Das tut wirklich weh: Ein ganzseitiges Inserat mit haarsträubendem Corona-Unsinn, erschienen heute im Kurier. Sehen wir uns das mal an.
Klarstellung vorweg: Ich schreibe selbst eine Kolumne im Kurier, in der ich mich für Wissenschaft und gegen Verschwörungstheorien einsetze. Dieses Inserat macht leider das Gegenteil. Gerade deshalb MUSS ich Stellung beziehen, sonst würde ich mich völlig unglaubwürdig machen.
Argument 1: Masken seien nutzlos und gesundheitsschädlich. Das ist falsch. Zu Beginn der Pandemie war der tatsächlich noch nicht so ganz klar, wie wirksam die Masken sind. Außerdem gab es Bedenken, die breite Bevölkerung würde dem medizinischen Personal die Masken wegkaufen.
Mittlerweile ist das aber gut untersucht: Gute Masken bringen viel, schlechte weniger. Für die Behauptung, sie könnten gesundheitsschädlich sein, gibt es keine Belege. Näheres erklärt der Mikrobiologe @Martin_Moder hier sehr schön:
Argument 2: Der PCR-Test sei nicht validiert bzw. zugelassen. Das ist völlig falsch. Die Autoren erklären auch nicht, wie sie auf diese absurde Behauptung kommen.
Selbstverständlich wurden die PCR-Tests sorgfältig validiert. @c_drosten erklärt hier genau, wie das ablief: ndr.de/nachrichten/in…
Schwammig heißt es dann: "Bei geringer Virusverbreitung wird eine hohe Zahl falsch positiver Testergebnisse ausgewiesen." Das ist zumindest fast falsch. Nein, es ist nach allen vernünftigen Maßstäben keine "hohe Zahl". Der PCR-Test hat eine sehr niedrige falsch-positiv-Rate.
Klar ist: Es kann bei Tests falsch positive Ergebnisse geben. Wenn die Krankheit sehr selten ist, ist es deshalb denkbar, dass die Zahl der falsch positiven ähnlich hoch oder sogar höher ist als die Zahl der echt positiven.
Das ist aber nicht die Schuld des Tests, sondern simple Logik: Gäbe es die Krankheit überhaupt nicht, wäre jeder positive Test ein falsch positiver (auch bei einer minimalen Fehlerquote). Da kann der Test nichts dafür.
Klar ist auch: COVID-19 ist derzeit so häufig, dass falsch positive keine Rolle spielen. Wer behauptet, die derzeitigen Infektionszahlen würden von falsch positiven Ergebnissen dominiert, macht sich lächerlich.
Angesichts zahlreicher Todesfälle und Menschen, die in Intensivbetten um ihr Leben kämpfen, ist so eine Behauptung nicht nur wissenschaftlich leicht widerlegbar, sondern schlicht menschenverachtend.
Argument 3: Zwangsimpfung. Was für ein Wort! Das ist jetzt keine naturwissenschaftliche Frage. Ich selbst bin auch gegen "Zwangsimpfungen". Aber was ist die Alternative, wenn es zu wenige Freiwillige gibt? Da sehe ich nur Szenarien, die noch größeren Zwang verlangen.
Danach gleich wieder völliger Unsinn: "Die mRNA Impfung ist nicht verantwortungsvoll geprüft worden" - doch, ist sie. Mit zehntausenden Studienteilnehmern, gemäß der etablierten Vorschriften. Das ist ein Vorwurf, der gut klingt, doch er ist einfach falsch.
Nächste Behauptung: Es liegen keine Langzeitstudien vor. Vorsicht, Missverständnis! Bei Langzeitstudien geht es nicht darum, Gefahren aufzudecken, die sich erst nach Jahren äußern. Sie äußern sich nämlich bei Impfungen recht rasch.
Langzeitstudien braucht man, um seltene Nebenwirkungen zu erkennen, die man nur nachweisen kann, wenn man sehr viele Patienten beobachtet. Das dauert normalerweise Jahre (daher Langzeitstudie), nun wurde die nötige Zahl aber in viel kürzerer Zeit untersucht.
Man hat quasi eine Langzeitstudie in kürzerer Zeit durchgeführt. Also: Alles gut. Auch dazu wieder @Martin_Moder:
Argument 4: Kollateralschäden. Das ist der einzige Punkt, an dem sich die Inserat-Autoren nicht auf den ersten Blick zum Pinguin machen. Ja, Corona-Maßnahmen, auch wenn sie wirksam sind, haben Nachteile- in Schulen, für die Wirtschaft etc. Natürlich. Das sollten wir diskutieren.
Allerdings: Wenn es eine Balance zwischen Corona-Vorsicht und Vermeidung von Kollateralschäden gibt - wo liegt denn dann die goldene Mitte? Was sind denn die Länder, die besonders gut durch die Pandemie gekommen sind? Es sind Länder wie Neuseeland, Vietnam, Südkorea, Australien.
Das sind Länder, die Corona sehr ernst genommen haben und rasch harte Maßnahmen ergriffen haben. Wie sich zeigt, ist das auch für die Wirtschaft am besten. Bei uns in Europa zu behaupten, die Maßnahmen seien zu hart gewesen, ist nicht argumentierbar.
Die Chefredakteurin des Kurier, Martina Salomon, schreibt selbst quasi als disclaimer zu diesem Inserat, dass die Mehrheit der Wissenschafts-Community diese Aussagen ablehnt, dass man aber aufgrund der Meinungsfreiheit das Inserat trotzdem gedruckt hat.
Da sind wir bei einem alten Problem: Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Aber niemand hat das Recht auf seine eigenen Fakten. Und Medien haben die Aufgabe, Wahres zu verbreiten und Falsches zu bekämpfen.
Wenn man so ein Inserat abdrucken möchte, weil man die Meinungen darin aufzeigen will, dann hätte man journalistisch damit spielen können: Man hätte groß "Achtung, falsch" darüberschreiben können- und daneben einen ganzseitigen Artikel, der die Argumente alle sauber zerpflückt.
Das wäre ein Hingucker gewesen! Ich hätte einen solchen Artikel mit Freude geschrieben.
Doch so bleibt nur ein Inserat, das Leser verunsichert und Zweifel schürt. Was für mich in solchen Fällen immer übrigbleibt ist Trauer und Frustration:
Wie viele andere Leute setze ich mich dafür ein, Wissenschaft zu erklären, wissenschaftliches Denken zu propagieren und Falschaussagen richtigzustellen. Es ist eine mühsame Arbeit, es ist ein langer Weg der kleinen Schritte, aber ich glaube, es ist gesellschaftlich wichtig.
Doch solche Falschaussagen machen meine Arbeit kaputt. Aufbauen dauert immer länger als zerstören. Ich muss jahrelang schreiben und argumentieren, um ein einziges solches Inserat aufzuwiegen. Das frustriert.
Aber wie auch immer: An die Arbeit! Muss ja jemand tun.

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