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Aug 2 23 tweets 7 min read
Mein Tweet über Nudelpreise hat erstaunlich große Aufschreie hier auf Twitter hervorgerufen, bis hin zu der These, es gäbe prinzipiell keine #Gewinninflation und außerdem sei es "absurd", dass ein Kostenschock zu höheren Gewinnen führen könne. 1/
Zunächst einmal: #Gewinninflation ist kein Konzept, dass ich mir ausgedacht hätte. Es geht auf eine lange Diskussion mit akademischen Beiträgen unter anderem von Michal Kalecki zurück und wird in den USA auch heute noch aktiv diskutiert. 2/
Was ist nun #Gewinninflation? #Gewinninflation ist, wenn durch Ausweitung der Gewinnmargen die #Inflation steigt bzw. über den Zielwert der Zentralbank hinausschießen. 3/
Das ist dann der Fall, wenn die Gewinne über mehrere Quartale stärker steigen als das Inflationsziel der Zentralbank und die Lohnstückkosten. In diesem Fall steigt das gesamtwirtschaftliche Preisniveau dadurch, dass die Gewinne überproportional zulegen. 4/
Wenn in einem solchen Fall die Beschäftigten nicht bereit sind, den durch die Gewinnausweitung der Unternehmen verursachten Verlust an Reallöhnen hinzunehmen, steigen auch die Lohnforderungen und die Inflation beschleunigt sich weiter. 5/
(Spiegelbildlich kann es natürlich auch eine lohninduzierte Inflation geben, wenn die Lohnstückkosten über längere Zeit schneller zulegen als es das Inflationsziel der @ecb erlaubt.) 6/
Nun hat @phuenermund die These geäußert, dass es nicht sein könne, dass ein Kostenschock zu höheren Margen führe.
Das stimmt in komparativ-statischen Lehrbuch-Modellen, nicht aber notwendigerweise in einer dynamischen, inflationären Umgebung. 7/
Anders als im komparativ-statischen Lehrbuch-Mikromodell kennen die Unternehmen in der realen Welt die Nachfragefunktion in ihren Märkten nicht genau. Sie machen Schätzungen und entscheiden dann, wie sie Preise setzen. 8/
NB: Die Preissetzung in makroökonomischen Modellen hat bekanntermaßen mit der empirischen Realität wenig zu tun. Die meisten Modelle benutzen ein so genanntes „Calvo“-Pricing Modell, bei dem die Unternehmen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ihre Preise ändern dürfen. 9/
Empirisch steht diese Art der Preissetzung im Widerspruch zur Empirie. Diese Annahme über Preissetzung wird aber eingesetzt, weil sie zur leichteren Lösbarkeit der Modelle beiträgt und für viele Situationen ist das wahrscheinlich eher unproblematisch. 10/
bde.es/f/webbde/SES/S…
In einer statischen Umgebung würden die Unternehmen, die zu hohe Preise verlangen, durch einen Rückgang der Nachfrage und Gewinnrückgang bestraft.
In einer inflationären Situation kann die Inflation gerade dadurch angeheizt werden, dass viele Unternehmen 11/
gleichzeitig versuchen, ihre Margen über Preiserhöhungen zu erhöhen, weil dieser Inflationsschub dann zu höheren nominalen Lohnabschlüssen führt und am Ende jene Unternehmen die Dummen wären, die nicht die Preise zur Margenstärkung erhöht haben. 12/
Ein Umfeld mit Energiepreisschocks wie derzeit bietet den Unternehmen eine gute Gelegenheit, Preise zu erhöhen, weil sie hoffen können, dass die Kunden nicht richtig unterscheiden zwischen angemessener und übertriebener Preisweitergabe. 13/
Das Thema wird übrigens unter führenden BWLern sehr klar so diskutiert, siehe etwa hier @HermannSimon . 14/
faz.net/aktuell/wirtsc…
In den USA kann gezeigt werden, dass es dabei vor allem Unternehmen mit Marktmacht sind, die in diesem Umfeld (erfolgreich) ihre Gewinnmargen erhöht haben. 15/
rooseveltinstitute.org/wp-content/upl…
Es braucht also keine Veränderung der Marktmacht für Gewinninflation, sondern die Interaktion aus Marktmacht und Schocks verursacht die Gewinninflation. 16/
Gesamtwirtschaftlich stellt sich die Frage, wie relevant empirisch steigende Margen für die #inflation sind. Hier stellt sich das Problem, dass wg. #Covid19 die Daten der vergangenen Jahre sehr schwankungsanfällig sind und es Probleme mit der Saisonbereinigung gibt. 17/
Tatsächlich waren aber die gesamtwirtschaftlichen Margen in Deutschland im Jahresendquartal 2021 spürbar höher als im Jahresendquartal 2019 (unmittelbar vor #Covid19). 18/
Wenn man nun die entsprechenden Zeitreihen etwas glättet, so erkennt man, dass in Deutschland ab Anfang 2001 die Gewinne sich nicht nur vom #Covid19 Einbruch erhöht haben, sondern seitdem stärker steigen, als es mit dem Inflationsziel der EZB vereinbar wäre. 19/
(Wohlgemerkt: Das sind Margenerhöhungen bei einem Kostenschock!) 20/
Ob der Trend anhält, ist freilich noch nicht klar. Dazu müssen wir die Daten der nächsten Quartale abwarten. (Details zum 2. Quartal 2022 gibt es noch nicht, das 1. Quartal 2022 war von irregulären Steuerzahlungen verzerrt.) 21/
P.S.: In den USA ist das Bild übrigens noch einmal deutlicher: Hier sind gegenüber Ende 2019 vor allem die Gewinne schneller gestiegen als es das Inflationsziel der Fed eigentlich zulassen würde, zuletzt auch die Lohnstückkosten. /END
Ab Anfang 2021, nicht Anfang 2001 natürlich. Sorry!

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Jun 22
Wir haben heute unser neues @imkflash Prognose-Update vorgelegt. Für 2022 haben wir das Wachstum in Deutschland leicht auf 1,9 % (von 2,1 %) herunter revidiert, für kommendes Jahr auf 2,6 % (von 3,2 %). 1/
imk-boeckler.de/de/faust-detai…
Die Inflation wird mit 6,9 % dieses Jahr höher ausfallen als schon im März von uns prognostiziert (als wir unsere Inflationsprognose bereits stärker als viele andere Institute auf 6,2 % erhöht hatten). Kommendes Jahr fällt sie auf 2,6 %. 2/
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Mar 23
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Mar 15
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zeit.de/news/2022-03/0…
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spiegel.de/wirtschaft/soz…
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Jan 20
In the past days, I have received a number of questions on whether the @ecb should not also increase interest rates if the @federalreserve does.
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