#Servicetweet
Was sind die „Vulnerablen“ und warum reicht es nicht, Krankenhäuser und Pflegeheime zu schützen?
Ein Thread.
Mit den Beratungen über den Umgang mit der Pandemie im Herbst und Winter 2022/23 kommt unmittelbar das Thema der „Vulnerablen“ wieder auf. Viele
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Äußerungen wiederholen das alte Narrativ, Vulnerable seien in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu schützen.
Solche Äußerungen teilen die Gesellschaft in einen (kleineren) in Gesundheitseinrichtungen untergebrachten zu schützenden und einen (größeren) außerhalb lebenden
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nicht zu schützenden Teil.
Diese Sichtweise bildet nicht im Ansatz die gesellschaftliche Realität ab und ebenso wenig bilden die aus dieser unrealistisch vereinfachten Sicht abgeleiteten Vorschläge & Maßnahmen die notwendige Realität eines Pandemiemanagements im dritten Jahr
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ab.
Die Bevölkerung ist weitaus komplexer zusammengesetzt, einen großen Teil bilden die sog. #Schattenfamilien, um die es hier gehen soll. Ich setze hier als #Schattenfamilien diejenigen Familien voraus, in denen mindestens ein vorerkranktes Kind lebt, also #Risikohaushalte,
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in denen die Kinder selbst Risikopatienten sind; zu den Risikohaushalten gehören darüber hinaus Familien, in denen ein erwachsener Angehöriger vorerkrankt ist.
Diese Menschen leben mitten in der Gesellschaft, die Kinder gehen zur Schule und in den Sportverein, die Eltern
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gehen arbeiten und einkaufen, die Familien besuchen Kino und Museum.
Diese Menschen leben NICHT in Krankenhäusern oder hinter Pflegeheimmauern.
Exkurs: das Bild der „geschützten“ Pflegeeinrichtungen, in denen Alte und Kranke abgeschottet (weil außerhalb kein adäquater
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Infektionsschutz mehr gewährleistet wird) auf den Tod warten und fern jeglicher gesellschaftlichen Teilhabe stehen, erschreckt mich grundsätzlich. Selbst wenn Menschen in Pflegeeinrichtungen leben, so haben sie ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe – und zwar nicht nur beim
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Konzert im Speisesaal der Einrichtung, sondern überall da, wo alle anderen (Jüngeren, Gesünderen) ebenfalls teilhaben. Das ist ein grundsätzliches Thema, zu dem unsere Gesellschaft deutlichen Lern- und Veränderungsbedarf hat, aber die Pandemie hat – Brennglaseffekt – diese
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„Teilung“ in innen und außen verschärft.
Schauen wir auf die Verschwiegenen, die Ignorierten, die immer noch und immer wieder im Schatten Stehenden: diejenigen, die NICHT genannt (und nicht gemeint) sind, wenn es um den „Schutz von Vulnerablen“ geht.
Aber sind das denn nicht
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nur ein paar Wenige? Kinder sind doch jung und gesund, Mamas und Papas stehen mitten im Leben… auf ein paar Schwererkrankte oder Behinderte kann doch nicht eine ganze Gesellschaft…
Abgesehen davon, dass Solidarität auch bedeutet, dass Viele auf Wenige Rücksicht nehmen,
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schauen wir mal GENAU hin. Die Zahlen stammen aus 2021, es ist NICHT zu erwarten, dass sie gesunken sind.
Einige Zahlen (und ihre Quellen). 1. In Deutschland leben gut 452.000 Kinder und Jugendliche von 12-17 Jahren, etwa 11% der Altersgruppe, die selbst eine covid-19-
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relevante Vorerkrankung nach STIKO-Klassifizierung (s.u.) aufweisen. Diese Zahlen wurden veröffentlicht, als die Impfung für die 12-17-Jährig. zugelassen und von der #STIKO zunächst nur für vorerkrankte Kinder (oder Kinder mit Risikopatienten in der Familie) empfohlen wurde –
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am 11. Juni 2021, bspw. hier in der @tagesschautagesschau.de/inland/gesells…. Die Quelle ist das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland @Zi_Berlin, das Herausgeber des Versorgungsatlas ist, der diese Zahlen anlassbezogen erhoben
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2. In Deutschland leben ca. 200.000 Kinder unter 12 Jahren, die eine entsprechende Vorerkrankung aufweisen. Diese Zahlen wurden in einem Artikel der @welt genannt: welt.de/politik/deutsc… Diese Angaben stammen laut der Verfasserin des Artikels
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vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (@BVKJ).
