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So. Mir reicht es jetzt mit einem bestimmten Verhalten in der linken Szene. Einerseits finde ich den Begriff #Covidioten nicht gut. Er arbeitet mit einer Bilderproduktion, die nicht gut ist. Einerseits. Andererseits nervt mich genauso das Abfahren auf "verbotene Wörter".
Einerseits ist #Covidiot wirklich kein guter Begriff. Im Rahmen der Sozialeugenik und Rassenhygiene wurde der Begriff "Idiot" benutzt, um eine Menschengruppe als ^Untermenschen darzustellen, wegzuschließen, zu sterilisieren und schließlich zu töten.
Die Bilderproduktion, die mit #Covidioten einhergeht, kann sich mit der Bilderproduktion des rassenhygienischen "Idioten"-Narrativs verbinden. Damit wird diesem Narrativ zugearbeitet, statt dass es bekämpft wird. Und es wird ein schräges Bild der Coronaleugner gezeichnet.
Das rassenhygienische Narrativ des "Idioten" ist nicht nur ableistisch (behindertenfeindlich), sondern auch klassistisch. Wie schon bei Pegida oder bei der AfD oder überhaupt bei Faschist*innen gibt es klassistisch/ableistische Darstellungen, die die Bürgerlichkeit ignorieren.
Bei den Corona-Leugnern sind eben nicht nur Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen dabei, sondern auch jede Menge Menschen mit Doktorgrad oder bürgerlichem Habitus, der nicht angesprochen wird, wenn von #Covidioten gesprochen wird.
Corona-Leugner wie Markus Krall (Doktorgrad, Hauptgeschäftsführer eines großen Unternehmens) bspw. kommen nicht in den Blick, wenn von #Covidioten gesprochen wird. #Covidiot kontextualisiert hingegen eher "Idiot" mit "Krankheit" und produziert Bilder einer "degenerierten Masse".
Einerseits.
Andererseits halte ich aber auch nichts von einer verkürzten Wortkritik, die Wörter dekontexualisiert. Es geht nicht darum, wie Adorno im Jargon der Eigentlichkeit sagte, einen "Index verborum prohibitorum" anzulegen, also eine Liste verbotener Wörter.
Ich habe das Gefühl, dass es wie die Kleiderordnung oder das Führen cooler Begriffe zur linken Szene gehört, über ein Wissen verbotener Wörter zu verfügen. Wörter werden dann nicht argumentativ zur Problematisierung eingesetzt, sondern emblematisch, als Zeichen der Zugehörigkeit.
Und es werden nicht nur positiv Wörter als Beweis der Zugehörigkeit genutzt, sondern auch das Verweisen auf das Wissen um den Index der verbotenen Wörter und sei es auch nur ein Augenrollen, wenn jemand den falschen Begriff gesagt hat.
Dieses Verhalten kann auch klassistisch sein, da die ständig erneuerte Liste der coolen und der uncoolen Wörter oft in einem akademischen Kontext gebildet wird.
Wenn Adorno oder der jüngst verstorbene Siegfried Jäger nicht einzelne Wörter, sondern Kontexte, Diskurse oder Jargons in den Mittelpunkt stellen, dann geht es um Bewusstseinsarbeit. Es geht darum, uns unsere unbewusst verwendete Sprache bewusst zu machen.
Einzelne Wörter bringen ihren Kontext eindeutig mit. Das N*-Wort ist nicht übertragbar. Es ist immer an der Hautfarbe gebunden und der rassistische Kontext war immer gegeben. Beim Wort Idiot ist das nicht so. Es gab vielfach Bedeutungsverschiebungen.
Mit dem Wort "Idiot" können je nach Kontext unterschiedliche Bilder produziert werden. Es ist letztlich kein gutes Wort. Als ich letztens den Demokratiefeind Markus Krall als "klassistischen Idioten" bezeichnete, war dies fast kontradiktorisch, also sich selbst widersprechend.
Zumindest erlaubt es die Kennzeichnung von Markus Krall als "klassistischem Idioten" nicht, sich eine "degenerierte Masse" als rassenhygienisch zu "entsorgende" "Balastexsitenzen" vorzustellen. Im Gegenteil.
"Klassistischer Idiot" meint eine Einschränkung in der Denkfähigkeit, die sich aus Herrschafts- und Machtpositionen herstellt. Heute ist der 250ste Geburtstag von #Hegel, daher hier ein, zwei Worte zur Standpunkttheorie.
Hegel war einer der ersten, die einen Zugewinn der Erkenntnisfähigkeit aus der beherrschten Position der Knechte thematisierte. Standpunkttheoretiker*innen, die von einem situierten Wissen ausgehen, beziehen sich auf das entsprechende Kapitel bei Hegel.
Daher nehme ich meine Kritik an der emblemischen Verwendung von Wörtern ein wenig zurück. Wenn das Gender-Sternchen benutzt wird, dann wird damit nicht nur die androzentrische Sprache problematisiert, sondern auch eine Zugehörigkeit emblematisiert.
Wer das Gender-Sternchen benutzt, zeigt damit zugleich eine Zugehörigkeit oder zumindest Sympathie zur feministischen Queer/Trans-Szene an. Es wird nicht nur problematisiert, sondern auch emblematisiert. Es wird Position in Anerkennungskämpfen bezogen.
Wenn die Verwendung des Wortes "Idiot" kritisiert wird, dann kommt diese Kritik oft von betroffenen Menschen, die gegen Ableismus kämpfen. Wissen ist situiert und Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, erkennen diese Diskriminierungen oftmals besser.
Vor allem, wenn die von Diskriminierung betroffenen sich gemeinsam autonom organisieren, können sie diese Diskriminierungen auf den Begriff bringen und haben einen erkenntnistheoretischen Vorteil. Der "alte weiße Mann" hat einen erkenntnistheoretischen Nachteil.
"Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot" hieß es im Vorspann aller Bücher der profeministisch männerbewegten rororo-Mann-Reihe. "Der Mann interessiert sich in dieser Gesellschaft ernsthaft nur für den Mann." schrieb Pilgrim damals.
"Der Mann interessiert sich in dieser Gesellschaft ernsthaft nur für den Mann" hätte auch in "Phänomenologie des Geistes" von #Hegel im Kapitel "Herrschaft und Knechtschaft" als Bezeichnung für das obsiegende Bewusstsein stehen können.
Mit "klassistischer Idiot" habe ich genau auf diesen erkenntnistheoretischen Nachteil von Markus Krall gezielt. "Idiot" hat allerdings umgangssprachlich nicht nur die Bedeutung, dass jemand weniger weiß, sondern auch, dass er damit Schaden anrichtet.
"Idiot" bezeichnet hier auch einen Mangel an Umsicht und Rücksicht. Und so habe ich den Begriff "Idiot" gelernt, lange bevor ich von Rassenhygiene oder "Aktion T4" gehört habe. Das heißt, im Gegensatz zum N*-Wort ist "Idiot" kontextualisierbar.
Daher: #Covidiots ist ein schlechter Begriff, da er Krankheit und Idiot zusammenführt. Überhaupt sollte das Wort "Idiot" möglichst nicht benutzt werden. Aber das reflexhafte "Das sagt man nicht" in der Szene ist ebenfalls nicht hilfreich. Es geht um kritisches Bewusstsein.
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