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23 Oct, 28 tweets, 7 min read
Corona Update 23.10.20: Rekordwerte bei gemeldeten Neuinfektionen in DE, 7-Tage-Schnitt (blaue Treppe) höher als bei 1. Welle, aber Zahlen sind nicht vergleichbar. Dunkelziffer bei 1. Welle war 2-4 mal höher.
Bei der Inzidenz nach Altergruppen und Meldedatum ist weiter die Gruppe 20-24 und 25-29 führend. Die Daten für KW43 aus dem RKI survstat sind noch unvollständig, es werden noch Fälle dazukommen.
Hier die täglichen Fälle nach Altergruppen aus dem NPGEO-Datensatz nach Veröffentlichungsdatum; hier zeigt sich aktuell ein überproportionaler Anstieg in der Altergruppe 80+. AG 35-59 jetzt wieder mit den absolut meisten Fällen (ist auch grösste Gruppe), AG 60-79 auch im Kommen.
Die Anstiege sind auch alle real und nicht auf vermehrtes Testen zurückzuführen. Die Zahl der Test ist nur leicht von 1,186 Mio. auf knapp 1,195 Mio in KW 42 gestiegen, die Positivenquote von 2,49% auf 3,62%.
Seit fast drei Monaten, seit in KW32 die Tests stark ausgeweitet wurden und viele Reiserückkehrer getestet werden, gibt es einen Probenrückstau von um die 20.000 Tests, womit ca. 700 Infizierte pro Tag nicht zeitnah benachricht werden.
Die Top-30 Landkreise sind alle superrot. Birkenfeld und Altenkirchen führen die Riskoliste an, Berchtesgadener Land mit höchster 7-Tage-Inzidenz (252,4/100.000), gefolgt von Berlin-Neukölln.
Hier hat @mainteufel eine schöne Visualisierung der zeitlichen Entwicklung der Gefahrenstufen der Einträge auf pavelmayer.de/covid/risks gemacht: Mittlerweile keine "grünen" oder "supergrünen" Landkreise mehr, alles gelb, rot oder superrot.
Im Ländervergleich weiter Berlin und das Saarland vorn, gefolgt von Hessen, Bayern und Sachsen. Nur noch 6 Flächenländer mit 7-Tage-Inzidenz unter 50/100.000, darunter alle reinen Ostländer außer Sachsen.
Auch in Berlin sind die Zahlen weiter auf Rekordniveau gestiegen, keine Anhaltpunkte für einen Rückgang. Zahl der Toten leicht erhöht, aber noch immer niedrig.
Aller Berliner Bezirke außer Marzahn-Hellersdorf jetzt Risikobezirke, das aber bald folgen wird. Mitte und Neukölln mit 7-Tage-Inzidenzen von über 200. Die reinen Ost-Bezirke weiter am Ende der Tabelle.
International steht Deutschland (noch) besser da als alle Nachbarländer ausser Dänemark, was den 7-Tage-Schnitt bei Neuinzidenzen angeht. Tschechien und Belgien fehlen in der ersten Tabelle, weil man sonst die anderen Länder kaum sieht. Tschechien über 900.
Bei den kumulierten Todesfällen Belgien weiter das tödlichste Covid-Land, nach Spanien, USA, UK Italien und Schweden. Tschechien jetzt mit mehr Toten/Mio. Einw. als Deutschland.
Zu der Frage, wo sich die Leute anstecken, gibt es einen Update vom RKI im Bericht vom 20.10.20: rki.de/DE/Content/Inf…
Leider sind ist das nur eine Auswertung von Clustern mit mindestens 5 Infektionen, wobei nur 1/4 aller Infektionen einem Cluster zuzuordnen ist, und davon fallen in der Grafik 35% weg, weil ein Cluster nur 2-4 Infizierte hat. Die Grafik enthält also nur rund 16% der Meldungen.
