Einer der fatalsten Denkfehler der Menschen allgemein und im Zusammenhang mit Corona insbesondere ist ja, dass wir alle (!) die Verantwortung für aktive Handlungen als unverhältnismässig höher werten, als die für passive (unterlassene) Handlungen. (1/n)
Bekanntestes philosphisches Beispiel ist das Trolley-Problem (de.wikipedia.org/wiki/Trolley-P…) bei dem ein Wagen auf ein Gleis mit fünf Menschen zurast und gefragt wird, ob es ethisch sei, eine Weiche so umzustellen, dass er nur noch auf eine Person zurast. Rein rational (2/n)
sollte uns die Antwort leicht fallen, emotional würden die meisten von uns sich wohl vor allem schwer tun, eine Entscheidung zu treffen, bevor es zu spät ist.
In der Realität sieht es bei solchen Problemen natürlich noch einmal viel komplizierter aus, denn wir haben (3/n)
ja keine garantierten, sondern meist nur mehr oder weniger wahrscheinliche Folgen unseres Handeln. Daher ist die Aussage "Man darf keine Menschenleben gegeneinander aufrechnen" in der Praxis oft sinnvoll, auch wenn sie konsequent gedacht eigentlich menschenverachtend (4/n)
erscheinen muss, wenn auf den Seiten der Gleichung sehr unterschiedlich viele Leben stehen und wir auch das "Nicht-Eingreifen" als eine bewusst zu treffende Handlungsoption sehen.
Soweit so philosophisch und schwer auflösbar. Aber was hat das aktuell mit Corona zu tun? (5/n)
Auch hier tendieren wir alle (ja alle!) dazu, Corona erstmal als gegeben hinzunehmen, als etwas das von außen kommt, das wir erstmal nicht in der Hand haben und für dessen Folgen wir erstmal auch nicht persönlich verantwortlich sind.
Natürlich können wir begreifen, dass das (6/n)
oft Unsinn ist und z.B. ein Verzicht auf Hygienemaßnahmen ein aktiv schädlicher Akt werden kann. Aber diese Einsicht kommt nicht instinktiv, dazu müssen wir ein bisschen nachdenken. Und wenn es uns dann so logisch erscheint, sehen wir nicht mehr, dass wir nachgedacht hatten (7/n)
und wundern uns über die fehlgeleiteten Instinkte anderer.
Wirklich extrem wird es aber bei den größeren Eingriffen - sein es Schulschließungen, Lockdown oder auch die Impfung.
Hier kommt zusätzlich zu der höheren Verantwortung für "aktive" Handlungen noch dazu, dass wir (8/n)
die negativen Folgen teilweise direkt sehen, die ausbeleibenden Folgen des Nicht-Handelns aber eben nicht (wir sind beim Präventionsparadoxon)!
Und so fällt es uns allen leichter die konkreten Folgen von Massnahmen zu diskutieren als die hypothetischen Folgen der nicht (9/n)
getroffenen Maßnahme.
Und so entstehen Querdenker. Teils als ganzer Mensch, teils aber auch als kleine Stimme in uns allen, die manchmal einfach nicht so ganz zum Schweigen zu bringen ist.
Was tun?
Ein echtes Rezept habe ich nicht, aber vielleicht ein paar Gedanken: (10/n)
Unser Bauchgefühl hat seinen Platz, auch wenn es nicht logisch ist und oft falsch liegt, aber der Instinkt, aktive Handlungen besonders zu hinterfragen, ist gesund und wichtig. Er muss nur seinen richtigen Platz bekommen, Teil des Entscheidungsprozess sein und nicht Wort- (11/n)
führer.
Vielleicht sollten wir teilweise bewusster einen geeigneten Raum für die Einwände gegen Maßnahmen finden, wo wir sie in den Kontext setzen können und nicht erst als Einwand gegen unsere Argumente an den Kopf geworfen bekommen.
Klar, auch das macht uns irgendwo (12/n)
angreifbar und das gut zu machen, braucht ganz viel Übung. Aber manchmal denke ich, sind wir und die Querdenker nur auf der Trolley-Schiene anders abgebogen. Ich halte unseren Weg für den richtigen - jedesmal, wenn ich wieder darüber nachdenke. Aber wenn unser Wagen (13/n)
die eine Person (statt der fünf) überfährt, dann müssen wir das vor uns und den anderen rechtfertigen können - nicht nur logisch, auch emotional.
Und allein das zu begreifen, kann vielleicht ein bisschen helfen, den einen oder anderen Graben zu überwinden.
Und auch wenn (14/n)
Sarkasmus gegen das absurde manchmal gut tut und gegen den Wahnsinn da draussen nötig ist - ich will versuchen, auch den Blick auf den Querdenker nicht ganz zu vergessen, der mit erstarrter Hand am Weichenhebel steht und nicht handeln kann.
Vielleicht kommen wir ja doch (15/n)
irgendwann nochmal aufs gleiche Gleis. Nicht mit den großen Verleugnern und Krisenprofiteuren. Aber in manchen PMs und Alltagsgesprächen habe ich das schon erlebt.
Es ist ein langer Weg, aber mit Bauch und Verstand können wir viel schaffen!
Mäuschen out.
(16/16)

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30 Dec 20
Okay, ihr wolltet, dass ich über positives in 2020 schreibe.
Gut! Legen wir los. Auch wenn die düstere Brille oft cool wirkt, wird sie doch auch zu leicht zur Rechtfertigung, wir könnten ja sowieso nichts machen. Also packen wir mal die rosarote aus und schauen mal in (1/n)
anderer Perspektive auf das Jahr zurück, okay?
