Ich ergötze mich nicht wirklich daran, wenn Befürchtungen, die ich so nebenbei auf Twitter äußere, später von Experten bestätigt und den Mainstream-Medien aufgegriffen werden. spiegel.de/wissenschaft/m…
Lieber wäre mir, wenn Experten und aktive Politiker, die mir gegenüber eigentlich einen Wissens- und Informationsvorsprung haben, Dinge vor mir rechtzeitig erkennen und verhindern würden.
Wir haben die Zahlenschwankungen an Ostern erlebt, die Einschätzungen der Wirkung von Maßnahmen erschwert haben, und jetzt wiederholt es sich, zu einem noch ungüstigeren Zeitpunkt. Was man dagegen tun könnte?
Nun, warum etwa testen wir nicht in jedem Landkreis mit Inzidenz über 50/100.000 jeden Montag 1000 zufällig ausgewählte Personen? Bei Inzidenz 200 wären um die 5 positive Ergebnisse pro Landkreis zu erwarten, und wir hätten ein sehr viel präziseres Bild vom Infektionsgeschehen.
Obwohl seit Beginn der Pandemie die Angst vor dem Herbst beschworen wurde, hat offenbar kaum jemand konkret daran gedacht, was das konkret bedeutet und wie man bei hohen Zahlen die Auswirkungen von Maßnahmen zeitnah bewerten kann.
Nicht nur das, wir hätten auch noch einen gewaltigen Datenschatz, der uns noch viel genauer aufzeigen könnte, wie sich das Virus geografisch verbreitet, und hätten die Chance, hier und da unbekannte Cluster und Ketten zu frühzeitig zu finden.
Mehr wäre natürlich besser. Idealerweise würden wir jede Woche die gesamte Bevölkerung testen, dann wäre der Spuk schnell vorbei. Utopisch? Ja, wenn man neun Monate nichts tut, um so etwas zu ermöglichen, ist es utopisch, aber mit Pooling, besseren Tests und Geld wäre es machbar.
So, wie es aussieht, versagt eine der reichsten Industrienationen der Welt, die den ersten Test und einen der besten Impfstoffe entwickelt hat, bei der vergleichsweise einfachen Aufgabe, vernünftige Zahlen zu erheben. Das finde ich erbärmlich, und es kommt uns teuer zu stehen.
Wie kommt es, dass die Politik präzise Informationen zur Pandemieausbreitung so gering schätzt? Es könnte sein, dass die meisten Politiker schlecht mit Zahlen umgehen können, und die Zahlen nur eine untergeordnete Rolle bei Entscheidungen spielen, so lange noch Betten frei sind.
Wie es aussieht, werden wir ausgerechnet Anfang Januar, wenn die nächsten Entscheidungen von Bund und Ländern anstehen, nicht wissen, wie wirksam oder unwirksam die Maßnahmen tatsächlich sind, wobei die Situation in Krankenhäusern so schlimm werden könnte, dass das egal ist.
Auf jeden Fall nervt es gewaltig, die Politik als Schar aufgescheuchter Hühner zu erleben, unfähig, klar zu planen, stattdessen mit Ad-Hoc-Maßnahmen zu hantieren, deren Wirkungen selbst nach Wochen nicht gut nachvollzogen werden, weil die Datenerhebung zu fehlerbehaftet ist.
Vor allem sollte die Politik es aber unterlassen, Dinge zu verprechen, die sie nicht halten kann, und uns auf einen 400m Lauf einzustimmen, der jeweils vor Erreichen des Ziels um eine Runde verlängert wird. So kommen wir ziemlich kaputt und spät am Ende der Marathonstrecke an.
Warum hat man das Gefühl, dass obwohl Covid das politische Geschehen auf so vielen Ebenen bestimmt, es von der Politik nicht wirklich so ernstgenommen wird, dass eine effektive Bekämpfung organisiert wird? Weil die Pandemie bisher nicht wirklich zum Notstand geführt hat?
