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14 Nov, 18 tweets, 4 min read
1/x Thread "Bildungsgerechtigkeit"

Es ist ein sensibles Thema. Man wird schnell missverstanden oder bewusst falsch wiedergegeben. Ich will trotzdem versuchen, ein paar Gedanken dazu zusammenzufassen. Denn ich fürchte, hier ist ein Wort zu einem Politikum verkommen, welches eine
2/x genaue Betrachtung und Auseinandersetzung verdient hat. Zunächst ist es logisch nachvollziehbar, dass die Gesellschaft und das Individuum am meisten profitieren, wenn die gleichen Chancen auf Bildung und Zugang zu Bildungsangeboten für jeden bestehen. Alles andere ist nicht
3/x nur für das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft als solche teuer, da menschliches "Potential" verloren geht. Wie kann man also "Bildungsgerechtigkeit" erreichen? In der aktuellen politischen Debatte in der Pandemie hat man den Eindruck das das einzige Mittel hierfür
4/x in der zwangsweisen Teilnahme an dem bestehenden Präsenzunterricht an den Schulen liegt.
Dies mag politisch wünschenswert sein, scheitert aber an den Tatsachen und Lebensrealitäten. Denn: Schule und deren Erfolg für den Einzelnen hängt nach meiner persönlichen Erfahrung und
5/x und Beobachtung maßgeblich von dem beteiligten Umfeld ab. Sprich: Unterstützung des Elternhauses, den beteiligten Lehrkräften, dem sonstigen sozialen Umfeld der Kinder und letztlich auch von den Kindern selbst. Und hier kommen wir nun zu meiner Kritik an dem Wort
6/x "Bildungsgerechtigkeit", wie es derzeit gebraucht wird, um den Regelbetrieb der Schulen um den Preis der Gesundheit der Familien zu begründen: Nur weil es ein einziges, starres und verpflichtendes System gibt, an dem jeder teilnehmen MUSS, ist dies nicht "gerecht". Denn das
7/x System soll doch eigentlich dem Individuum dienen. Es sollte helfen, das Potential eines jeden Kindes zu fördern und zu fordern. Aber gerade das kann unser System nicht. Und konnte dies auch vor der Pandemie nicht. Es wird hier auf Twitter gerne kritisiert, dass Eltern,
8/x welche eine Zeit der Aussetzung der Zwangspräsenz fordern, um die Gesundheit ihrer Familien zu schützen, eine Art Sozialdarwinismus betreiben würden, da Menschen, die Homeschooling nicht leisten könnten, benachteiligt würden. Dem würde ich entgegen halten wollen, dass durch
9/x eine so gewonnene kleinere Klassenstärke bereits auch diesen Kindern geholfen werden würde, eine individuellere und intensivere Förderung zu erhalten. Auch gesundheitlich wäre durch die so mögliche Kontaktreduzierung in der Schule erst einmal allen geholfen. Wieso wäre dann
10/x also "Bildungsgerechtigkeit" gefährdet? Und wie weit geht diese? Ohne vermessen klingen zu wollen: Meine Kinder erfahren wahrscheinlich mehr individuelle Förderung als andere. Ich habe Spaß daran, mit meinen Kindern zusammen zu lesen und zu spielen, wir entdecken die Natur
11/x gemeinsam, wandern, forschen und entdecken. Die Kinder haben ein Hochbeet im Wohnzimmer und züchten Pflanzen und Kräuter. Wir machen Indoor-Schnitzeljagden und lösen gerne Rätsel zusammen. Soll ich also mit solchen Aktivitäten aufhören, da andere Kinder nicht in einem
12/x Umfeld groß werden, in dem man an so etwas Spaß findet? Denn hier fängt der Irrtum zur "Bildungsgerechtigkeit" an. Jedes Kind und jede Familie ist ein Individuum und hat individuelle Voraussetzungen. Das gerechteste, was Schule leisten sollte, ist in jedem Kind die Freude am
13/x Lernen zu wecken. Und individuelle Unterstützung zu bieten.
Dass unser Präsenzbildungssystem "gerecht" sein soll, auf diese Idee kam man erst in der Pandemie. Und nach meinem Gefühl nur, um die Zwangspräsenz zu begründen. Weshalb sind denn sonst Privatschulen erlaubt?
14/x Besonders heikel: Man hört von einigen Privatschulen, dass dort nicht nur kleinere Klassen und individuelle Förderung gegeben sind, auch sind dort bereits HEPA14-Raumluftfilter installiert. Das ist also "bildungsgerecht"? Hierüber wird öffentlich aber nicht diskutiert.
15/x Der Wunsch einzelner Schulen in den Hybridunterricht zu wechseln wird aber mit dem Hinweis auf die Notwendigeit des Präsenzunterrichts für eine gerechte Bildungschance untersagt.
Ich will mich hier nicht in unsubstantiierten Schlussfolgerungen verlieren. Aber es bleibt für
16/x mich einfach der Eindruck, dass Begriffe mit einem hohen politischen Nutzen wie "Bildungsgerechtigkeit" instrumentalisiert werden, um die Hilflosigkeit im Umgang mit der derzeitigen Lage zu überspielen. Denn unser Schul- und Bildungssystem ist nicht gerecht.
17/x Und ich werde sicherlich nicht damit aufhören, meine Kinder auch weiter individuell und persönlich zu fördern, sie in ihren Interessen ernst nehmen und sie darin bestärken. Denn dies ist etwas, was nur das Elternhaus leisten kann, egal, was Politiker sich einreden wollen.

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