Das erste, und ganz große ist für mich, dass wir alle 2020 enorm viel gelernt haben. Über die Aufmerksamkeit, die Wissenschaft genossen hat, zu ganz konkreten Hygieneregeln und nicht zuletzt in Sachen Digitalisierung. (2/n)
Auch wenn vieles davon nicht freiwillig war, wir haben fast alle neues Wissen und neue Fertigkeiten mitgenommen auf die wir Stolz sein dürfen.
Und auch wenn technisch in Sachen digitales "Neuland" noch viel zu tun ist, in den Köpfen ist es seit 2020 präsenter als je zuvor: (3/n)
Read 23 tweets
28 Dec 20
Oookay, weil die Verschwörungstheoretiker uns das Bild so gerne madig machen wollen, aber halt auch immer nur einen halben Schritt weit denken, dann auf die Nase fallen und jemanden suchen, dem sie dafür die Schuld geben können, schauen wir mal genau hin:
Komische Ausweise mit Nummern drauf?
Ja, haben Besuchende im Pflegeheim, individualisierte Ausweise bekommt man da, wo man dauerhaft arbeitet, Besucherausweise da, wo man nur kurz ist, z.B. um das Haus durchzuimpfen.
➡️ Kein Hinweis auf irgendeine Verschwörung
Ein Schild "Theatergarderobe in einem Pflegeheim?
Ja, wenn das Pflegeheim eine Theatergruppe hat (theater.hennebergbuehne.de), dann nutzt man natürlich die Stellwände, um die Impfstation aufzubauen...
➡️Kein Hinweis für irgendeine Verschwörung
Read 5 tweets
19 Dec 20
Wir könnten einmal wieder auf die Zahl der freien Intensivbetten schauen, wie das die #Quarkdenker gerne machen. Aber genau wie denen würden den meisten von uns die Zahlen kein wirklich sinnvolles Bild geben.
Warum?
Naja, das fängt damit an, dass in einem Krankenhaus ein (1/n)
Bett nicht einfach ein Bett ist. Je nach PatientIn und Erkrankung stehen an diesem Bett ganz verschiedene Geräte, müssen verschiedene Medikamente verabreicht werden und muss ganz unterschiedlich viel Zeit und Expertise durch das Personal aufgebracht werden. (2/n)
Schon bei "normalen" Betten kann eine für Laien verwirrende Menge an Monitoren und Infusionströpfen neben einem solchen Bett stehen und je nach Infektiösität des Menschen im Bett können verschiedene Massnahmen nötig sein, so dass auch manche Räume nicht voll belegt (3/n)
Read 13 tweets
17 Dec 20
Es sieht so aus, als ginge es tatsächlich sehr bald mit den Impfungen los.
Das ist toll, aber es wird auch zu neuen Diskussionen, Irrtümern und Irreführungen führen. Viele davon sind vorhersagbar, also schauen wir ein paar doch gleich mal an, okay? (1/n)
Der Plan sieht vor, zuerst die Risikogruppen zu impfen, am Anfang Ältere Menschen und medizinisches Personal. Warum?
Weil diese Menschen das größte Risiko für schwere Verläufe haben und wir diese durch die Impfungen verlässlich verhindern können. (2/n)
rki.de/DE/Content/Inf…
Das kann im besten Fall schon ziemlich bald viele Tote verhindern helfen und die Krankenhäuser doppelt entlasten, da sowohl die schweren Fälle abnehmen, als auch das Personal geschützt wird.
Da die Risikogruppen und medizinisches Personal aber (wahrscheinlich) keinen sehr (3/n)
Read 21 tweets
15 Dec 20
Gerade in schwierigen Zeiten ist #Satire wichtig. Nicht nur, weil sich schwere Zeiten mit Humor leichter ertragen lassen, nein auch weil Humor es uns viel leichter macht, Dinge zu hinterfragen - und das ist ein wichtiges Element von Demokratie, gefürchtet von Diktaturen! (1/n)
Und um dieser Rolle des kritischen Beobachters gerecht zu werden darf Satire alles - alles aufs Korn nehmen - das ist das entscheidende - nicht unbedingt in jeder Art und Weise.
Ein beliebtes Mittel der Satire ist dabei die Kunstfigur - eine Rolle, die eine Position in (2/n)
überspitzer Weise darstellt und dadurch ihre Irrungen enthüllt. Das gelingt meist durch Gegenüberstellung mit Andersdenkenden oder durch so arge Überspitzung, bis die Position in ihrer absurde Konsequenz allen beobachtenden bewusst wird. (3/n)
Read 5 tweets
12 Dec 20
Sollen wir mal eine kleine Runde durch die EU drehen? Es werden ja in Sachen #COVID19 immer gerne mal Länder verglichen, aber machen wir das doch mal etwas ausführlicher, okay?
Alle Daten von der hervorragenden Seite des @Tagesspiegel: interaktiv.tagesspiegel.de/lab/karte-sars… (1/n)
Wir schauen uns nur die neuen Todesfälle an, da hier unterschiedliche Teststrategien weniger ins Gewicht fallen sollten als bei den Gesamtfallzahlen und weil sie auch ein Maß für den tatsächlichen Schutz der Gesellschaft vor schweren Verläufen sind. Los gehts: (2/n)
(fast vergessen, alle Todesfälle sind per 100.000 Einwohner angegeben, um die Größe der jeweiligen Bevölkerung auszugleichen, aber jetzt geht's wirklich los) (3/n)
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