3. In Deutschland leben etwa 5,7 Millionen vorerkrankte Menschen ü18 in Familien mit Kindern. Das ergab eine Studie des RKI @rki_de vom Februar 2021 rki.de/DE/Content/Ges…
hier in einem Artikel im @derspiegel
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Wir haben es also nach diesen Daten insgesamt mit über 6,5 Millionen Menschen zu tun, die im Kontext eines Familienlebens mit Kindern zu den schützenswerten #Risikogruppen, den „Vulnerablen“ gehören.
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Weitere relevante Daten:
Im Informationsdienst Wissenschaft idw-online.de/de/news762858 erschien Febr. 2021 ein Beitrag, der einen auf #KiGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen des @rki_de - Erhebung von 2017) basierenden Anteil vorerkrankter Kinder höher
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beziffert. Dort werden 11% der Mädchen und 16% der Jungen als vorerkrankt im Sinne der Pandemie benannt. Bei einer Bevölkerungszahl unter 18 von rund 13,75 Millionen und einem Anteil von Mädchen mit 49% und Jungen mit 51% errechnet man etwa 740.000 vorerkrankte Mädchen und
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über 1,1 Millionen vorerkrankte Jungen. Das sind also noch viel mehr Betroffene als in der errechneten Zusammenstellung oben.
Der @BVKJ nennt ebenfalls diese höheren Zahlen für die Gesamtheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland: bvkj.de/politik-und-pr…
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Betroffene Kinder in D leiden laut #STIKOrki.de/DE/Content/Inf… an folgenden covid-19-relevanten Vorerkrankungen:
- Adipositas,
- angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression,
- angeborene zyanotische Herzfehler,
- schwere Herzinsuffizienz,
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- schwere pulmonale Hypertonie,
- chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion,
- chronische Niereninsuffizienz,
- chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen,
- maligne Tumorerkrankungen,
- Trisomie 21,
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- syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung sowie
- Diabetes mellitus
Drei Beispiele in Zahlen: 1) In D gibt es aktuell etwa 112.000 Kinder mit relevanten Herzerkrankungen. 2) Wir sehen jährlich etwa 2000 neue Krebsdiagnosen bei Kindern. idw-online.de/de/news762858
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Persönliche Bemerkungen: Ich empfinde es als kaum erträglich, dass nach 2,5 Jahren Pandemie (davon 1,5 Jahre OHNE Impfmöglichkeit) immer noch und immer wieder diese
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Millionen Menschen schlicht vergessen werden. In so gut wie KEINER Äußerung von Ministern, Politikern, Berufsverbandsfunktionären, in kaum einem Medium, TV, Internet, Zeitung wird über diese Menschen auch nur nachgedacht. Der Begriff „Vulnerable“ grassiert in allen Statements
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zu den zukünftigen Maßnahmen, aber sie werden ausschließlich in Krankenhäusern und Pflegeheimen verortet, tw. werden ausdrücklich nur diese Orte genannt. Dabei leben selbst von den über 70-Jährigen (die allein qua Alter zu den „Vulnerablen“ gehören) nur ein geringer Teil IN
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Pflegeeinrichtungen. Über 75% leben NICHT in Pflegeeinrichtungen oder liegen im Krankenhaus. Auch sie leben mitten unter uns, gehen im Supermarkt einkaufen, den auch wir aufsuchen, sitzen im Restaurant, das auch wir besuchen, schlendern durchs Museum, gehen in ein Konzert,
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zum Schulfest des Enkelkindes…
Warum verschweigt man diese Menschen, wenn man die neuen Maßnahmen vorstellt? Warum hören wir in keiner Pressekonferenz, „besonderer Schutz der Vulnerablen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen durch… sowie Schutz vulnerabler Menschen in
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in der Schule durch… beim Einkaufen durch… für gesellschaftliche Teilhabe durch… etc.“
Vereine und Patientenorganisationen aller möglichen Erkrankungen, seriöse Mediziner:innen, Wissenschaftler:innen und Fachverbände weisen seit Beginn der Pandemie auf diese Thematik
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hin. Viele Initiativen, Elternverbände und Einzelpersonen machen auf die Millionen Vulnerablen mitten unter uns aufmerksam. Das Netz ist voll von Beiträgen – in den Äußerungen der Politiker findet das so gut wie keinen Widerhall. Die Mittel der Betroffenen sind natürlich
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anders gewählt als bei sorglosen aufmerksamkeitsheischenden telegenen Massenspaziergängen, aber sie sind nicht minder gut gewählt: Mahnwachen, Demonstrationen, Webinare, (Offene) Briefe, Petitionen, Presseerklärungen… nur will sie wieder niemand wahrhaben. Zu klein, zu
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unspektakulär, zu brav, zu leise, zu sehr Minderheit, zu unangenehm das Thema…
Sämtliche Bundestagsabgeordneten des alten wie des neuen Bundestages, verschiedenste Landtage und ihre Abgeordneten wurden mehr als einmal schriftlich auf diese Thematik hingewiesen, Ministerien
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wurden angeschrieben, Zeitungen, Fernsehsender, Nachrichtensendungen, Talkshows, einzelne Journalisten… die Liste ließe sich fast beliebig verlängern. Der ein oder andere wird sich beim Lesen dieses Threads erinnern. Einige wenige haben reagiert, einen Artikel geschrieben,
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ein Gespräch ermöglicht, ein Statement abgegeben. Es darf sich jede/r (v.a. jede/r der Angesprochenen) überlegen, warum es zu keiner Wahrnehmung kam, warum er/sie persönlich das Thema nicht wahrnimmt. Die Gründe kann man diskutieren, aber das gehört in einen anderen Thread.
