Thread by @Fischblog

Guten Morgen. Ich bin vor einer Weile auf eine total spannende Hypothese gestoßen, die Seuchen, Immunsystem und Evolution zusammenbringt.

Und zwar, dass eine sehr tödliche #Pandemie die Menschwerdung auf den Weg gebracht hat.

Der Hintergrund sind Sialinsäuren. Das sind zuckerähnliche Moleküle, die an der Oberfläche vieler tierischer Zellen vorkommt. Viele Krankheitserreger wechselwirken mit Sialinsäuren, zum Beispiel über die Neuraminidase bei Influenza und vielen anderen, die Sialinsäuren spaltet.

Auch Bakterien wie der Choleraerreger nutzen Silalinsäure, und auch der Malariaerreger. Verschiedene Krankheitserreger sind an die Sialinsäuren verschiedener Arten angepasst. Deswegen haben Vogelgrippeviren auch Schwierigkeiten, auf Menschen überzugehen.
nature.com/articles/37006…

Der Witz ist, Menschen haben andere Sialinsäuren als alle anderen Menschenaffen - nämlich N-Acetylneuraminsäure (Neu5Ac) statt N-Glycolylneuraminsäure (Neu5Gc). Und wir haben auch andere Malariaerreger als andere Menschenaffen.

Der Malariaerreger der Menschenaffen (P. reichenowi) bindet an Neu5Gc und ist uralt und AFAIK in allen Linien verbreitet. Der Malariaerreger des Menschen (P. falciparum) bindet an Neu5Ac und ist evolutionär sehr jung.
pnas.org/content/102/36…

Der Austausch vom Neu5Gc der Menschenaffen gegen Neu5Ac beim Menschen ist aber älter als P. falciparum. Tatsächlich sehr ähnlich alt wie die menschliche Abstammungslinie selbst.

Es gibt da nur einen Haken: Neu5Gc erzeugt bei Neu5Ac-Menschen eine Immunantwort gegen fremdes Gewebe. Das heißt, vermutlich hatten die ersten Neu5Ac-Vormenschen Probleme, sich mit Neu5Gc-Vormenschen Fortzupflanzen. Diese Mutation hätte keine Chance haben dürfen.

Eine Möglichkeit ist jetzt, dass in der Menschlichen Abstammungslinie aus unbekannten Gründen die Sterblichkeit durch P. reichenowi so massiv gestiegen ist, dass die Neu5Ac-Mutanten plötzlich gute Chancen hatten. Die Situation ist ganz ähnlich wie beim Sichelzellanämie-Gen.

Das Ende vom Lied war: Irgendwann gab es so viele Neu5Ac-Vormenschen, dass die Neu5Gc-Vormenschen plötzlich nicht nur Malaria, sondern auch Fortpflanzungsprobleme hatten. Neu5Gc verschwand, und P. reichenowi mit ihm. Erst viel später kam P. faciparum zum Menschen.

Etwas vergleichbares ist bei den Menschenaffen nie passiert. Also muss bei unseren Vorfahren etwas ungewöhnliches aufgetreten sein. Und das war möglicherweise ein P. reichenowi, der so ein krasser Killer war, dass er unsere Evolution für immer verändert.

So weit also die Hypothese. Ob das so stimmt, ist natürlich unklar, es gibt zwei, drei mögliche Alternativen zum Szenario, zum Beispiel irgendwas mit dem Immunsystem, wo die Sialinsäuren auch mitspielen.

Aber mir gefällt die Geschichte der Seuche, die den Menschen erschuf. 😁