#IchBinHanna kenne die meisten hier vermutlich schon, weil bereits mehrere Kurator*innen auf Twitter bereits die Gelegenheit genutzt haben, um über ihren Werdegang und ihre Erfahrungen zu berichten. Ich möchte also die Aktion nur kurz vorstellen.
Im Februar 2021 war bereits @AmreiBahr hier auf dem Account zu Gast, die damals auch intensiv zu den Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft getwittert hat. Damals stand das Ganze im Zeichen von #95vsWissZeitVG, einer Aktion aus dem Herbst 2020.
Bei #95vsWissZeitVG haben wir – Amrei, @SebastianKubon und ich – zusammengefunden mit dem Ziel, in Anspielung auf den Reformationstag 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (#WissZeitVG) zu sammeln.
Das #WissZeitVG ist in der Wissenschaft ein Dauerbrenner, weil es ein Sonderbefristungsrecht schafft, das weit über das normale Teilzeit- und Befristungsgesetz hinausgeht. Unter der Vorgabe der Qualifikation können wiss. Beschäftigte bis zu 12 Jahren befristet angestellt werden.
Diese großzügigen Befristungsmöglichkeiten (die noch durch einige Sonderregelungen etwas ausgeweitet werden können) sorgen zusammen mit der Befristung der Gelder an den Hochschulen zu einer absurden Situation: Eigentlich ist in der Wissenschaft fast niemand mehr entfristet.
Alle befinden sich (vermeintlich) in der Qualifikationsphase – z. T. bis ins fünfte Lebensjahrzehnt! Es herrscht im Wesentlichen ein In-or-Out-Prinzip: Wer nicht Chef wird (also eine Professur erreicht), fliegt irgendwann aus dem System.
Und wenn sie dann einmal nicht mehr befristet werden können, weil die Regelungen des #WissZeitVG ausgereizt sind, müssen sich viele beruflich neu orientieren – eine enorme Verschwendung von Ressourcen und öffentlichen Geldern, die wir deshalb immer wieder anprangern.
Zunächst entstand ein Blog (95vswisszeitvg.wordpress.com), inzwischen gibt es aber auch ein Buch zur Aktion, das neben den 95 Thesen drei Essays von uns sowie 10 Erfahrungsberichte von Personen auf unterschiedlichen Karrierestufen enthält: buechner-verlag.de/buch/95vswissz….
Im Juni 2021 tauchte dann ein Video des Bundesministerium für Bildung und Forschung auf, das anhand einer fiktiven Figur, der Biologin Hanna, das #WissZeitVG erklärte und Befristung zur notwendigen Voraussetzung von Innovation erklärte. Sonst käme es zur ‚Systemverstopfung‘.
Zeit, dieser Hanna ein reales Gesicht zu geben, dachten wir! Und so wurde der Hashtag #IchBinHanna geboren, der innerhalb kürzester Zeit eine Bewegung erschuf, die bis heute dafür sorgt, dass niemand das Thema mehr ignorieren kann.
Zum ersten Geburtstag unserer Hanna, den wir gerade erst begangen haben, liegt nun endlich die lang erwartete #Evaluation des #WissZeitVG vor. Auf diese – so hieß es immer – müsse man warten, bevor zu der Situation unternommen werden könne.
Jetzt ist sie da und nach der Sommerpause des Bundestages soll der Gesetzgebungsprozess losgehen. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien steht das Ziel der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft schon, jetzt muss die Umsetzung kommen.
Denn: Die gegenwärtigen Bedingungen sind einfach nicht attraktiv. Immer häufiger ergeben sich Probleme bei Stellenbesetzungen, weil Menschen einsehen, dass sie außerhalb der Wissenschaft schneller eine dauerhafte Perspektive haben und nicht selten mehr Geld verdienen.
Damit gehen aber der Wissenschaft nicht selten viele von denen verloren, die sie doch eigentlich zu halten bestrebt sein sollte, um die aktuellen Aufgaben unserer Gesellschaft zu bewältigen und ein hochwertiges Studium zu gewährleisten. #IchBinHanna
Das gegenwärtige System fördert auch nicht die ‚Besten‘, sondern höchstens die Besten aus der Gruppe derer, die die prekären Bedingungen individuell abfangen können: Menschen mit finanziellen Rücklagen, deutschen Pässen und ohne Kinder oder gesundheitliche Einschränkungen.
Dass die Professorenschaft recht homogen ist, verwundert kaum, denn der Weg nach oben wird künstlich erschwert, indem man voll ins Risiko gehen muss und bis zum Ruf auf Lebenszeit immer wieder alles verlieren kann. So wird es nichts mit Chancengleichheit! #IchBinHanna

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Kristin @ Real Scientists DE

Kristin @ Real Scientists DE Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @realsci_DE

