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Heute ist #Bürgerschaftswahl in #Bremen. Bremen ist eigentlich ein Stadtstaat, wo Landtag und Gemeinderat generell identisch sind. Aber mit Bremerhaven gibts auch noch eine Kolonie, die Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechte hat. [1/24]
Bremerhaven entsendet deshalb ein völlig separat gewähltes Kontingent von 15 Abgeordneten nur für den Landtag. Auch die Sperrklausel gilt separat. Weil die Stadt Bremen eine anteilige Sitzzahl bekommt und Bremerhaven stärker schrumpft, wächst die Bürgerschaft stetig. [2/24]
(Früher war sie aber mit fix 80+20 noch größer.)

Der Vertrag von Maastricht hat das System zerstört. Bremen wollte eigentlich, dass Unionsbürger per Ausnahme im Grundgesetz auch zum Landtag wahlberechtigt werden, aber die Bundesregierung hat das nicht zugelassen. [3/24]
Folge der Bemühungen war allerdings, dass das Wahlrecht der Unionsbürger zur Stadtbürgerschaft explizit in die diesbezügliche EU-Richtlinie gekommen ist (zuvor war unklar, ob sie bei dem Konstrukt anders als etwa in Hamburg oder Wien wahlberechtigt sein müssten). [4/24]
Deshalb wird jetzt an sich auch der Gemeinderat der Stadt Bremen unabhängig vom Landtag gewählt. Deutsche haben aber nur eine gekoppelte Stimme, die für beide Wahlen gilt, und Parteien müssen Wahlvorschläge aufstellen, die sich nur durch Nichtdeutsche unterscheiden. [5/24]
Da für beide die Pflicht zu demokratischer Aufstellung gilt, muss in 2 getrennten Versammlungen mit und ohne nichtdeutsche Unionsbürger das selbe Wahlergebnis rauskommen, was dann insgesamt natürlich nicht mehr so demokratisch sein kann. [6/24]
Da formal die Landtagsliste mit kommunalen Zusätzen eingereicht werden muss, hat insbesondere eine Wählergruppe ohne genügend Deutsche überhaupt kein Wahlvorschlagsrecht, und Nichtdeutsche haben auch kein Recht, Deutsche (nur) zur Stadtbürgerschaft aufzustellen. [7/24]
Seit die Listen offen sind und einzelne Personen gewählt werden können, kann man zum Landtag auch Leute wählen, die von vornherein (und auf dem Stimmzettel gekennzeichnet) nicht wählbar sind, was natürlich keine gleiche Wahl ist. Praktisch gibts da aber niemanden. [8/24]
Obwohl es passieren kann, dass eine Liste zum Landtag über 5 ⁠% ist, kommunal aber darunter, gelten für beides separate Sperrklauseln. Das steht zwar so in der Verfassung, ist aber eher nicht mit dem Grundgesetz kompatibel. Bremerhaven hat kommunal keine Sperrklausel. [9/24]
Die beiden getrennten Wahlbereiche sind in der Verfassung besonders geschützt. Kurz vor Maastricht ist zwar der obligatorische Volksentscheid bei nicht einstimmigen Verfassungsänderungen gestrichen worden (gegen einfachere Volksbegehren), aber hierfür ist er weiter nötig. [10/24]
Wie in Niedersachsen und Hamburg kann der Wähler entscheiden, ob er lieber eine offene oder geschlossene Liste hätte. Pro Liste treten erstmal beide gegeneinander an und teilen sich die nach Sainte-Laguë im Wahlbereich auf die Liste entfallenen Sitze entsprechend auf. [11/24]
Seit 2018 müssen die Personenwähler die ersten Sitze nehmen (also auch die bezahlen, die von beiden Gruppen gewählt wären); der Rest wird nach Listenreihenfolge aufgefüllt. Zuvor war es umgekehrt, also faktisch stärker personalisiert. [12/24]
Beide Varianten haben zur Folge, dass Personenstimmen im Grenzbereich, wo Listensitze unsicher werden, generell negativ wirken. Wer die betreffende Person wählt, verkürzt damit primär deren Chancen über die Liste. Stimmen für Personen weiter vorn … [13/24]
… (insbesondere Spitzenkandidaten) wählen effektiv Personen von weiter hinten nach Maßgabe durch die insofern stärkste Minderheit. Personenwahl ist generell relative Mehrheitswahl, wobei hier der im Allgemeinen stärkere Teil vorn effektiv disqualifiziert wird. [14/24]
(Zuteilung zuerst nach Personenwählern beseitigt letzteres Problem formal, aber soweit die stärksten Personen rechnerisch mehr als 1 Sitz kriegen, hat das die selbe Wirkung.)

