Weil ich nicht glauben konnte, dass der 7-Tage-R-Wert letzte Woche wirklich unter 1 lag, während die Zahl der Neuinfektionen permanent zugenommen hat, habe ich mir die Zahlen nochmal genauer angesehen. Ergebnis: Der R-Wert wird vom @rki_de derzeit systematisch unterschätzt. [1/8]
Das @rki_de nennt den aktuellen 7-Tage-R-Wert, der das Infektionsgeschehen vor ca. 12 Tagen abbildet, täglich im Situationsbericht. Dieser wird später immer wieder korrigiert, wenn neue Daten eintreffen. Die aktualisierten Werte finden sich hier: rki.de/DE/Content/Inf… [2/8]
Ich habe in die aktuelle Tabelle jetzt mal die R-Werte eingefügt, die in den Tagesberichten ursprünglich genannt wurden, und die Differenz zu den korrigierten Werten berechnet (Tageswert und 7-Tage-Durchschnitt): [3/8]
Dabei zeigt sich: Die Werte von vor einer Woche sind inzwischen im Schnitt um 0,1 höher als ursprünglich gemeldet, die von vor zwei Wochen sogar um 0,15. (Die korrigierten Werte liegen damit teilweise weit oberhalb des ursprünglich genannten 95-%-Konfidenzintervalls.) [4/8]
Zudem ist jetzt klar: Die vier R-Werte von unter 1, die letzte Woche gemeldet und oft als Zeichen für einen Rückgang der Infektionen gewertet wurden, waren nicht real. Die korrigierten Werte für diese Tage liegen inzwischen alle über 1, und sie dürften noch weiter steigen. [5/8]
Leider werden diese korrigierten R-Werte vom @rki_de nirgendwo aktiv kommuniziert. Ich habe schon letzte Woche nachgefragt, warum die R-Werte derzeit so fehlerhaft sind und ob man darauf nicht stärker hinweisen müsste, aber bisher keine Antwort erhalten. [6/8]
Wie hier zuvor schon geschrieben, erkläre ich mir den Fahler damit, dass die Verzögerung zwischen Infektion und Meldung derzeit wegen der Überlastung von Praxen, Laboren und Ämtern größer ist als zuvor, aber die Berechnung des R-Werts noch nicht daran angepasst wurde. [7/8]
Für mich ist damit klar: Der R-Wert aus den Tagesberichten des @rki_de ist derzeit unbrauchbar, weil er systematisch zu niedrig ausfällt. Er sorgt eher für Verwirrung als für Klarheit und sollte zur Einschätzung der aktuellen #Corona-Lage nicht genutzt werden. [8/8]
P.S. In diesem Thread beziehe ich mich ausschließlich auf den 7-Tage-R-Wert. Den in den Tagesberichten ebenfalls genannten 4-Tage-R-Wert halte ich wegen seiner Schwankungen im Wochenverlauf für so wenig aussagekräftig, dass ich mich ohnehin frage, warum er noch kommuniziert wird.
Update: Das @rki_de hat inzwischen meine Vermutung bestätigt, dass die deutliche Unterschätzung in der letzten Zeit daran lieg, dass sich die Verzögerung zwischen Erkrankung und Meldung einer Infektion zuletzt verlängert hat. [1/2]
Einfach anpassen könnte man die Berechnung aber auch nicht, weil unklar sei, wie lange diese Verlängerung noch weiter zunehme, so die Behörde. [2/2]
Zusammenfassung gibt's hier: taz.de/Coronazahlen-s…
Korrektur zu Tweet [3/8] oben in diesem Thread: In der Tabelle habe ich leider einmal eine Zeile übersprungen. (Danke an @me2birdie für den Hinweis!) Korrekt sieht die Tabelle so aus: (1/3)
An den zentralen Aussagen des Threads, dass der 7-Tage-R-Wert in den letzten Wochen deutlich unterschätzt wurde und real nie unter 1 lag, ändert sich dadurch nichts. Auch die Größenordnung der genannten Abweichung bleibt korrekt. (2/3)
Mich ärgert das trotzdem, weil ich bei solchen Sachen eigentlich den Anspruch habe, fehlerfrei zu arbeiten. Aber Analysen wie diese mache ich allein und oft am Abend, da ist so etwas wohl leider wohl nie komplett auszuschließen. (3/3)

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8 Nov
Bei der Zahl der Neuinfektionen (die durch Überlastung + geänderte Testkriterien derzeit nur begrenzt aussagekräftig ist) lässt das Wachstum ja schon seit ein paar Tagen nach. Jetzt - früher von mir erwartet - wächst auch die Zahl der #Corona-Intensivpatienten etwas langsamer:
Noch besser ist die Verlangsamung des Anstiegs auf einer logarithmischen Skala zu sehen:
Aber ein Grund zur Entspannung ist das natürlich noch nicht. Die Zahl der Intensivpatient*innen wächst ja weiter, nur eben langsamer. Die rückblickende Verdopplungszeit beträgt jetzt 12 Tage; vor einer Woche waren es 10 Tage.
