Das Knausgaard-Debüt "Aus der Welt" ist ein schwieriges Buch, das in Skandinavien zu großen Debatten und dem Vorwurf "literarischer Pädophilie" führte. Jetzt ist es bei Luchterhand erschienen. Ich bin gespannt, wie der Roman 20 (!) Jahre später in Deutschland aufgenommen wird.
Die sehr guten Essays von Ebba Witt-Brattström warten noch auf eine Übersetzung. Aber es ist natürlich auch leichter das männliche Genie zu verkaufen als seine Dekonstruktion.
Anhand des Buches wurden in Skandinavien bereits vor einigen Jahren scharfe Kunstautonomiedebatten geführt. Ich bin gespannt, ob Deutschland auch ein "Land der Zyklopen" ist oder ob das Buch hier im gesamten Knausgaard-Hype abgefeiert wird.
Zeit und DLF Kultur haben sich dem Buch bereits gewidmet. Der Tenor der Kritik überrascht mich leider nicht.
"Karl Ove Knausgård und ich spazieren an zwei Schulklassen vorbei, die auf der Grünfläche von Blackheath Sportunterricht haben. Die Kinder könnten so jung sein wie die von ihrem Lehrer verführte Miriam aus dem Roman." deutschlandfunkkultur.de/karl-ove-knaus…
Wunderbar, wie hier die Spekulation über die Vergewaltigung von Kindern ein wenig Kolorit für den Beitrag abgeben darf.
Die Veröffentlichung von "Aus der Welt" zu diesem Zeitpunkt muss auch als Schielen auf eine mögliche Skandalisierung ($$$) gedeutet werden. Gleichzeitig geht es nicht dieses Buch kritiklos zu ignorieren.
Knausgaard ist für Kunstautonomiedebatten ideal, weil er tatsächlich gut schreibt (wenn die Bücher auch gähnend langweilig und unglaublich breitgetreten sind). Das bedeutet man kann anhand von "Aus der Welt" sehr gut Ästhetik gegen Ethik ausspielen.
In der Zeit denkt Adam Soboczynski zumindest über das problematische Cover der Erstausgabe nach, zitiert auch problematische Stellen des Romans und geht auf das Problem der Kunstautonomie ein.
Aber statt beispielsweise Witt-Brattström zu interviewen, die ja im Artikel erwähnt wird. Ihr Raum zu geben für eine kritische Auseinandersetzung, bekommt wieder Knausgaard langen Interviewplatz für seine Sorgen nicht mehr frei schreiben zu können.
Und natürlich werden dann etablierte Autoren angerufen: Handke, Kracht, Carrère. Zur Verteidigung kunstautonomer männlicher Genieästhetik braucht es einen Kanon großer Namen.
Und die scheinbar kritische Frage "Ob er, dessen Werk ja so autobiografisch geprägt ist, selbst eineBeziehung zu einer 13-Jährigen hatte" reduziert die realen Probleme des Romans, indem sich einem arguementativem Popanz gewidmet wird. Das Buch ist auch als Fiktion problematisch.
Die in der Zeit zitierte Ebba Witt-Brattström bekommt für ihre komplexe in Buch und Artikel ausgeführte Argumentation einen (!) kurzen Absatz, auf den direkt anschließend ein längerer Absatz mit der Zusammenfassung von Knausgaards Verteidigungsartikel folgt.
Hier wird der "Zeitgeist" durch kurzes Kopfnicken anerkannt und dann wird das ewig Gleiche reproduziert. Enttäuschend.
(Damit bin ich glaube ich mit dem Thema fertig, ärgere mich sowieso, dass ich die 700 Seiten von 'Ute av verden' gelesen habe.)
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Ich halte es für ein wirkliches Problem, dass diskursive Praktiken auf Twitter nicht oder nur kaum dokumentiert und analytisch betrachtet werden. Memes wie "Ich komme von..." im Kontext der Handke-Debatte verschwinden einfach, man kann sie auch nur schwierig suchen (Bilder!).
An diesem Beispiel lässt sich viel zeigen: Wie entindividualisiertes Schreiben im Kontext von twitter funktioniert, wie Memes subversiv wirken können, die Funktion von Humor in der Hinterfragung von Kanones, Memes als Kanonisierungspraktiken etc.
Das bedeutet es bedarf teilnehmender Beobachter*innen, die sich bewusst entscheiden bestimmte Themen zu dokumentieren und analytisch zu begleiten. Das gibt es aber kaum.
Der Begriff "Narrativ" ist zwar in aller Munde ist, aber es gelingt den Kultur-/Literaturwissenschaften nur bedingt die zentralen Inhalte des "Narrative Turn" zu kommunizieren. Gerade bei Anlässen wie der Causa Rotelius wäre das jedoch hilfreich. #RelevanteLiteraturwissenschaft
Spätestens seit dem Narrative Turn ist es ein Allgemeinplatz, dass das Erzählen nicht nur etwas ist, was in ästhetischen Texten stattfindet, sondern ein grundlegender Modus menschlichen Weltzugangs.
Ob wir es Homo Narrans (Walter Fisher) oder storytelling-animal (Alasdair Macintyre) nennen; Hayden White oder Albrecht Koschorke heranziehen, die Wichtigkeit des Erzählens ist mannigfaltig kulturtheoretisch bearbeitet worden.
Ich habe heute mit Studierenden einen recht anspruchsvollen Text mit hohem Abstraktionsniveau besprochen, d. h. viel Terminologie, viel Voraussetzung bekannter Konzepte der Ideengeschichte usw.. Wir sprachen dann darüber, wie man mit solchen Texten als Anfänger*in umgehen kann.
In einer idealen Situation würde man natürlich alles nachschlagen. Was passiert jedoch, wenn man beim nachschlagen auf eine terminologische Irrfahrt gerät und am Ende das Gefühl hat überhaupt nichts mehr zu verstehen?
Gerade bei Begriffen, die komplexe Themenfelder anschneiden (in unserem Textbeispiel beispielsweise Metaphysik, Ontologie und Idealismus) kann man sich natürlich beim Nachschlagen unglaublich verzetteln.