Mein vierter (und vorerst letzter) Thread zu den #USWahlen2020 : Die gute Nachricht zuerst: alle Networks haben nun #JoeBiden zum #PresidentElectJoe erklaert. Es waren weitere positive Stimmenanteile aus Pennsylvania heute Morgen, die das ganz ueber die Schwelle gehoben haben.
Damit hat die USA einen Schritt zurueck gemacht vor dem Rechtspopulismus (ich wuerde sagen vor dem Abgrund des Faschismus). UK, Polen, Ungarn - bitte nehmt euch ein Beispiel an Uncle Sam.
Fuer die Nerds: auch in Nevada und Georgia gab es inzwischen einen substantiellen Stimmenzuwachs ueber Nacht / heute Morgen. Beide Staaten werden wohl beim vorlaeufigen amtlichen Endergebnis noch deutlicher Biden vorne haben. Das ist zumindest bei Georgia nicht ganz
unwichtig, denn es duerfte bei einem Plus landen, das relativ Recount-sicher ist. In Arizona sind die Nachrichten fuer Biden nicht ganz so gut. Da gab es deutliche Vorsprungsverluste. Es gilt zwar immer noch als wahrscheinlich, dass Biden hier gewinnt
(man wartet schon laenger auf ein Update aus Tucson, der Hauptstadt Arizonas, die sehr demokratisch ist), aber sicher ist das eben nicht mehr. Und zwar so sicher, dass man keinen Recount mehr macht. Insofern muss man schon kritisch fragen, warum am Wahlabend Arizona von einigen
gecallt wurde. Warum schreibe ich das noch? Nun, wenn Biden alle diese Staaten Recount-sicher gewinnt, dann wird es deutlich schwieriger fuer Trump, doch noch was ueber die Gerichte zu versuchen (ich sage nicht, dass letzteres eine grosse Gefahr darstellt, aber er wird es wohl
versuchen und man moechte da gerne einen Puffer haben). Denn hier gilt eben: Praesidentenwahlen in den USA sind 51 Wahlen und Trump muesste dann gleich in mehreren Staaten Gerichte bemuehen und ueberzeugen.
In diesem Sinne auch noch einmal einen Punkt an meine deutschen Leser, die sich ueber das vermeintlich veraltete und ueberkomplexe Wahlsystem und eine ebensolche Wahlinfrastruktur in den USA wundern und diese sogar belaecheln. Eines ist jedenfalls sehr gut daran:
Die Dezentralisierung. Man stelle sich nur vor, die gesamte Wahl waere in den Haenden der Bundesadministration, dh des korrupten Donald Trump. Dann haette er die Wahl garantiert "gewonnen". Die Fehler und eventuelle Korruption, die dezentral gemacht werden,
sind kleiner und deshalb weniger relevant. Trump kann gar nicht 51 (oder auch nur genuegend in den Swingstates) Staatswahlbuerokratien korrumpieren. Im Gegensatz dazu: beim US Postal Service hat er es zT geschafft. Also: dieses langsame dezentrale System ist einfach robuster.
So, jetzt noch etwas Einschaetzung: wie die Biden-Praesidentschaft werden wird, kann man ehrlich gesagt jetzt noch gar nicht sagen. Denn das haengt von genau zwei Wahlen im Januar ab (here we go again). Und zwar zwei Senatsstichwahlen in - Georgia. Nur wenn die beide
an die Demokraten gehen (das "nur" steht noch nicht 100% fest, das haengt noch etwas von North Carolina ab, aber 99% schon), hat Biden volle (wenn auch knappe) Kontrolle ueber beide Haeuser des Kongresses.
Ob das gelingen wird? Es ist moeglich, wie man jetzt wohl in Georgia sieht (weshalb auch ein Sieg fuer Biden in Georgia psychologisch so wichtig waere). Stacey Abrahams, der afroamerikanische Politikstar der Demokraten aus Georgia, koennte das moeglich machen.