Jeder Wähler hat 5 frei verteilbare Stimmen. [15/24]
Nicht alle 5 Stimmen im Block zu vergeben, ist aber generell unsinnig, weil sie sich dann mindestens teilweise gegenseitig eliminieren. Der einzelne Wähler kann daran höchstens im Sinn einer Risikostreuung Interesse haben, wenn er sonst überhaupt keinen Plan hat. [16/24]
Die Wähler insgesamt müssten dagegen schon an einer Kumulationsbeschränkung Interesse haben, weil bei größeren Sitzzahlen sonst kleine, konzentrierte und stark abgesetzte Minderheiten gegenüber einem zu breiten Mainstream übermächtig werden können. [17/24]
Auszählung hat in Bremen die Besonderheit, dass die Wahlvorstände nur die Stimmzettel zählen, nicht aber die Stimmen. Danach wird erstmal alles verpackt. 2 Leute müssen dableiben, bis die Sachen abgeholt und zur zentralen Auszählung gebracht werden. [18/24]
Schon deshalb ist nach den 18-Uhr-Prognosen so schnell nichts mehr zu erwarten. Die eigentliche Auszählung soll aber wohl noch heute beginnen und bei der Briefwahl womöglich schon um 18 Uhr. 2015 ist am Wahlabend nur mit einer Stichprobe angefangen worden, … [19/24]
… und 2019 war erstmal die Europawahl dran. Mit einem Ergebnis in Bremerhaven kann man noch in der Nacht rechnen, aber die Stadt Bremen verteilt das irgendwie auf mehrere Tage. Geplant ist wohl, am Mittwoch zu einem vorläufigen Wahlergebnis zu kommen. [20/24]
Ab Donnerstag werden dann die separaten Stimmzettel der Nichtdeutschen ausgezählt. (Die Wahlbekanntmachung ist zwar in leichter Sprache, aber so leicht zu finden ist sie nicht. Das Datum war original falsch und die Berichtigung dann nicht mehr leicht.) [21/24] Image
Die Hochrechnungen haben sich 2019 dadurch ausgezeichnet, dass sie schlechter als die 18-Uhr-Prognosen waren (FGW war ok). Die waren aber brauchbar, wobei 2019 auch die Umfragen außerordentlich gut waren. Die vom Landeswahlleiter waren vor Montag total daneben. [22/24]
Die Stimmabgaben auf den Stimmzetteln werden alle einzeln erfasst, aber veröffentlicht wird von den Wahlergebnissen so gut wie nichts (deshalb ist es auch ziemlich sinnlos, mit seiner Stimmabgabe was jenseits der Sitzverteilung zu bezwecken). [23/24]
Einen Teil der Informationen kriegt man immerhin gegen Abschluss eines NDA. Einige Informationen, die sich daraus ermitteln ließen, hat @jalorenz hier für die letzten Wahlen zusammengestellt: janlorenz.github.io/PolitischeLand… #hbwahl #hbwahl23 [24/24]
Wahlbeteiligung in Bremen bis 14 Uhr etwa 5 Prozentpunkte höher als 2019 (wo gleichzeitig Europawahl war). Zu den Wahlscheinen gibts offenbar keine offiziellen Informationen, aber Zuwachs soll knapp 5 bzw. 2 (Bremerhaven) % der Wahlberechtigten ausmachen. landeswahlleiter.bremen.de/startseite-1459
Wahlbeteiligung in Bremen Stadt zwischen 14 und 16 Uhr recht gering. Aber mit Briefwahl wohl noch oberhalb von 2019 und damit nicht so viel niedriger als bei der #btw21 bei wesentlich höherem Urnenanteil. landeswahlleiter.bremen.de/startseite-1459
Wobei die Zahlen des Landeswahlleiters nicht stimmen können. Briefwähler in Bremen Stadt 2019 waren 19.3% der Wahlberechtigten, also wären die Urnenwähler zwischen 16 und 18 Uhr negativ, wenn die Zahlen wirklich nur Urnenwähler wären. Möglicherweise bezogen auf Wahlscheinlose.
