Ein Kommentar zum #Pflegestreik der Universitätskliniken in NRW.
Vorweg: Ich bin Arzt und Krankenpfleger. Meine Ausbildung ist inzwischen mehrere Jahrzehnte her, und die Probleme von heute sind nicht neu. Nur viel dramatischer.
Die Pflege in Deutschland hat aus meiner Sicht sehr viele Probleme.
1. Oft keine homogene Selbstorganisation und geschlossene Interessenvertretung. Früher DGB und Co, heute verdi, so richtig viel ist da nicht passiert. Hier und da Tarifverhandlungen, aber strukturelles blieb aus
Die Pflegekammern werden aus dem Berufsstand, oft im Unverständnis dessen, was sie leisten könnten, teilweise torpediert oder wieder abgeschafft. So bleibt es oft bei der Behandlung von Einzelproblemen in Einzelbetrieben.
2. Die Arbeitsrealität in der Pflege heute ist grauenhaft. Egal ob in der ambulanten Versorgung, der Altenpflege oder der stationären Versorgung, egal ob Intensiv- oder Normalstationen. Arbeitsverdichtung, Personalmangel, geringe Wertschätzung.
Fachfremde Hilfsarbeiten bleiben an der Pflege hängen, die für ihre eigentlichen Aufgaben immer weniger Zeit hat. Resultierende Folgen, die durchaus auch gesundheitliche Schäden bei Patienten sein können, werden als schicksalhaft bewertet - sind sie nicht. Sie sind Folgen von
Mangel an Fachpersonal. MEnschen können noch so gut ausgebildet und motiviert sein - sie können trotzdem nicht überall sein. Die Versorgung oft polymorbider Patienten, deliranter oder dementer Patienten, ist eine anspruchsvolle Vollzeitaufgabe.
3. Die erlebte Selbstwirksamkeit wird durch die beschriebenen Probleme gering. Die Anwerbung von Pflegepersonal aus dem Ausland stopft keine Löcher. Dazu kommt, dass die Kompetenzen und Aufgaben von Pflegenden, die im Ausland ausgebildet wurden, oft besser sind als die in D.
Und damit meine ich nicht die Übernahme klassisch ärztlicher Tätigkeiten. Aber die Pflege in D wird oft ausgebremst.
4. Der Brief oben ist ein typisches Beispiel für die top-down-Weiterreichung von Schuld. Wenn du nicht arbeitest, wenn du nicht einspringst, wenn du nicht zur Verfügung stehst, dann bist du schuld. Dass jahrzehntelang immer mehr Personalabbau stattfand, während sich
private Klinikkonzerne der Gewinnmaximierung (funktioniert super über Personalabbau bis weit über die Schmerzgrenze hinaus) verschrieben haben, flüchten Pflegende aus dem Job, weil die Bedingungen unzumutbar sind.
Ständiges Einspringen, Märchen von "Dienstverpflichtung", maximaler Druck zur Überdeckung von Organsationsverschulden - liebe Kliniken, es ist eure Aufgabe, ausreichend Personal zu beschäftigen. Von der unzureichenden Entlohnung mal ganz abgesehen.
Corona war ein Brennglas, welches die Probleme weiter verschärft hat. Und die Alterung der Gesellschaft geht weiter, die Probleme werden zunehmen. Immer mehr immer ältere Patienten wollen versorgt werden, der Personalbedarf steigt, die Attraktivität sinkt seit Jahren.
Diejenigen, die für sich eine Alternative suchen und in der Zeitarbeit landen, handeln folgerichtig und nach "der Markt regelt" - sie erkennen ihren eigenen Wert. Die Zeitarbeitsfirmen bieten seit langem schon höheres Einkommen, flexible Arbeitszeitmodelle und
planbares frei. Kein Wunder, dass sie attraktiv sind. Vor Corona war man daher ja auch dran, dies verbieten zu wollen. Marktwirtschaft funktioniert ja schliesslich nur solange, bis das Personal seinen eigenen Wert erkennt und das Spiel nicht mehr mitspielt.
Denjenigen, die jetzt rufen "aber die Patienten, ihr tragt das auf dem Rücken der Patienten aus! Das könnt ihr nicht machen, das ist doch unmoralisch" sei gesagt: Die Notfallversorgung ist auch im Streik geregelt. Alles, was kein Notfall ist, muss jetzt warten.
Wem das nicht gefällt, der darf gerne überlegen, welche Partei(en) er zuletzt so gewählt hat und was die für die Reform des Gesundheitswesens im Allgemeinen und für die Pflege im Speziellen so geleistet haben. Tipp: nicht viel.
Es geht im ambulanten Sektor übrigens munter weiter. Mit (der Ausbeutung von) Pflege und Pflegeabhängigen lässt sich viel Geld verdienen. Ob das Konzerne sind, die Altenheime oder MVZ aufkaufen. Um dann teure Leistungen zu verkaufen. Bei einem möglichst niedigen Kosten- und
Personaleinsatz.
Es geht um viel mehr als nur darum, ob jetzt eine OP heute oder in 2 Monaten stattfinden kann. Es geht darum, wie wir pflegebedürftige Patienten versorgt wissen wollen. Ambulant und stationär und in der Zukunft.
Und Mails wie die zitierte sind exemplarisch für den Druck, der aufgebaut wird, um Pflegenden qua schlechtes Gewissen in die besch... Bedingungen zurückzudrängen. Damit das System so weiterläuft wie bisher auch.
Daher: volle Solidarität mit dem #Pflegstreik.
