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Jul 7 20 tweets 4 min read
Das EU-Parlament deklariert fossiles Erdgas als nachhaltig. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, zeigt eine brandaktuelle Studie von @CKemfert et al.

Warum ist die Entscheidung des EU-Parlaments so fatal? 🧵1/18

#NotMyTaxonomy #Klimakatastrophe
Vorab: Wo stehen wir, was die Emissionen von Erdgas angeht? Zwischen 2009 und 2018 ist der CO2-Ausstoß, der auf Erdgas zurückzuführen ist, nicht etwa gesunken, um Klimaziele einzuhalten, sondern um 2,6 % pro Jahr gestiegen.
Stand jetzt sind zudem weltweit Gas-Infrastrukturprojekte von 500 GW geplant oder befinden sich im Bau. Allein in Deutschland sollen 11 neue LNG (liquefied natural gas) Terminals im Eilverfahren genehmigt werden.
Kurzum: "Erdgas ist eine der Hauptursachen für den Klimawandel".
Aber was sind nun ganz konkret die Probleme von Erdgas und damit der Entscheidung des EU-Parlaments? Die Forschenden führen 5 entscheidende Punkte auf:

1) Die Methan-Emissionen durch Erdgas werden unterschätzt
Das liegt u.a. daran, dass viel mehr Methan (= Hauptbestandteil von Erdgas) bei der Produktion und beim Transport entweicht als bisher angenommen. Rund 2,2 % des Erdgases entweicht im Durchschnitt in die Atmoshphäre, bevor es überhaupt verwertet werden könnte.
Bei einigen Superemittenten sind es sogar bis zu 17 %.

Das Problem: Ab einer "leakage rate" von ca. 3,3 % hätte Erdgas quasi keinen Klimavorteil mehr gegenüber Kohle. Dies wird allerdings häufig nicht adäquat in Modellen berücksichtigt (dazu gleich mehr).
Auch unterschätzt wird der Impact von Methan in der Atmosphäre. Die Studie von Kemfert et al. bezieht sich auf aktuelle Zahlen des Weltklimarats (IPCC), wonach Methan in den ersten 20 Jahren nach Eintritt in die Atmosphäre 87-mal klimaschädlicher ist als CO2.
Deswegen könnte es durch die vermehrte Verwendung von Erdgas sogar einen höheren temporären Temperaturanstieg geben als durch Kohle.

Das ist besonders gefährlich, da hierdurch Kipppunkte der Erdsysteme überschritten werden und einen Domino-Effekt auslösen können.
2) Viele Erdgas-Energie-Modelle sind fehlerhaft

Man mag es kaum glauben, aber die von der EU genutzten Energiesystem Modelle (PRIMES, GAINS) nutzen veraltete Werte zur Klimawirksamkeit von Erdgas.
Eine Studie der Lobbyorganisation Eurogas (mit Sitz in Brüssel 😇) blendete Methan einfach aus und betrachtete ledigliche die entstehenden CO2-Emissionen von Erdgas.

Vor der Verwendung entweichendes Erdgas (s.o.) wird zudem in vielen Modellen ebenfalls nicht beachtet.
3) Das Brückentechnologie-Narrativ hat sich etabliert

'Erdgas ist zumindest weniger schlimm als Kohle, von daher sollten wir uns damit Zeit kaufen, bis die Erneuerbaren mal so weit sind'. So oder ähnlich lautet die Erzählung, warum Erdgas gerade Zukunft haben soll.
Es fehlt in diesem Narrativ allerdings sowohl das Ziel, zu dem die Technologie-Brücke führen soll, als auch ein konkretes Enddatum. Die Forschenden berufen sich auf mehrere Studien, die zeigen, dass Energie aus 100% Erneuerbaren Energien jetzt schon technologisch umsetzbar ist.
4) Neue fossile Infrastruktur haben wir für Jahrzehnte am Hals

Wenn alleine die jetzt schon bestehende Energieinfrastruktur so weiterläuft wie bisher, würden 658 GtCO2 emittiert und damit 1,5 Grad-Budget überschritten. Trotzdem soll jetzt neue Unfrastruktur aufgebaut werden.
Neue Gas-Terminals und Pipelines, die u.a. aufgrund der Entscheidung des EU-Parlaments gebaut werden, kreieren einen "carbon lock-in" für teilweise mehrere Jahrzehnte – der Ausbau von Solar- und Wind-Infrastruktur wird gleichzeitig blockiert.
Das gilt natürlich auch fürs Geld...
5) Investitionen in Erdgas sind wirtschaftlich hoch riskant

Durch die Entscheidung des EU-Parlaments wird mehr Geld in Erdgas-Technologie investiert. Das Problem: Um die Klimaziele irgendwie einzuhalten, kann die Technlogie gar nicht bis an ihr Lebensende genutzt werden.
Das heißt: "Massive finanzielle Verluste".

2030 könnten rund 90 Milliarden US-$, die in Kohle und Gas-Kraftwerke investiert wurden zu wertlosen Investitionen ("stranded assets") verkommen.
Hinzu kommt: Dieses Geld fehlt jetzt wiederum beim Ausbau von Wind- uns Solarenergie.
Das Fazit der Die Forschenden lautet – "Das Erreichen des Pariser Abkommens und der längerfristigen Klimaschutzziele setzt zwangsläufig einen Ausstieg aus der Nutzung von fossilem Erdgas voraus."
Mit anderen Worten: Gas ist keine Brückentechnologie!

Die Entscheidung des EU-Parlaments, Gas als nachhaltig zu deklarieren, ist somit aus wissenschaftlicher Sicht nicht tragbar und für den Klimaschutz ein Riesenschritt zurück. 🧵18/18
Hier der Link zur Studie "The expansion of natural gas infrastructure puts energy transitions at risk" von Kemfert et al.

nature.com/articles/s4156…
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