Falls sich die Prozente (von 2019 wie 2023) wirklich auf die Wahlberechtigten ohne Wahlschein (A1) beziehen sollten, käme für Bremen Stadt noch ein Plus von 2.5 Prozentpunkten raus (bei abnehmender Tendenz) und für Bremerhaven etwa +5. Das wären zusammen etwa 67% Wahlbeteiligung.
Die Wahlbeteiligung geben Infratest dimap und FGW jetzt übereinstimmend mit 57% an. Was der Landeswahlleiter an Zahlen veröffentlicht hat, könnte dann nicht im Erntferntesten was mit der Realität zu tun gehabt haben. Oder die Wahlscheinzahlen von RB sind falsch.
Ach, und laut ARD wird heute doch wieder nur eine Stichprobe von 67 Urnen- und 28 Briefwahlbezirken ausgezählt. Dann ist auch noch die Wahlbekanntmachung gelogen, nach der heute alle Auszählwahlvorstände zusammentreten (laut dieser insgesamt 354+151 plus Bremerhaven). #hbwahl23
Die Wählerwanderung bei den BIW glaub ich auch nicht. #hbwahl23 Image
Die FGW hat schon die erste Hochrechnung, dann gibts vielleicht auch bald echte Ergebnisse. CDU viel stärker als um 18 Uhr, aber wie gesagt waren die Prognosen 2019 reils besser. wahlen-bremen.de/Wahlen/2023_05… Image
Beim Landeswahlleiter sind auch/nur unvollständige Wahlbezirke in der Hochrechnung, und der Rest basiert wohl drauf, mit deutlichen Abweichungen. 2019 hat der Landeswahlleiter die Sonstigen inkl. BIW noch spät in der Nacht bei 12.5% gehabt, real dann 7.5%. landeswahlleiter.bremen.de/startseite-1459 Image
Und FGW schon wieder ganz anders. Infratest dimap traut sich noch nicht zu Hochrechnung für Bremen Stadt und Bremerhaven. Für die FDP wird Bremen Stadt knapp werden. Image
Oh, die FGW schreibt bloß noch beim Landeswahlleiter ab.
Das Einzige, was die normalen Wahlvorstände in Bremen nach 18 Uhr noch tun, ist, die Wahlbeteiligung zu ermitteln. Damit sollten sie eigentlich inzwischen fertig sein. Wenn das auch noch veröffentlicht würde, könnte man FDP in Bremen Stadt : Bremerhaven besser abschätzen.
Infratest dimap hat die FDP jetzt in Bremen Stadt (5.2%) und Bremerhaven (5.3%) ziemlich gleich. Aber sicher > 5% ist das in beiden Wahlbereichen noch nicht. tagesschau.de/wahl/archiv/20…
Personenstimmen gibts in den CSVs auch schon. Sind gegenüber 2019 ganz massiv von CDU zu SPD verschoben. Bovenschulte hat etwa 10 Sitze, Imhoff nur 3½. Schaefer < 1. wahlen-bremen.de/Wahlen/2023_05… #hbwahl23
Ah, im HTML sind die ja auch drin. Übliches Muster, wo die (jetzt nur noch knapp) 10 Sitze von Bovenschulte am Ende landen. Image
Sitze in Bremerhaven (wegen der geringen Zahl relativ sicher abschätzbar) wären jetzt SPD 5, BIW 3, CDU 3, Grüne 2, Linke 1, FDP 1. Falls FDP < 5%, ginge der an die BIW. Der 5. Sitz der SPD ist auch relativ knapp. Die CDU hat nur noch marginale Chancen auf einen 4. Sitz.
Bremen Stadt wär bei SPD 23, CDU 21, Linke 9, Grüne 9, BIW 6, FDP 4. Da ist vorallem der 21. Sitz der CDU knapp und könnte an die SPD gehn. Aber man muss damit rechnen, dass die Hochrechnung noch ziemlich falsch ist.

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May 24, 2022
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