"Black", so lautete ihr Tarnname.

Kurfürstendamm 177 in Charlottenburg. Ich will euch von Else #Blochwitz (* 1899, † 1992) berichten, die hier unter dem Naziterror sehr vielen Jüdinnen und Juden sowie weiteren Verfolgten half - und die heute weithin unbekannt ist.

#Berlin
Else #Blochwitz, geboren und aufgewachsen in Dresden, zieht in den 20er Jahren nach Berlin und ist schon als junge Frau eine strikte Gegnerin des immer weiter erstarkenden Nationalsozialismus. Sie besucht viele Veranstaltungen der NSDAP, auf denen sie sich immer zu Wort meldet.
Sie spricht sich dabei in aller Ruhe (und wieder und wieder) gegen das nationalsozialistische Weltbild aus und argumentiert vor dem versammelten Publikum der Partei gegen die dort propagierte Hetze an. Die Nazis reagieren mit blankem Hass - und sind zugleich tief beeindruckt.
Das nationalsozialistische "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" (RMVP) unter Dr. Joseph #Goebbels fordert sie im Jahr 1934 wegen ihrer zuvor bewiesenen Redebegabung zur Mitarbeit auf. Else #Blochwitz weigert sich und steht fortan unter besonderer Beobachtung.
Sie widersetzt sich dem Naziterror nun schon seit langer Zeit und bleibt unbeugsam. Sie beschließt nach den so genannten "Nürnberger Gesetzen" der NSDAP von 1935, rassistisch und politisch Verfolgte der Nazis zu unterstützen - vor allem bei der Flucht aus dem Deutschen Reich.
Die Helferin in der Not verdient ihren Lebensunterhalt als "Repassiererin", indem sie Seidenstrümpfe ausbessert - zu Hause. Sie teilt ihre Wohnung am Kurfürstendamm 177 ab dem Jahr 1937 mit Margarete #Dietrich, einer guten Freundin. Die Frauen leisten dann gemeinsam Widerstand.
Frau #Blochwitz und Frau #Dietrich verstecken in den folgenden Jahren immer wieder verfolgte Mitmenschen bei sich, vor allem Jüdinnen und Juden - teils für eine Nacht, mehrfach aber auch für Tage, Wochen, Monate. Sie organisieren "unter der Hand" zudem Kleidung und Lebensmittel.
Else #Blochwitz, an deren Tür sehr, sehr oft geklopft und der dafür ersonnene Codename "Black" genannt wird, ist der Kopf eines lose verbundenen Netzwerks mehrerer hilfreicher Mitmenschen - und die von ihr koordinierte Hilfe kommt mehr als 70 Verfolgten des NS-Regimes zugute.
Die Gestapo ist ihr immer auf der Spur und nimmt sie mehrfach fest, doch die ledige Frau zeigt keine Angst und beugt sich nicht. "Ich habe keine Kinder, ich habe fast nichts zu verlieren. Ich habe nur meine Mutter", sagt sie in einem Verhör durch die Geheime Staatspolizei.
Hilfe erhält sie auch auf unvermutete Weise: Frau #Blochwitz wird aus dem nahegelegenen Polizeirevier wiederholt vor unmittelbar bevorstehenden Hausdurchsuchungen durch die Gestapo gewarnt - telefonisch und anonym, aber wer ihr Informant ist, wird sie auch nach 1945 nie erfahren.
Sie wird immer findiger: Sie nutzt ihre Ausbildung zur "Luftschutzwartin", um von ihr versteckte Jüdinnen und Juden bei alliierten Luftangriffen mit in die Keller am Kurfürstendamm 177 zu nehmen, und findet durch ihren Posten zudem weitere Kellerverstecke in benachbarten Häusern.
Oktober 1944: Rita #Grabowski, die unter dem Naziterror als so genannte "Halbjüdin" gilt, klopft bei "Black" - und diese lässt sie fortan bei sich wohnen, auch nach dem Ende des NS-Regimes.

Die Retterin in der Not wird im Jahr 1965 als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet.
Else #Blochwitz stirbt im Jahr 1992 - und am Kurfürstendamm 177 erinnert auch 30 Jahre danach keine Gedenktafel an die Frau, die sich "Black" nannte und die hier, direkt im Stadtzentrum, gegenüber dem NS-Regime standhaft blieb, bis zuletzt und Auge in Auge mit der Gestapo.
Literatur u. a.: 1.) Kosmala, Beate / Ludewig-Kedmi, Revital: Verbotene Hilfe - Deutsche Retterinnen und Retter während des Holocaust (Zürich 2003); 2.) Fraenkel, Daniel / Borut, Jakob (Hgg.): Lexikon der Gerechten unter den Völkern - Deutsche und Österreicher (Göttingen 2005).