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Es gibt einen Aspekt, für den die #Schattenfamilien & andere Vulnerable plötzlich eine Rolle spielen: bei der Empfehlung der #Impfung. Da werden sie erneut zu einer mathematischen „Größe“, wann, wo und wie sie zum zweiten Mal geboostert werden können. Die Kriterien für einen
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schweren Verlauf werden zu Kriterien der Impfpriorisierung. Zu Kriterien von Schutzmaßnahmen werden sie zu keinem Zeitpunkt der Pandemie. So bleiben die #Schattenfamilien erneut vergessen im Strudel einer überforderten Pandemiepolitik, die in der Ampelkoalition schwieriger
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denn je mit sich selbst und ihren Parteidifferenzen beschäftigt ist, aber keinen Kompromiss zustande bringt, in dem diese Menschen, diese Kinder und ihre Familien mitgedacht (und mitgenannt!) sind.
Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass gefährdete erwachsene
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Risikopatienten hinter den Mauer von Pflegeheimen leben und jüngere Vorerkrankte höchstens in Förderschulen sitzen. Das ist unangenehm, das ist schmerzhaft, weil es uns an unsere eigene Verletzlichkeit und Vergänglickeit mahnt. Und so laufen erneut die Schutzmaßnahmen, die
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sich auf narrative Vorstellungen „vulnerabler“ Gruppen beziehen, ins Leere. Sie erreichen diejenigen nicht, die es zu schützen gilt. Millionen Menschen mitten in der Gesellschaft, im Klassenraum der Grundschule um die Ecke, im Fechtverein, in der Musikschule, beim
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Kindergeburtstag, im Schwimmbad, im Restaurant am Nebentisch, in der Schlange an der Kasse vor uns… Wir brauchen Statements und planvolles Handeln von @Karl_Lauterbach , @MarcoBuschmann , @Bundeskanzler , @starkwatzinger . Wir brauchen einen Perspektivwechsel und eine
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Anerkenntnis dieser Gruppe. Wir brauchen einfache, effektive Schutzmaßnahmen, die dort greifen, wo diese Kinder und ihre Familien, wo diese Menschen leben. Mitten unter uns.
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Gerne geteilt. Treffende Analyse. Zwei Tweets habe ich nicht geliket, weil ich bestimmte # NICHT like.
Zwei pers. Ergänzungen:
dass Streeck HIV-Forscher ist, mag ihn weniger kompetent zu SARS-CoV2 machen, aber er ist immerhin Virologe (nicht ganz fachfremd). Man müsste in 1/
der medialen Präsentation natürlich eine Differenzierung vornehmen (SARS-Spezialisten und andere Virologen) und entsprechend gewichten. (Da gibt es noch einige mehr, bei denen das nötig wäre.) Aber grundsätzlich "Fachfremden" die Mitsprache abzusprechen, sehe ich kritisch.
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Dass Stöhr Tierarzt ist, ist ähnlich wie bei Streeck zu gewichten.
Auch Wieler ist "Tierarzt" und niemand würde ihm die Kompetenz in der Pandemie absprechen. Dass Stöhr da anders abgebogen ist, hat andere Gründe.
Jeder kann sich wiss. (mit entsprechenden Grundkompetenzen)
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Ich sitze seit einigen Stunden auf einer Station in einer Kinderklinik.
