Thread: Covid19 - ein Erlebnisbericht
CN: Intensivstation, Krankheit, explicit Content

Disclaimer: Dies ist ein Tatsachenbericht. Orte, Namen, Daten wurden weggelassen oder verfremdet. Verlinkte Videos sind öffentlich zugänglich auf YouTube und nur Beispiele, nicht aus dem Fall.
Ich komme als Stationsarzt am späten Nachmittag auf die Intensivstation, welche ich bis zum folgenden Morgen hüten werde. Visite. Seit 3 Tagen ist ein Patient bei uns, der mit Atemwegsbeschwerden aufgenommen wurde. Sein SARS-CoV2-Test: positiv. Die Ansteckungsquelle: unbekannt.
Er ist 68 Jahre alt, schlank, nimmt bisher keine Medikamente und war regelmäßig zu Vorsorgen bei seinem Hausarzt. Bis auf eine Blinddarmentzündung vor Jahrzehnten sind keine Vorerkrankungen bekannt.
Ich schaue durch die Glasscheibe in sein Zimmer. Er sitzt in einem Sessel,
er hat eine Kunststoffhaube über dem Kopf, die an einem Beatmungsgerät hängt. Nichtinvasive Überdruckbeatmung.
Dabei ist er wach und orientiert. Er hat Angst. Die letzten beiden Nächte hat er kaum geschlafen. Die Beatmung sieht in etwa so aus:
Die Sauerstoffkonzentration des Beatmungsgerätes ist auf 65% eingestellt; mehr als das dreifache, was in der Raumluft enthalten ist (21%). Seine Atmung ist angestrengt und beschleunigt. Statt 12-18 Atemzügen pro Minute sind es fast 40. Etwa so sieht es aus:
Er erhält seine Ernährung intravenös. Essen ist nicht möglich. Eine Magensonde, welche eine Zufuhr über den Magen-Darm-Trakt ermöglicht hätte, toleriert er nicht. Zudem geht dies mit der Gefahr von Erbrechen und Verschlucken in die Lunge einher (Aspiration).
Er erhält Remdesivir und Dexamethason. Ich werfe einen Blick auf die Ergebnisse der letzten Blutgasanalyse. Trotz der deutlich erhöhten Drücke im Helm, trotz 65% Sauerstoffanteil ist der Sauerstoffpartialdruck des Patienten etwa so hoch wie bei jemandem, der im Hochgebirge
ohne Sauerstoff unterwegs ist. Die Sättigung liegt bei 85-88%. Extrem grenzwertig. Eine invasive Beatmung mit Analgosedierung ("künstliches Koma") versuchen wir zu vermeiden, wenn möglich. Hier bin ich skeptisch.
Im CT sehen wir bei Patienten regelmäßig schwere Veränderungen.
Zum Vergleich: Dies ist ein normales CT des Brustkorbes im sogenannten "Lungenfenster":
Und hier einmal der Vergleich zu einem Patienten mit Covid 19. Die Schwere der Veränderungen kann auch noch deutlich zunehmen, so dass die Lunge fast komplett weiss erscheint. (CT im Video ab 2:30, ist im Ganzen sehenswert):
Eine Intensivfachpflegekraft ist eigentlich durchgehend im Zimmer. Der Patient benötigt sowohl aus rein medizinischer, vor allem aber auch aus psychologischer Sicht durchgehende Betreuung.
Natürlich die ganze Zeit im Vollschutz. Hier mal ein Video dazu:
Die gesamte Zeit in Überkittel, Handschuhen, Kopfschutz, FFP2-Maske. Ohne größere Pausen. Jedesmal komplett an- und ausziehen, wenn man das Zimmer verlässt oder betritt.
Weitere Kollegen reichen auf Anforderung (wir haben Babyfone in die Zimmer gestellt) Material an.
Ich denke über die Medikamente nach, die ich dem Patienten geben könnte, um ihn symptomatisch zu unterstützen. Es gibt Medikamente, welche angstlösend, schlafanstossend oder Atemnot lindernd wirken.
Alle haben Nebenwirkungen, welche ich für unseren Patienten nicht möchte:
Sie können zB mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Delir (schwere Desorientierung, Angst, einhergehend mit erhöhter Sterblichkeit) auslösen. Oder den Atemantrieb übermässig dämpfen. Richtig gute medikamentöse Optionen gibt es wenig. Es bleibt die kontinuierliche Betreuung.
Zum Glück ist dieser Patient im Moment der Einzige, welcher diese intensive Daueraufmerksamkeit benötigt. Es wäre keine Personalreserve da, wenn es mehr werden. Wir haben an diesem Tag noch freie Betten, wir haben keine akuten Aufnahmen, wir haben keine anderen Patienten,
die ebenso kritisch sind. Das ist an vielen Tagen - auch ohne Covid - anders. Dann wäre unser Patient phasenweise sich und seiner Panik selbst überlassen.