Sie hat eine massive Waehlermobilisierungsmaschine in Georgia entwickelt. Was entscheidend sein wird: es duerfte sicherlich viele Trumpistas geben, die einfach zu Hause bleiben werden bei dieser Wahl. Auf der anderen Seite, duerfte es viele Zentristen geben, die den Demokraten
nicht ganz trauen und strategisch GOP Kandidaten waehlen werden. Eines steht jetzt schon fest: selten waren isolierte Senatswahlen so wichtig. Das Geld und die Medienaufmerksamkeit, die im Dezember und Januar in Georgia sein werden, duerfte Rekorde brechen.
Warum ist das alles so wichtig? Aussenpolitisch fuer die Deutschen nicht so wirklich, denn da kann Biden relativ durchregieren. Innenpolitisch (aber eben auch klimapolitisch, und das wird die Deutschen interessieren) dagegen sehr. Wenn Biden die Senatsmehrheit bekaeme, dann
waere der Druck der linken Basis bei den Demokraten enorm auf ihn, linke Projekte durchzufuehren. Hinzukaemen: Court Packing, Statehood fuer Washington DC und Puerto Rico, etc. Das alles ginge mit einem republikanischen Senat nicht. Auf der anderen Seite wird die GOP Mehrheit,
wenn sie denn bleibt, so duenn werden, dass Biden sehr gut zentristisch wird regieren koennen. Er koennte gut mit Mitt Romney, Susan Collins und Lisa Murkowsky zusammenarbeiten. Zusammenfassung: erst im Januar wird die innenpolitische Richtung dieser Administration klar werden.
Ansonsten: man sollte jetzt keine Wunder erwarten. Covid19 wird nicht einfach so verschwinden, Joe Biden wird enger mit Europa zusammenarbeiten, aber durchaus auch hart verhandeln, etc. Beim Freihandel wird Europa das als erstes merken.
Was wird mit Trump und Trumpismus? Wie bereits angedeutet, das kann man jetzt serioes nicht vorhersagen. Ich halte da ehrlich gesagt alles fuer moeglich. Von Trump und seiner Familie, die einfach im Gefaengnis landet (seine Immunitaet laeuft bald aus).
Bis hin zu einer Dolchstosslegende mit Trump als einem Schattenpraesidenten, der ueber ein Medienimperium seine Bewegung weiterfuehrt und 2024 selbst oder in Gestalt eines seiner Kinder wieder antritt. Und alles dazwischen.
Es ist auch unklar, wie die GOP reagieren wird und ob es da genug Anti-Trump-Talent gibt, das jetzt uebernehmen wird. Ich halte das fuer unklar, aber extrem spannend. Die Wahl wird zwar doch am Ende wahrscheinlich relativ deutlich fuer Joe Biden ausgegangen sein, ABER:
Man kann eben doch nicht von einer Blue Wave und einer totalen politischen Vernichtung des Trumpismus sprechen. Sozialwissenschaftler werden das noch genau herausfinden ueber die detaillierte Einzelanalyse der Kongreswahlen, da sollte man jetzt keine voreiligen Schluesse ziehen.
Aber das politische Narrativ ist eben (und wird es auch nicht anders werden) nicht das einer entscheidenden Zurueckweisung. Dafuer haben die Republikaner im Senat und House zu gut abgeschnitten, und zwar, so werden viele argumentieren, weil Trump Waehler mobilisiert hat.
Also: es bleibt spannend in den USA. Georgia Senatswahlen, Richtung der Biden Administration, Zukunft des Trumpismus und der GOP.
Aber jetzt erst einmal Durchatmen. Die USA sind ab heute wieder ein besseres Land. Freut euch, drinkt ein Bier und esst einen Burger, und wenn Covid-19 vorbei ist, schaut mal in Philadelphia und Atlanta vorbei.

