Thread by @pavel23

Kleines Corona-Deutschland-Update 10.11.2020: Die Zunahme der Neuinfektionen verlangsamt sich, 7-Tages-R knapp unter 1,1, Zunahme bei Sterbefällen auch verlangsamt, was entweder Zufall ist oder an Problemen bei der Datenerhebung liegt.

Im aktuellen Corona-Hotspot Görlitz scheint das Gesundheitsamt zusammengebrochen zu sein, hat gestern keine Meldungen abgegeben, wie 40 andere Landkreise auch. Ein Mittelwert von 5,2 Tagen und ein Median von 4 Tagen in Görlitz schlägt sogar das notorisch langsame Hamburg.

Das liegt sicher auch an Rückstaus beim Testen. Meine Eltern haben 7 Tage auf ein Testergebnis gewartet; angeblich geht ein Teil der Berliner Tests nach München. Zwar dauert es definitiv nicht überall so lange, aber nur rund die Hälfte der Ergebnisse ist am nächsten Tag da.

In Berlin scheinen die Inzidenzen in allen Altersgruppen zu stagnieren, vor allem in der Gruppe 80+, was gut ist. Es bleibt zu hoffen, dass das alles nicht nur Artefakte der überforderten Labore und Gesundheitsämter sind; in ein bis zwei Wochen wissen wir mehr.

Auch bei den den anderen Werten zeigt sich in Berlin ein Stagnieren oder leichter Rückgang der Zahlen, es bleibt zu hoffen, dass es so weitergeht.

In Europa gehen die Zahlen in Tschechien und Belgien deutlich zurück; die Kurve sieht ähnlich aus wie bei Israel, das seine 2. große Welle und 2. Lockdown einen Monat früher als Tschechien und Belgien hatte.
ourworldindata.org/coronavirus-da…

Zusammengefasst: Es gibt einen Hoffnungschimmer für Europa und Deutschland, in ersten Länder scheinen die Maßnahmen zu wirken, bei uns vermutlich auch. Ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, ist aber noch nicht klar; wir hatten das mit dem Winter so noch nicht.

Apropos Winter: Ich wollte schon immer mal schauen, wie eigentlich Infektionen und Temperatur zusammenhängen, also die Saisonalität erkunden. Ich habe das jetzt mal für Berlin gemacht, mit den Wetterdaten der Station Tempelhof seit Anfang März, hier Temperaturen und Niederschläge

In diesem Graphen sind nun Kälte (blau), tägliche Neuinfektionen (rot) und R (schwarz) in einem log. Graphen so angeordnet, dass R und Neuinfektionen grob (+/- einige Tage) dem Erkrankungstag entsprechen. "Kälte" = (39 - Temp.)^2, also je niedriger die Kurve, desto wärmer war es.

Natürlich können die Kurven nicht komplett korrelieren, wir hatten Lockdowns und Testregimeänderungen und Ferien und vieles mehr, aber einige Ereignisse stechen hervor:

1) Der 1. Lockdown war ab 2. Aprilwoche begleitet von einer deutlichen Erwärmung auf 10-20 Grad am Tag, und ab Juni hatten wir fast ständig über 20 Grad. Gleichzeitig begannen in Berlin die Infektionen zu steigen, um Mitte Juni einen bedrohlichen Peak zu entwickeln.

2)Der Höhepunkt des Berliner Peaks Mitte Juni ging mit dem Anfang einer Hitzeperiode einher, in der die Peaks über 30 Grad jeweils einen deutlichen Rückgang bei den Neuinfektionen und beim R-Wert einleiten. Vermutlich wurde Berlin im Juni durch die Hitze gerettet.

3) Im Juli begannen die Infektionen zu steigen, trotz weiterhin warmem Wetter, aber eher im Bereich um die 25 Grad, unterbrochen von zwei kühleren, mehrtägigen Perioden um die 20 Grad mit Regen in der ersten Julihälfte.

4) Trotz deutlicher Erwärmung in der 2. Julihälfte auf über 25 Grad stiegen die Neuinfektionen stetig weiter, getrieben durch andere Faktoren als das Wetter. Dieser Anstieg scheint durch eine dreiwöchige Hitzewelle ab der 2. Augustwoche zum Stillstand gebracht worden sein.

5) Diese Hitzewelle im Juli mit weiterhin warmem Wetter bis Ende September hat die Zahlen vielleicht etwas in Schach gehalten, aber der Kälteeinbruch Mitte Oktober hat die Zahlen wohl plötzlich nach oben getrieben.

6) Ende Okt. und Anfang Nov. war es für zwei Wochen etwas wärmer, mit Tagen zwischen 12 und 20 Grad. Die Zahlen, die wir gerade sehen, stammen also aus einem Zeitraum, wo uns das Wetter noch mal begünstigt hat, wärmer als im März, kälter als im April, aber mit wärmeren Nächten.

7) Die ersten drei Oktoberwochen schien aber der R-Wert in Berlin vom Wetter eher abgekoppelt zu sein; das deutlich kältere Wetter in dem Zeitraum hat zu keinem Anstieg von R geführt, wohl aber zu einer stetigen Ausbreitung.

Dass R nicht ansteigt könnte aber auch auf Engpässe beim Testen und Melden zurückzuführen sein, insofern ist diese Phase mit Vorsicht zu geniessen. Generell ist meine Analyse hier eher oberflächlich und ist ein erster Blick auf die Daten im Zusammenhang mit Wetter.

Auf den ersten Blick scheint es zumindest so zu sein, dass Wetter mehrfach entscheidenden Einfluß auf den Verlauf der Covid-19-Pandemie in Berlin hatte und zwei mal steigende Zahlen durch warmes Wetter zum Stillstand und vorübergehenden Rückgang gebracht haben.

Als Schätzung mit dem breiten Daumen würde ich sagen, dass im Bereich 10-35 Grad eine um 5 Grad höhere Temperatur einen 0,1 bis 0,25 niedrigeren R-Wert macht; das jedenfalls steht im Einklang mit den Zahlen. Es könnte zwar alles auch Zufall sein, aber ich denke, es ist was dran.

Kennt man den Einfluss der Temperatur auf R, kann man die Zahlen um wetterbedingte Effekte korregieren oder den Wetterbericht und Wettervorhersage als Infektionsvorhersage nutzen. Es bedeutet auch, dass Infektionsvorhersage auch an Wettervorhersage geknüpft ist.

Da in Berlin die Temperaturen noch 1-2 Wochen lang eher steigen und meist über 10 Grad liegen sollen, droht zumindest keine Überraschung durch das Wetter, die kurzfristig dem Lockdown stärker entgegenwirkt. Trotzdem könnten wir noch ein, zwei absolute Rekorde in Berlin sehen.

Wer Links zur Saisonalität von Covid-19 hat, bitte immer her damit. Ich habe bewusst erst mal einen naiven Blick auf die Zahlen geworfen, aber er erscheint mir vielversprechend genug, da mit etwas Statistik ranzugehen und das für eine Vielzahl an Orten zu machen.

Passt auf euch auf, bleibt gesund und verliert nicht die Hoffnung, es ist gerade bei uns nur halb schlimm und wird wahrscheinlich sogar bald etwas besser.