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Sep 23
Hünensteig 6, Steglitz. Erinnerung an Ruth Andreas-Friedrich (* 1901 (#otd), † 1977) und Leo Borchard (* 1899, † 1945), Journalistin und Dirigent, in den 30er Jahren miteinander liiert, unter dem NS-Regime mit der von ihnen gegründeten Gruppe "Onkel Emil" im Widerstand. #Berlin
Ruth Andreas-Friedrich, von 1924 bis 1930 in erster Ehe verheiratet, ist als Redakteurin einer Frauenzeitschrift des @Ullstein-Verlages beruflich erfolgreich. Sie geht wegen der zunehmenden Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in den Widerstand gegen den Naziterror.
Die Gruppe bildet sich nach den radikalen, antisemitischen Pogromen im November 1938 und leistet dann Widerstand auf vielfache Weise, etwa durch Fluchthilfe für untergetauchte Jüdinnen und Juden oder indem sie Verstecke, Lebensmittel und gefälschte Personaldokumente organisiert.
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Sep 22
Platz der Luftbrücke. Blick auf eines der bekanntesten Fotos (oben links) von Henry #Ries (geb. 1917 (#otd), gest. 2004): Landeanflug eines so genannten "Rosinenbombers" auf den Flughafen Tempelhof während der Luftbrücke gegen die sowjetische Berlin-Blockade (1948 / 49).

#Berlin Image
Das Bild aus dem Jahr 1948 hatte für West-Berlin nahezu ikonische Kraft.

Die Schautafel, auf der es zu sehen ist, befindet sich in Sichtweite des Denkmals zu Ehren der Soldaten der U. S. Air Force 🇺🇸 und der Royal Air Force 🇬🇧, die im Einsatz für die Luftbrücke ihr Leben ließen. ImageImageImage
Das Leben von Henry #Ries, war mehr als bewegt: Flucht in die USA als Jude in jungen Jahren vor dem Naziterror, Luftwaffensoldat, Fotograf der @nytimes...

Blick auf die Gedenktafel an seinem einstigen Wohnhaus in Berlin: Meinekestraße 12, Stadtteil Charlottenburg. Image
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Jun 9
"Der Mann ist in Not, dem helfe ich." Marie #Burde (* 1892 (#otd), † 1963) lebt im Wedding in bitterer Armut, verkauft gelegentlich Zeitungen und sammelt Lumpen von der Straße - und sie rettet unter dem Naziterror drei jungen Juden das Leben, die sie ab 1943 versteckt.

#Berlin
Rolf und Alfred #Joseph tauchen nach der Deportation ihrer Eltern im Sommer 1942 gemeinsam in Berlin unter. Sie schlagen sich ohne Geld und Lebensmittelkarten durch und schlafen auf der innerstädtischen Flucht für mehrere Monate in Bahnhofshallen, auf Friedhöfen und in Wäldern.
Der Zufall hilft ihnen, als eine alte Bekannte das Bruderpaar im Wedding auf eine kaum beachtete Lumpensammlerin hinweist: Marie #Burde hat keine Kinder und lebt allein in der Tegeler Straße 13 in einer heruntergekommenen Kellerwohnung - und sie wird zur Retterin in der Gefahr.
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Jun 7
Lietzenburger Straße 72. Erinnerung an Maria #Terwiel (* 1910 (#otd), † 1943) und Dr. Helmut #Himpel (* 1907, † 1943), miteinander verlobt, unter dem Naziterror für die "Rote Kapelle" im Widerstand und schließlich im Strafgefängnis Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet.

#Berlin ImageImageImage
Maria #Terwiel, römisch-katholische Christin, steht im Jahr 1934 in München kurz vor Abschluss ihres Jurastudiums, als ihr durch die rassistischen Gesetze der Nazis wegen ihrer jüdischen Wurzeln die Zulassung zum Examen verweigert wird. Sie geht dann zu ihrer Familie nach Berlin.
Arbeit findet sie als Sekretärin in einem französisch-schweizerischen Textilunternehmen. Helmut #Himpel, seit studentischer Zeit mit ihr bekannt, wird Zahnarzt - und auf die Verlobung beider kann keine Eheschließung erfolgen, da Maria #Terwiel als so genannte "Halbjüdin" gilt.
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May 24
Zimmerstraße in Mitte. Ich will euch von Charlotte #Erxleben (* 1906, † 1981) berichten, die unter dem Naziterror als Bordellbetreiberin bzw. als Prostituierte mehrere jüdische Mitmenschen rettete. Ich kann - leider - keine Gedenktafel posten, denn die gibt es nicht.

#Berlin
Charlotte #Erxleben lebt ab dem Jahr 1939 in Berlin und erwirbt hier vom mütterlichen Erbe in der Zimmerstraße 62 eine Privatpension mit sechs Zimmern auf zwei Etagen. Sie gibt an, als "Zimmervermieterin" zu arbeiten, wobei sie ihren Wohnraum vor allem als Bordell nutzt.
Das Etablissement, in dem auch sie selbst als Prostituierte arbeitet, zählt in Berlin zu den "gehobenen" Salons. Die Betreiberin hilft über mehrere Jahre hinweg verschiedenen Jüdinnen und Juden, die sie in ihrem Bordell (teils wiederholt) versteckt und mit Lebensmitteln versorgt.
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