End Threads.

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6 Nov
Dritter Thread zu den #USWahlen2020 . Nach menschlichem Ermessen ist das Rennen gelaufen. Lokale Beobachter sind sich sicher, dass es reicht in Arizona und Nevada; und in Pennsylvania wird sich der Biden Lead am Ende noch sehr erhoehen. Allerdings geht es jetzt noch langsamer,
weil das zunehmend Wahlzettel verschiedener Spezialkategorien sind (in die Details will ich jetzt nicht eingehen, aber das reicht von Knicken im Brief, so dass der Zettel nicht in den Scanner geht, zu Uebersee- und Militaerwahlzetteln). Georgia ist am knappsten und koennte
rein theoretisch auch noch mal kippen, auch wenn ich niemand gelesen habe, der das ernsthaft fuer moeglich haelt. In jedem Fall wuerde das erst in ein paar Tagen feststehen und es wird auch keine Rolle mehr spielen.
Read 15 tweets
5 Nov
Here is another problem with identity politics: if you do identity politics targeted to the majority (plurality really), then it's easy. This is what the GOP has done to perfection.
By contrast, the problem with doing identity politics based on diversity is: no matter what you do: someone will be offended. You put up a white old centrist male and a Jamaican/Indian-heritage woman the young voters will be disappointed, the Latinos and Asians
might be offended, the left will not be enthusiastic, etc. I don't think you can win over stable coalitions like that. You might just barely beat the most incompetent, vile president in the history of the USA but not achieve anything more.
Read 4 tweets
5 Nov
Zweiter Thread zu den #USWahlen2020 : Zunaechst: wo stehen wir? Nun, wir sind nicht wirklich schlauer geworden. Es gab ueber Nacht leichte Veraenderungen pro Trump in Arizona, und staerkere Veraenderungen pro Biden in Pennsylvania und Georgia. Diese waren aber gestern schon
erwartbar, obwohl es natuerlich immer gut ist, wenn Erwartungen auch eintreffen. Keine dieser Veraenderungen ist aber per se wahlentscheidend. Man hoert, dass es heute im Laufe des Tages wichtige und auch womoeglich entscheidene Updates bei den Auszaehlungen geben wird.
Ich habe vor der Wahl folgende These aufgestellt: viele Kommentatoren, denen das Verstaendnis fuer Wahrscheinlichkeiten abgeht, haben immer wieder gesagt: Biden liegt in so vielen Staaten gleich auf oder leicht vorne, in ein paar muss es doch einfach klappen. Das gilt aber nur
Read 10 tweets
4 Nov
Mein erster Thread zu den #USElections2020 . 5 Punkte:

1) Trump ist ein phantastischer Wahlkaempfer, der durch seine Energie auch marginale Waehler mobilisieren kann. Und das bedeutet: persoenliche Energie und Waehleransprache sind auch im 21. Jhr. weiterhin wichtig.
2) Das alte Bonmot aus der Clinton-Aera "It's the economy, stupid" gilt immer noch. Die wirtschaftliche Lage war mindestens genauso wichtig fuer die Waehler wie die Pandemie, wenn nicht sogar mehr. Ich kann es zwar nicht nachvollziehen, warum man Trump da mehr zutraut als Biden.
Fakt ist aber, dass viele US Waehler so denken. @N_Heisterhagen hat aus dieser Erkenntnis seine eigenen Schluesse fuer die europaeischen Linken gezogen (und ich sehe seinen Punkt):

cicero.de/aussenpolitik/…
Read 12 tweets
3 Nov
Was soll ich sagen? Wir wissen es wirklich nicht. Von einem knappen Trumpsieg zu einer Blue Wave Election ist alles drin. Es gibt einen ganz klaren Trumppfad zum Sieg: der Rustbelt ist noch ausreichend Trumpista (wahrscheinlich in Pennsylvania), ...
... und der Sunbelt noch nicht blau genug. Wenn sich Leute die Umfragen in den einzelnen Staaten anschauen, denken sie immer intuitiv, das seien stochastisch unabhaengige Ereignisse, und wenn Biden nur einen von einer handvoll Staaten gewinnen muss (plus alles was Clinton hatte
plus Wisconsin und Michigan, worueber ich relativ optimistisch bin), dann sollte das doch klappen. Letztlich gibt es meiner Meinung nach am Wahlabend aber nur zwei Ereignisse und noch nicht mal die sind ganz unabhaengig. Ist der Sunbelt schon blau genug, dass es fuer
Read 5 tweets
2 Nov
This is exactly my thinking. Why was this not the end of it? The disrespect for human life and dignity displayed here has taken forever away the right of a Trump-led GOP to call itself pro-life.
And anyone who calls themselves a Christian should disavow and not vote for Trump for this alone (maybe don’t vote for Biden, either, that’s fair).
And while I don’t want to get into an abortion discussion (I have been struggling at an ethical level with this question basically my entire life) - abortions are rarely done out of spite or pure evil but rather because of a difficult situation for the mother.
Read 4 tweets

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