Das betrifft ALLE.
Ergänzung: der zitierte Tweet würde gelöscht, vielleicht war die Aufmerksamkeit so nicht gewünscht.
Inhaltlich war das ein Screenshot einer Mail, in der Streikende mit "menschlicher Enttäuschung" unter Druck gesetzt und zur Aussetzung des Streiks aufgefordert wurden.
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Mal wieder was aus dem Leben als #Notarzt. (Disclaimer: Nicht aktuell, verfremdet).
Morgens um 8, der Dienst ist gerade gestartet, da bimmelt der Melder. "Bewusstlose Person" steht auf dem Display, beim losfahren meldet die Leitstelle "Kollaptische Person in /1
einer Bäckerei, vermutlich Reanimation, versuchen Anleitung zu geben" - meint: Die Leitstelle 112 versucht gerade, den vor Ort anwesenden Personen eine Anleitung zu geben, eine Wiederbelebung durchzuführen. /2
Unsere Anfahrt beträgt einige Minuten. Wir treffen nahezu zeigtleich mit dem Rettungswagen ein. Im Ladengeschäft der Bäckerei liegt vor dem Verkaufstresen ein Mann, schätzungsweise Mitte 50. Aus der Backstube ist ein Mitarbeiter gekommen, der /3
Ein paar einfache Fakten rund um Covid und zur Impfung, die ich im Alltag leider oft ignoriert sehe. Ein Thread:
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1. Ein positiver Schnelltest ist positiv. Ja, es gibt falsch positive, aber viel weniger als falsch negative. Es wird nicht mit Schnelltests nachgetestet, bis einer negativ ist.
2. Jeder Test - auch eine PCR - ist von der Qualität der Präanalytik abhängig.
Also wo, wie und wie lange ich abstreiche und wie ich dann den Abstrichtupfer in Lösung bringe. Macht es gründlich, tief im Rachen und ausreichend lange. Tupfer in Lösung lange genug rühren, nicht nur kurz einstippen.
Aus aktuellem Anlass mal wieder Fake-News debunken.
Wer ist denn wirklich AN Corona gestorben?
Unsinns-Behauptungen gehen bis dahin, dass jemand, der zB bei einem Unfall stirbt und gleichzeitig Corona hat, der Todesfallstatistik für Corona zugerechnet würde. Das ist Quark. 🧵
Gucken wir uns doch mal das Formular dafür an, den Totenschein, genauer: den vertraulichen Teil, der an Behörden geht. (Vertraulich, weil er eben Gesundheitsdaten enthält). Muster aus NRW, in anderen Bundesländern ggf abweichend, aber im Prinzip dasselbe.
Für eine definierte Todesursache benötigt es klare Sachzusammenhänge. Heisst zum Beispiel: Gestorben an terminaler Herzinsuffizienz durch Herzinfarkt infolge von Arteriosklerose mit Bluthochdruck und erhöhten Blutfetten.
Da die Diskussion gerade hochkocht, mal ein paar Gedanken zu #NoCovid und endemischer Situation. Langfristig betrachtet.
Die Pandemie ist deswegen ein Problem, weil das Virus 2020 auf eine komplett immunnaive Welt getroffen ist. Aus diesem Zustand führen 2 Wege:
1. Ausrottung des Erregers 2. Generieren von Immunität.
Letzteres durch Infektion oder - erstmalig in der Geschichte in einer Pandemie - durch Impfungen. Oder beides.
Das Problem ist der Weg dahin. Betrachten wir die Optionen:
1. Ausrottung des Erregers. Das ist uns zB mit den Pocken gelungen und könnte auch mit Masern gelingen. Denn: Hier ist der Mensch alleiniges Erregerreservoir. Es gibt keine sonstigen Wirte für die Erreger und mit international konzertierten Impfungen hoher Effektivität
Wie geht's denn jetzt mit der Pandemie und dem impfen weiter? Ein #Thread mit einer sehr persönlichen Einschätzung, was mit #Omikron passieren wird. Keine Modelle, keine Quellen, rein persönliche Meinung aufgrunddessen, was ich mir so zusammengereimt habe. 1/x
#Omikron hat leider das Potential, erst einmal vieles schlimmer zu machen. Relevanter Immunescape trotz Impfung oder Genesung, vermutlich ansteckender, "weniger krank machend" scheint auch eher nicht zu stimmen. Was wir inzwischen sicher wissen: #Omikron wird auch hier 2/x
sehr schnell der vorherrschende Stamm sein und Delta vermutlich verdrängen. Was bedeutet das für uns? Da gibt es dann die individuelle Sicht und die gesamtgesellschaftliche. Die gute Nachricht: wenn man geimpft (am besten schon geboostert) ist, dann hat man den besten 3/x
Liebe Menschen, die ihr noch über eine Impfung für euch oder eure Kinder nachdenkt:
Wenn ihr Fragen habt, stellt sie. Gerne hier, gerne auch via PN falls ihr das nicht öffentlich tun wollt.
Hier gibt es viele Mediziner, die euch gerne alles erklären. Ich bin einer davon.
(Disclaimer: Ich kann keine Offlabel-Impfungen U12 anbieten oder vermitteln, sorry.)
Das ging mal durch die Decke...danke für euer Interesse und eure Fragen im Thread und via PN. Ich habe ne ganze Weile kontinuierlich Fragen beantwortet und die Mentions explodieren hier immer noch. Da auch mein Tag nur 24 Stunden hat - stellt weiter Fragen, morgen gehts weiter!