Jun 25
Jetzt habe ich einige Tage von meiner Arbeit berichtet und schon viele wichtige Dinge angesprochen. Deshalb jetzt nochmal die generelle Frage: Wie hält man das alles durch bzw. wie macht man anderen Menschen das Leben leichter, nicht schwerer?
Diese Frage ist besonders wichtig, weil in der Wissenschaft häufig noch die Vorstellung vorherrscht, diese müsse ein Haifischbecken sein und nur wer dort überlebe, sei für die Tätigkeit geeignet. Hier hingt die Wissenschaft arg ihren eigenen Forschungserkenntnissen hinterher…
Ich arbeite natürlich keine (!) 60-Stunden-Woche, auch wenn manche das denken. Das wäre ja noch schöner! 😅
Regel Nummer 1: Immer erstmal in Ruhe frühstücken und Zeitung lesen, bevor es ans Twittern geht ;)
Read 22 tweets
Jun 25
Was noch fehlt in meinen bisherigen Tweets sind natürlich Ausführungen zur Lehre, die aber tatsächlich einen großen Teil meiner täglichen Arbeit ausmacht. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Germanistik als Lehramtsfach hier einen Schwerpunkt hat.
Andererseits habe ich mich in den letzten Jahren immer wieder mit Fragen guter akademischer Lehre beschäftigt. Daraus entstand 2020 wegen des akuten Bedarfs zusammen mit @ClaudiusSittig, @JanHorstmannn und @ElexaDigitalia
diese Plattform: digitale-lehre-germanistik.de.
Damals mussten ja alle ziemlich rasch auf digitale Lehre umstellen und es war uns ein Anliegen, neben Tools, die überall verwendbar sind, eine Plattform zu schaffen, die auch fachspezifische Inhalte sammelt.
Read 17 tweets
Jun 24
Wer hat noch Lust auf ein kleines Ratespiel zum Feierabend? Morgen früh gibt es die Auflösungen!

Im Folgenden findet ihr Inhaltszusammenfassungen berühmter Werke der deutschsprachigen Literatur. Könnt ihr die Werke erraten?
"Eine Frau stirbt, weil der Freund ihres Ehemanns den Namen ihres früheren Hundes weiß."
"Ein junger Mann tanzt mit einer verlobten Frau, tollt mit den Kindern herum, liest „Emilia Galotti“ und es geht nicht gut aus."
Read 6 tweets
Jun 24
Wenn ich wieder bei Themen des 18. Jahrhunderts bin, bietet es sich an, dass ich noch ein wenig aus meiner Arbeit im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ) berichtet, die ihren Sitz in Wolfenbüttel hat. dgej.hab.de
Mitglied bin ich seit 2013, weil ich durch meine Promotion mit dem 18. Jahrhundert beschäftigt war und ohnehin eine Vorliebe für die Zeit und ihre Literatur hatte. Ich war damals auf meiner ersten Jahrestagung (erstmal nur als Zuhörerin), um mir das Ganze genauer anzusehen.
Was mich schnell für den Verein begeistert hat, sind die vielseitigen Aktivitäten, mit denen man sich als Mitglied einbringen kann. Reizvoll ist vor allem die Verbindung zur internationalen Forschung zum 18. Jahrhunderts.
Read 9 tweets
Jun 24
Jetzt der erste Vortrag des Workshops "Idylle und Geschlecht": Katrin Peters (@uni_mainz) stellt die romanistische Perspektive vor. Sie spricht über Jorge de Montemayors Felismena und ihre europäische Rezeption.
Bei dessen "La Diana" handelt es sich um einen spanischen Schäferroman der Frühen Neuzeit (1559).
Sie betrachtet hier die empfindsame Rezeption des Romans, aus dem 18. Jahrhundert, die natürlich mit dem frühneuzeitlichen Text ihre Probleme hat. Hier treffen laut Peters zwei verschiedene "emotionale Regime" (Begriff: William Reddy) aufeinander.
Read 6 tweets
Jun 24
Guten Morgen! Heute gehe ich einer weiteren wichtigen Tätigkeit wissenschaftlichen Arbeitens nach: Ich bin auf einem kleinen Workshop in Oldenburg zum Thema „Idylle und Geschlecht“, veranstaltet von Christian Schmitt.
Ich selbst werde dort einen Vortrag zum Schäferspiel des 18. Jahrhunderts halte, also wieder Aufklärungsforschung betreiben. Der Vortrag dreht sich um die Geschlechterkonstellationen im Schäferspiel im Hinblick auf die Liebesthematik.
Veranstalter @ChrisDeSmid eröffnet die Veranstaltung und stellt das Programm vor. Währenddessen nutze ich die Zeit und schreibe hier etwas über mein Vortragsthema: das Schäferspiel.
Read 22 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Don't want to be a Premium member but still want to support us?

Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal

Or Donate anonymously using crypto!

Ethereum

0xfe58350B80634f60Fa6Dc149a72b4DFbc17D341E copy

Bitcoin

3ATGMxNzCUFzxpMCHL5sWSt4DVtS8UqXpi copy

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(