Davon ist noch mal 1/3 "weitere", was uns auch nicht weiterhilft. Was wir wissen ist, dass sich trotz dieser Beschränkung auf Cluster>5 Personen die meisten Leute weiterhin da anstecken, wo sie oder ihre Feunde wohnen.
Auch Ansteckungen am Arbeitsplatz spielen wieder eine größere Rolle, und es gibt weiter keine Kategorie "religiöse Zeremonie" oder Kirche, wobei es gerade da immer wieder zu Superspreading-Ereignissen kommt.
Sollte sich in der kommenden Woche bei den Zahlen keine Trendwende oder starke Verlangsamung des Anstiegs abzeichnen, dürften verschärfte Maßnahmen wie in Tschechien unausweichlich werden.
Ich möchte ja gerne irgendjemandem die Schuld dafür geben, aber ich kann keine klaren Schuldigen ausmachen. In Europa sieht es nur in wenigen Ländern besser aus, und alle großen europäischen Länder stehen deutlich schlechter da als Deutschland.
Letztlich würde ich die Ursache in einer zu frühen Grenzöffnung und zu frühem Wegfall von Beschränkungen in fast allen europäischen Ländern sehen. Wir hatten eine Chance, die 2. Welle in den Griff zu kriegen oder länger hinauszuzögern, aber wir haben sie nicht genutzt.
Was jetzt kommt wird nicht so schön werden. Es zeichnet sich eine härtere Probe für die Gesundheitssysteme ab, als wir es bei uns in der 1. Welle erlebt haben, und wir werden bald auch bei uns wieder mehr Tote sehen, das sieht man bereits deutlich.
Ich sehe derzeit auch keine Strategien im politischen Raum, wie wir halbwegs mit einem blauen Auge davonkommen und harte Maßnahmen vermeiden können, und ich habe auch keine Idee. Wir sind einfach zu spät und die Zahlen zu hoch. Spezifische Maßnahmen reichen nicht mehr aus.
Wir haben auch einen Dammbruch bei der Bekämpfung durch Tracking und Quarantäne; mittlerweile sind die Zahlen zu hoch, als dass die Ämter noch mitkommen und den Überblick behalten können. Allein das sorgt wahrscheinlich für ein deutliches Plus beim Reproduktionsfaktor.
Der Reproduktionsfaktor muss wieder unter 1, aber das haben wir zuletzt Anfang September geschafft, für eine Woche. Um die erste Welle in den Griff zu kriegen, brauchte es 2 Monate R<1.
Ein kapitaler Fehler war es, ein R > 1 dauerhaft zu tolerieren und nicht sofort Maßnahmen einzuleiten, als die Infektion begann, sich wieder auszubreiten. Der Zeitpunkt dafür wäre vor 3 Monaten gewesen.
Eine radikale Idee hätte ich doch: 2 Wochen totaler Shutdown. Totale Ausgangssperre. Niemand verlässt seine Wohnung oder seinen Arbeitsplatz, wenn es eine wichtige Tätigkeit ist, und zwar für 2 Wochen. Alles macht zu, auch Supermärkte und ÖPNV.
Offen bleiben Krankenhäuser und Arztpraxen und Polizei und Feuerwehr, aber das Personal bleibt vor Ort. Ebenso müssen Kraftwerke, Gas- und Wasserversorgung in Betrieb bleiben und Tiere müssen betreut werden. Tankstellen machen auch alle zu, mit Ausnahmen für Bedarfsträger.
Theoretisch könnte sogar eine solche Woche ausreichen, um einen deutlichen Effekt zu zeigen. Ich persönlich würde auch lieber zwei Wochen zu Hause bleiben als monatelanges Hickhack, an dessen Ende vielleicht doch ein totaler Shutdown steht. Aber das ist nur meine Meinung.
Bleibt trotzdem gesund und passt auf euch auf, und auf eure Liebsten.

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11 Oct
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