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1) Donald Trump hat die Wahlen in den USA wohl verloren, aber dennoch einen gewaltigen relativen Sieg eingefahren. Das betrifft nicht nur den Ausgang von Kongress- und Senatswahlen, sondern vor allem die enorme Zahl von Popular Votes. Ordnen wir das ein!
2) Bereits jetzt steht Trump bei 72,367,357 Millionen Stimmen (CNN, 12.11., 15.48h), Biden bei 77,572,972. Die Auszählung ist nicht beendet. Das ist ein substantieller republikanischer Zugewinn im Verhältnis zu vergangenen Wahlen.

edition.cnn.com/election/2020/…
3) Sehen wir uns den Vergleich an: 2016 gewann Trump mit 62,985,106 Stimmen. Das bedeutet, dass Trump heute um rund 15 Prozent mehr Stimmen bekommen hat als bei seiner erfolgreichen Wahl 2016.

nytimes.com/elections/2016…
4) Stimmt, die Wahlbeteiligung war 2016 niedriger und auch Clinton bekam weniger Stimmen als Biden. (Biden aktuell: 77,572,972 Stimmen, Clinton 2016: 65,853,625). Das erklärt aber noch nicht, warum Trump in absoluten Zahlen besser mobilisieren konnte als 2016.
5) Spannend ist der Vergleich mit früheren Wahlen. 2012: Obama 65,446,032 Stimmen, fast ident Clinton 2016. Republikaner Romney bekam 60,589,084 Stimmen, dazu 1,275,971 für den Libertären Johnson. Also keine großen Verschiebungen zwischen 2012 und 2016.
270towin.com/2012_Election/
6) Beim ersten Wahlantritt hatte Obama deutlich besser mobilisiert, 2008: 69,456,897 Stimmen, Republikaner McCain 59,934,814 Stimmen. Republikaner Bush hatte 2004 62,039,073 Stimmen.

Trump liegt also aktuell weit besser als Republikaner vor ihm.
270towin.com/2004_Election/
7) Das Bevölkerungswachstum allein erklärt das nicht. Das Bevölkerungswachstum der USA betrug im Jahr 2019 laut Weltbank 0,47 Prozent - Tendenz in den letzten Jahren fallend. Da kommen die zusätzlichen Stimmen in diesem Ausmaß also sicherlich nicht her.

data.worldbank.org/indicator/SP.P…
8) Möglicherweise ist Trump eine rechte Synthese gelungen. Mutmaßlich hatte Trump 2016 Gemäßigtere durch sein Auftreten verloren, gleichzeitig neue WählerInnengruppen erschlossen. Ob das Stimmen der ArbeiterInnenklasse waren? Das ist nicht so eindeutig.
bonvalot.net/hat-trump-wirk…
9) Dagegen hat Trump vermutlich extrem rechte Gruppen erschlossen, die sich zuvor bei Bundeswahlen nicht vertreten fühlten. Diese Gruppen hat er wohl auch 2020 mobilisiert - vermutlich verstärkt. Gleichzeitig dürfte er aber auch bei "gemäßigten Republikanern" gepunktet haben.
10) Die Politik der Trump-Administration wird in Europa oft auf Rassismus und die absurden Reden von Trump reduziert. Dabei wird übersehen, dass die Republikaner ein Wirtschaftsprogramm im Sinne finanziell besser gestellter Schichten der Bevölkerung und der Superreichen umsetzen.
11) Das könnte auch vermeintlich "gemäßigte" Rechte zur Stimme für Trump bringen. Vermutlich sind sie ebenfalls rassistisch (ein Kernbestandteil des Republikanismus) - und über Trumps Dubiositäten tröstet der Zugewinn ihrer Aktien.
12) Ein enormes ökonomisches Problem für Trump war COVID-19. Aber auch hier wären Stimmen gerade von Klein- und MittelunternehmerInnen für Trump (scheinbar!) rational. Aus Angst vor unmittelbaren Verlusten wird bei Behauptungen geklatscht, dass die Krise kein Problem sei.
13) Schließlich hat es Trump auch geschafft, durch dubiose und antisemitisch aufgeladene Verschwörungstheorien die Schuld am Umgang mit der COVID-19-Krise von sich abzuwälzen. Das hat zweifellos auch geholfen: Wenn nicht klar ist, wer schuld ist, ist Trump nicht schuld.
14) Unklar ist, was nach der Einsetzung von Biden als Präsident passiert. Es könnte sein, dass Republikaner passiv werden ("alles gekauft, keine Chance"), es könnte aber auch die Wut wecken. Militante Angriffe von Milizen und Neonazis sind nicht ausgeschlossen.
15) Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes. Der rechte Demokrat Biden wurde va nicht wg Biden, sondern wg Trump gewählt. Seine Maßnahmen werden vermutlich lahm und wenig inspirierend sein, dazu könnten die Republikaner den Senat kontrollieren (das entscheidet sich im Jänner).
16) Die Republikaner werden bei den Mid-Term-Kongress-Wahlen in zwei Jahren vermutlich damit Wahlkampf machen, dass ihnen angeblich das Präsidentenamt gestohlen worden sei. - ein starkes Mobilisierungsmoment. Wir werden sehen, ob die Demokraten nochmals mobilisieren können.
17) Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 wird sich ein ähnliches Szenario stellen. Die Republikaner könnten wiederum gut mobilisieren. Dagegen könnte die Biden-Administration nach schwacher Performance Mobilisierungsprobleme haben.
18) Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass der Präsident 2024 wieder Donald Trump heißt. Die extreme Rechte in den USA ist weiterhin stark. Eine Entwarnung ist keineswegs geboten.

Schluss //

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