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6 Nov
Weiterhin starker Anstieg der täglich gemeldeten #Corona-Todesfälle in D: 7-Tage-Mittel steigt auf 107 Tote pro Tag. Bei gleichbleibendem Anstieg wird der Höchstwert vom März in 9 Tagen überschritten. (Und anders als bei den Infektionen sind die Werte hier direkt vergleichbar.)
Bei den #Corona-Neuinfektionen in D setzt sich dagegen der Trend zur Verlangsamung des Wachstums fort: 21.506 neue Fälle (Rekord) lassen das 7-Tage-Mittel auf über 17.000 steigen - was aber nur noch 24 % mehr ist als eine Woche zuvor (niedrigster %-Anstieg seit einem Monat.)
(Weiterhin zu beachten ist dabei aber Folgendes:)
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5 Nov
Das @rki_de meldet im jüngsten Tagesbericht zum zweiten Mal einen 7-Tage-R-Wert von unter 1. Das wäre großartig. Allerdings sind hier aus meiner Sicht Zweifel angebracht. Denn die R-Werte sind in der letzten Zeit nachträglich immer noch stark nach oben korrigiert worden. [1/4]
So meldete das RKI vor einer Woche ein 7-Tage-R von 1,17. In der aktuellen Tabelle (abrufbar hier: rki.de/DE/Content/Inf…) findet sich für das gleiche Datum jetzt ein Wert von 1,32. Und aus den 1,17, die vor 2 Wochen. gemeldet wurden, sind inzwischen sogar 1,37 geworden. [2/4]
Grund dafür dürfte sein, dass die Verzögerung zwischen Erkrankungsbeginn und Meldung einer Infektion wegen der steigenden Fallzahlen derzeit zunimmt. Dadurch werden für zurückliegende Tage mehr Fälle gemeldet, und daran wurde die R-Berechnung offenbar noch nicht angepasst. [3/4]
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4 Nov
Mal eine vergleichsweise gute Zahl an diesem Tag: Das RKI meldet 17.214 neue #Corona-Infektionen in Deutschland. Der 7-Tage-Mittelwert steigt damit zwar auf den neuen Rekordwert von rund 16.200. Aber das Wachstum verlangsamt sich weiter. [1/4] Image
Der 7-Tage-Mittelwert liegt aktuell 36 % höher als vor einer Woche; letzte Woche lag dieser wöchentliche Anstieg noch bei über 60 %. Der Anstieg des 7-Tage-Mittels zum Vortag beträgt sogar nur 2 %; letzte Woche waren es noch über 6 %. [2/4]
Aber auch bei diesen Zahlen gibt es zwei wichtige Einschränkungen: Es ist möglich, dass die Verlangsamung des Anstiegs (zumindest teilweise) an zunehmenden Meldeverzögerungen durch Überlastung von Praxen, Laboren und Ämtern liegt. [3/4]
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22 Aug
Bei dieser Recherche für die @tazamwe habe ich viel gelernt. Dass Grüne wie @KottingUhl am #Fusion|sreaktor #ITER zweifeln, ist ja bekannt. Aber dass auch Befürworter der Technik einräumen, dass es viele ungelöste Probleme gibt, hat mich überrascht. 1/5 taz.de/Energie-durch-…
Unter anderem ist absolut unklar, woher das Tritium für künftige Fusionsreaktoren nach #ITER kommen soll. Diese sollen es selbst aus Lithium erbrüten, aber die dafür notwendige Technik bisher ist noch nie auch nur erprobt worden. 2/5
Auch weiß bisher niemand, aus welchem Material die innerste Wand von künftigen Fusionsreaktoren bestehen könnte, in denen die #Fusion - anders als bei #ITER geplant - nicht nur wenige Minuten am Stück läuft. 3/5
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13 Jul
Neues von der #CoronaWarnApp; Bisher sind 500 TAN-Codes an positiv Getestete ausgegeben worden, mit denen diese in der App ihren Positiv-Status melden können, berichtet @rki_de-Präsidenr Lothar Wieler gerade.
Noch eine neue Corona-Zahl vom @rki_de: Eine Untersuchung von 12.000 Blutspenden hat ergeben, dass 1,3 % der SpenderInnen Antikörper gegen SarsCoV2 im Blut hatten. Dieser Wert ist aber nicht repräsentativ für ganz Deutschland, weil nur Gesunde Blut spenden dürfen.
Noch eine interessante Corona-Zahl aus einer gerade vorgestellten Forsa-Umfrage: Nur 15 % finden, dass die Lockerungen nicht weit genug gehen. Mehr als doppelt so viele finden, dass sie zu früh kamen. Die meisten finden das Vorgehen der Regierung richtig.
Read 7 tweets

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