so viele Menschen wie Grippe, geschätzt rund 600.000.
1/4
Fun fact 3: der Anteil der gegen eins oder mehrere der gängigen Medis (Itraconazol etc) resistenten Pilze steigt seit Jahren deutlich.
Fun fact 4: A. fumigatus ist quasi überall in der Umwelt vorhanden, wir atmen die Sporen regelmäßig ein.
2/4
Fun fact 5: ein großer Anteil von A. fumigatus in Umweltproben scheint resistent zu sein, vermutlich wegen Fungiziden in der Landwirtschaft.
Fun fact 6: A. fumigatus scheint bevorzugt Milchprodukte zu besiedeln. Also wenn euch schon mal Käse verschimmelt ist... 😁
3/4
Es gibt inzwischen aussichtsreiche Behandlungsoptionen selbst für die am stärksten gefährdeten Gruppen. Allerdings sind die nicht ohne Probleme.
Wie der Stand ist und worauf ihr achten müsst.
1/15
Daten zeigen, dass die meisten Immunschwachen nach 3 Impfungen einen ordentlichen Schutz aufbauen. Z.B. 60% Serokonversion nach 2 Impfungen bei Krebs. Weitere Impfungen steigern die Serokonversion, d.h. auf jeden Fall 3. & 4. Dosis holen.
2/15
Bei zwei Gruppen wirken die Impfungen kaum: Organtransplantierte und Leute, die das Medikament #Rituximab bekommen.
Da gibt es aber inzwischen auch Optionen. Primär sind das monoklonale #Antikörper, die in DE nach meinen Infos weithin mit gutem Erfolg eingesetzt werden.
3/15
Kurzer Einschub: Ich hatte letztes Jahr zusammengefasst, was über das Thema bekannt ist. Da sind auch ein paar der hier besprochenen Effekte etwas ausführlicher erklärt.
2/15 scilogs.spektrum.de/fischblog/unfr…
Die neuen Ergebnisse stammen aus Untersuchungen an 11 an #Covid19 verstorbenen Männern. Das hat den Nachteil, dass man hier nur die Effekte schwerster Verläufe sieht. Aber nicht tödlich erkrankte Männer rücken gemeinhin nur sehr ungern geeignete Untersuchungsobjekte raus.
3/15
Wir wissen ja, dass #Covid19 auch Schäden am Herz-Kreislauf-System verursacht. Diese Langzeitstudie liefert konkrete Zahlen über das zusätzliche Risiko nach 12 Monaten.
Die Untersuchung ist besonders hilfreich, bei sie ein paar mehr Details bietet. 1/6
Zum einen ist darin aufgeschlüsselt, wie wichtig die Schwere der Erkrankung ist. Auch mit sehr milden Verläufen gibt es höhere Risiken, aber der Anstieg ist sehr gering, außer bei Herzmuskelentzündungen. Mit der Schwere der Erkrankung nehmen auch die Folgen zu.
2/6
Kurios ist der Befund, dass bei Übergewicht und Diabetes die Folgen fürs Herz-Kreislauf-System geringer zu sein scheinen. Das kann mehrere Gründe haben. Zum Beispiel könnte die medizinische Behandlung des Diabetes eine Rolle spielen. Oder dass hier schlicht mehr sterben.
3/6
Kurzer Hinweis zum Umgang mit beruhigenden und beunruhigenden Forschungsergebnissen aller Art über #COVID19.
In den letzten 2 Jahren wurde darüber gefühlt mehr geforscht als über alle anderen Infektionskrankheiten in den letzten 50.
Das hat zwei Konsequenzen:
1/4
Erstens ist davon sehr viel vorläufig, ungeprüft und nicht reproduziert.
Zweitens erforscht man dadurch unglaublich viele Sachen, die man bei anderen Viren noch nicht nachgeguckt hat. Entweder weil das Geld oder die Motivation fehlte oder es die Methode noch nicht gab.
2/4
Das heißt, man findet jetzt bei #Covid19 ganz viele Sachen, die außergewöhnlich, exotisch und bizarr erscheinen.
Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass Sars-CoV-2 außergewöhnlich, exotisch und bizarr ist. Jedenfalls nicht mehr als andere Viren.
3/4