Als es Abend wird, wird er ins Bett mobilisiert. Die Atmung hat sich nicht verbessert.
Der Helm wird im Liegen von diesem Patienten schlechter toleriert. Wir schwenken auf eine Maske um. Ein Versuch, mit einer Nasensonde allein mit hohem Sauerstofffluss zu arbeiten, scheitert. Der Überdruck fehlt.
Die Maske muss eng anliegen, sonst wird kein Druck aufgebaut.
In diesem Demovideo sieht das sehr entspannt aus. Bei unserem Patienten nicht, auch, wenn er alles tut, was er muss und die Therapie akzeptiert - solange man bei ihm ist.
An Schlaf ist nicht zu denken. Die Beatmung ist laut (insbesondere übrigens unter dem Helm), die Umgebung fremd und viel zu hell, obwohl das Deckenlicht im Zimmer aus ist. Vom Flur leuchtet es durch die Glasscheiben. Das Beatmungsgerät, Monitor, Spritzenpumpen, alles leuchtet.
Unser Patient toleriert die Therapie immer schlechter. Trotz inzwischen getroffener, vorsichtiger medikamentöser Maßnahmen wird er panischer. Man bemerkt, dass er über die noch eben tolerierbare Grenze des zumutbaren hinaus geht. Irgendwann merken wir, dass die Orientierung
kippt. Schlafentzug, Krankheit und Stress, die ungewohnte Umgebung und ggfs auch Nebenwirkungen von Medikamenten haben letztlich doch ein Delir zur Folge. Weder Maske noch Helm werden noch toleriert. Es folgt, was folgen muss: Narkose und Intubation. Da wir hier an den
Atemwegen manipulieren, ziehen wir hierfür mit FFP3 die höchste Schutzklasse an. Schliesslich sind wir nicht immun und möchten selbst nicht erkranken und unsere Familien anstecken.
Die Intubation muss schnell und sicher erfolgen - viel Reserven hat unser Patient schliesslich nicht. Hier ab Minute 5 dargestellt. Das Prozedere dauert nach erfolgter Vorbereitung nur eine knappe Minute.
Auch nach der Intubation bleibt die Sauerstoffaufnahme schwer beeinträchtigt. Eine Möglichkeit, die bei einem Lungenversagen hilfreich sein kann, ist, den narkotisierten und beatmeten Patienten in Bauchlage zu drehen. So bleibt er bis zu 18 Stunden liegen.
Ich habe Feierabend.
Unser Patient hat noch einen langen Weg vor sich. Ob er überleben wird, weiss ich nicht. Mehr Personal bekommen wir nicht, mehr Patienten beim aktuellen Verlauf ganz sicher.
#WearAMaskSaveALife
Danke für so viel Resonanz. Es waren ein paar Fragen dabei, die hier gerade in meinen Notifications untergehen. Schickt sie mir bitte per PN, ich versuche, darauf zu antworten.

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