Ich tauche ein in eine kleine Welt inmitten der großen Welt da draußen. Zeit. Viele Gespräche. Mit Schwestern, mit Ärzten, mit
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anderen Eltern, der Seelsorge, den Klinikpädagogen, mit anderen kleinen und halbgroßen Patienten: von medizinischen Kleinigkeiten bis zu Kindern, die schon zig Operationen in ihrem Leben hinter sich gebracht haben.
Ein Jugendlicher hätte heute seinen Schulabschluss
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und die ersehnte Schulabschlussfeier. Stattdessen wird er operiert, zum xten Mal. Die Klassenkameraden schalten ihn später per Video zu und hier wird kräftig gefeiert.
Die Gespräche drehen sich um das Leben, um Schule und Kita, Hobbies und Familie, was man gerne mag und dass
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@welt Auch wenn der Beitrag von Herrn #Klaue zu Recht kaum Reichweite erfährt, ganz unkommentiert sollte er nicht stehen bleiben.
Die Historie der Schulpflicht und v.a. ihre aktuelle internationale Situation ist verkürzt – und auch falsch – dargestellt. Das erweckt den Anschein,
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@welt dass Familien mit vorerkrankten Kindern oder Angehörigen, die sich durch die schon beendete (?) Pandemie und das Virus bedroht „fühlen“ (nicht real sind?) und eine Distanzlernsituation nicht stemmen konnten/können (oder mit Blick auf das Kind nicht wollen oder dürfen bei
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@welt Ablehnung der Atteste) feudaler Historie entnommene Ansprüche an den Staat stellen, um ihre Kinder besonders gebildet zu bekommen und allgemein politisch-autoritäre Ambitionen umtreiben.
Nun, schauen wir uns diese Schulpflicht an – und zwar GANZ und nicht erst seit den 60ern
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Ein tiefgründiger Space mit interessanten Gästen, in dem man mehr hören konnte, als zu hören war.
Ein persönlicher Kommentar zu ausgewählten Punkten (da es keine Zuhörerbeiträge gab): 1/
1. Im Space sollte es um die Frage gehen, wie wir Kinder und Jugendliche vor Corona schützen können. Das neue vorgeschlagene IfSG leistet das nicht. Die Teilnehmer:innen des Spaces waren sich darin m.E. (unausgesprochen) einig - und damit ein Stück weit ratlos und hilflos.
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@KatharinaSwinka berichtete aus Sicht der SuS - und dass sie mit einer Abschaffung der Maske in den Schulen wenig einverstanden sind. Viele wollen und werden sie weiter tragen. Neben meiner wiederholten Wertschätzung dieser verantwortungsbewussten Sichtweise (und der
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Nächtliches Date mit @DJanecek und was dazu zu sagen ist.
Gestern Abend bot unser lieber @Berater_1 einen spontanen Space zum Entwurf des neuen IfSG an, eine erkleckliche Anzahl einiger Hundert Nachtschwärmer fand sich ein, darunter @_MartinHagen (FDP) und @DJanecek (Grüne).
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Dazu Familien mit und ohne vorerkrankte(n) Kindern, LuL, Berufsschüler:innen und eine Reihe interdisziplinärer Fachleute aus Sozialarbeit, Psychologie, Pädagogik und Medizin. Den Space kann man hier ⬇️ nachhören. Es lohnt sich, weil... 2/
... sich @janecek der mehrstündigen, tief in die Nacht dauernden Diskussion stellte.
Das verdient an dieser Stelle meine Wertschätzung. Danke! @Berater_1 und @mfresow moderierte den tw. "turbulenten" Space so, dass eine Diskussion auf Augenhöhe (Zitat Dieter) gelang. Danke!
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Wie können wir mit Kindern und Jugendlichen über den Krieg sprechen?
Eine Handreichung auf @Publikum_net und ein Thread.
Am 24. Februar 2022 brach in Europa ein Krieg aus. Wir alle, Eltern wie Kinder sind an diesem Morgen in einer anderen Welt aufgewacht. Es stellte sich sehr
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schnell die Frage, wie wir mit unseren Kindern und
Jugendlichen darüber sprechen können, ohne uns zwischen Verdrängen, Angst und fehlenden Informationen zu verlieren. Kinder und Jugendliche
haben auch Angst. Als hätten Klimaschutz und Pandemie nicht schon genug für die Kinder
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aufgebürdet, türmt sich nun noch Kriegsangst oben auf.
Aber wir können unseren Kindern helfen, wenn wir in Gesprächen einige Punkte beachten: 1. Wie geht es dir? Machst du dir Sorgen? Worüber genau? Was hast du gesehen, gehört?
Nehmen Sie die Gefühle ernst und hören Sie gut
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