Alle Maßnahmen seit November haben nur dazu geführt, dass wir wie in Zeitlupe immer tiefer in die Katastrophe rutschen, während wir uns Stück für Stück eingeschränken müssen, ohne, dass es ausreichend zu helfen scheint, ohne, dass die Zahlen sinken.
Erinnert mich an das spanische Kind, das in den illegalen Brunnen fiel und wegen der Maßnahmen der Feuerwehr, die trotz Warnung mit schwerem Gerät bohrte, durch die Erschütterungen 50m tiefer auf in den Grund rutschte, wo es dann aus dem Schlamm nicht mehr befreit werden konnte.
Wenn das so weiter geht, führt das sicher zu mehr Vertrauensverlust in unser politisches System und dessen Akteure, der aber mangels Alternativen zu keinen wirklichen Änderungen zum Besseren führen wird, sondern primär den Unfrieden in der Gesellschaft weiter schürt.
Global könnte dieses unzulängliche Handling der Pandemie und die wirschaftlichen und kulturellen Auswirkungen das Ende des amerikanischen Jahrhunderts einleiten, mit katastrophalen Folgen für die ganze Welt und vor allem für uns, aber der entscheidende Schlag ist Corona nicht.
Was aber Corona uns vor Augen führt ist, dass wir völlig inkompetent sind, das eigentliche Jahrhundertproblem, den Klimawandel, rechtzeitig und effektiv zu bekämpfen, obwohl Hitzewellen in manchen Ländern für mehr Tote sorgten als bisher das Corona-Virus.
Die Geschichte könnte eines Tagen lauten: Ja, das 21. Jahrhundert, als Menschen noch glaubten, dass es zu guten Entscheidungen führt, wenn man den ganzen ungebildeten Pöbel mitbestimmen lässt, der nur seine eigenen, kurzfristigen Interessen verfolgt.
Wir reden hier von einer Deligitimation von Demokratie an sich, wenn sich unser System als unfähig erweist, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, und was daraus folgen würde, möchte ich mir derzeit nicht ausmalen.
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Interessant, sich die Nachrichtenlage zu dem Zeitpunkt anzusehen, als der Corona R-Wert messbar zu sinken begann. Kann Zufall sein, aber wenn nicht, wäre "Nachrichtenlage" ein vielleicht entscheidener Einflußfaktor auf den die Ausbreitung des Virus.
Frage mich, ob "Propaganda", oder nennen wir es "zweckgerichtete Kommunikation", tatsächlich eine probate, nicht-medizinische Intervention ist. Auf jeden Fall gibt es Propagande, die die Ausbreitung fördert.
Ich finde sachliche und ehrliche Kommunikation am wünschenwertesten, aber ist gibt ja genug Leute, die man damit nicht erreicht. Wäre es ethisch, z.B. mit mehr Gruselbildern aus Krankenhäusern und Promi-Corona-Schicksalen mehr Leute zu erreichen?
Vergangene Woche habe ich diesen Preprint aus Karlsruhe kommentiert, und es hat mir keine Ruhe gelassen, ob die Ergebnisse über stimmen *können*. Ergebnis: Ich halte Effekte in dieser Größenordnung wie Paper angenommen für ausgeschlossen.
Dennoch deutet vieles darauf hin, dass ein nur gering späterer Lockdown zu viel höheren Zahlen geführt hätte, als vielen klar sein dürfte. So hätte ein Verzögerung der Reaktion auf die 1. Welle um nur 3-4 Tage die Gesamtzahl der Infizierten nach 80 Tagen verdoppelt.
Die folgende Simulation ist eine starke Vereinfachung, aber halte sie zur Plausibilitätsprüfung geeignet. Gespeist wird sie durch einen Anfangswerte für Inzidenz und R, dem Beginn der Intervention, der Dauer, wann sie ihre volle Wirkung erreicht und auf was der R-Wert sinkt.
Also diese Nachricht klingt so, als würden Infizierte munter durch die Welt fliegen, aber niemanden hat es bisher interessiert, und niemand hat getestet, bis „plötzlich“ die neue Variante da war. Oder wie habe ich das zu verstehen?
Wenn diese neue Variante in UK die Dominierende ist und seit Wochen damit Infizierte hier einreisen, hat sie auch längst bei uns Fuß gefasst. Dass die englische Muatation erst jetzt bekannt wurde, stimmt mich auch nicht zuversichtlich, dass das Virus gut beobachtet wird.
Offenbar ist das Monitoring so weitmaschig, dass neue, gefährlichere Varianten erst erkannt werden, wenn man praktisch nicht mehr machen kann, und das Einschleppen einer neuen Variante bleibt über Wochen unbemerkt. Kann man da wirklich nichts besser machen?
Wird sich wohl etwas hinziehen mit den Impfungen in Berlin. Es war mal die Rede von 20.000 Impfungen pro Tag, aber das ist wohl die Kapazität der Impfzentren. Impfstoff wird im 1. Quartal 2021 eher für 8.000 Dosen pro Tag reichen, also 4.000 Personen. bz-berlin.de/berlin/berlin-…
Es gibt in Berlin rund 170.000 Personen im Alter 80 und darüber, die zu impfen 42 Tage dauern würde, wenn am Anfang bereits die Durchschnittsmenge da wäre, aber die "voraussichtliche" 18.000-Dosen-Lieferung reicht für einen(!) Tag, wenn alle Impfzentren voll loslegen würden.
Unklar ist auch, was "zunächst" bedeutet und wann die nächste Lieferung kommt. "Zunächst" klingt nicht so, als wäre das der Start einer regelmäßigen täglichen oder wöchentlichen Lieferung, sondern "unser" Anteil an den Dosen, die in den letzten Monaten vorproduziert wurden.
Corona-Update 18.12.2020: Alle Zahlen in Deutschland steigen weiter, nunmehr seit 2 Wochen. 7-Tage-Schnitt bei Toten (blaue Treppe, 566/Tag) jetzt über doppelt so hoch wie auf Höhepunkt der 1. Welle, bei Neuinfektionen (~24.000, schwarze Tr.) über 4 x so hoch. 7-Tage-R bei 1,12.
Das bedeutet, dass wir demnächst mehr als 1000 Tote pro Tag beklagen werden. Bemerkenswert ist, dass sich das Plateau bei den Neuinfektionen (Mitte Nov.-Anf.Dez.) nicht in der Zahl der Toten bemerkbar macht. Liegt vermutlich an Demografie und Testregime.
Alle Bundesländer mit steigenden Zahlen und hohen Inzidenzen. Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg, Saarland und Brandenburg schlimmer betroffen als der Bundesdurchschnitt.
Interessanter Ansatz, mit Hilfe von Drifterkennung die Auswirkungen von NPIs auf die Ausbreitung von Covid zu quantifzieren: Ergebnis: 1 Tag spätere Schulschliessungen hätten in der 1. Welle bei uns die Gesamtzahl der Corona-Fälle mehr als verdoppelt. publikationen.bibliothek.kit.edu/1000126905
Schulschliessungen eine Woche später hätten die Gesamtzahl der Infektionen vervierfacht. Unklar, wie sich das Aufhalten der Schulen über Wochen im Oktober, November und Dezember genau ausgewirkt hat, aber vermutlich hätten wir über 90% der Toten und Infizierten vermieden.
Der Zusammenhang ist einfach zu verstehen: Lässt man die täglichen Fälle sich in zwei Wochen verdoppeln, sind es nicht nur die zusätzlichen Fälle in diesen zwei Wochen, sondern alle Fälle in der Zeit, bis man auf den Wert runter ist, wo man war, und das kann viel länger dauern.